Salzburger Nachrichten

Furcht vor dem „Liebes-Dschihad“

Indiens Hindu-Nationalis­ten warnen vor der Kraft muslimisch­er Männer – und wollen doch nur die Frauen weiter unter Kontrolle halten.

- WILLI GERMUND NEU-DELHI.

Das Drama um ein frisch vermähltes Paar bewegt Indien. Der Mann wollte die Frau mit Gewalt zum Islam bekehren. Regierungs­politiker warnen vor einem Heiligen Krieg der Liebe.

Das Drama eines frisch vermählten Paares bewegt Indien. „Er hat mich geschlagen und wollte mich zum Islam bekehren“, sagt die 23-jährige Tara Shadeo. Die Sportschüt­zin zählt zu den Hoffnungen der Nation bei den Olympische­n Spielen in Brasilien im Jahr 2016. Gegen den ihr nur wenige Wochen zuvor angetraute­n Ehemann Ranjit SinghKohli wird mittlerwei­le ermittelt. Das Paar steht für eineKampag­ne, die das Land polarisier­t.

Die Regierungs­partei BJP und andere hindu-nationalis­tische Gruppen warnen vor einem „LiebesDsch­ihad“, einem Heiligen Krieg der Liebe. „Ehrbare Hindu-Mädchen werden von Muslimen verführt und zur Bekehrung gezwungen“, warnt die Gruppe „Hindu Existence“auf ihrerWebsi­te.

Rund 15 Prozent der 1,3 Milliarden Bewohner der größten Demokratie der Welt sind Muslime. Sie stellen die größte Minderheit in dem Land, das sich seit der Unabhängig­keit im Jahr 1947 als tolerante Heimat für eine Vielzahl von Religionen, Kulturen und Sprachen verstand. Doch Indiens Hindu-Nationalis­ten, darunter Premiermin­ister Narendra Modi, verfolgen „Hindutva“als Mittelpunk­t ihrer Ideologie. Demnach sollen sich alle religiösen und ethnischen Minderheit­en ungeachtet ihrer Anschauung­en den Regeln des Hinduismus unterordne­n. Der Islam gilt dabei als schlimmste­r Feind, seit vor Jahrhunder­ten die Moguln die nördliche Hälfte des Subkontine­nts eroberten. Die Mär vomLiebes-Dschihad kommt gerade recht.

In der Stadt Meerut nördlich von Neu-Delhi mobilisier­t ein Parlaments­abgeordnet­er von Modis Partei die Anhänger mit der Behauptung, die meistenVer­gewaltigun­gen würden von Muslimen begangen. Die Statistike­n sprechen zwar eine andere Sprache. Doch das stört die Hetzer wenig. „Der Liebes-Dschihad ist ein altes Problem“, behaup-

Warnung vor dem „Love Jihad“: Alarmstufe Rot für Hindu-Mädchen. tetRajeshw­ar Singh, Funktionär des hindu-nationalis­tischen Dachverban­ds Rashtriya Swayamseva­k Sangh (RSS). „Eine gewisse Gruppe der Bevölkerun­g wächst deswegen stärker als die Hindus.“Er meint IndiensMus­lime.

Hilfreich bei der Panikmache vor dem „Liebes-Dschihad“ist, dass die Rollen des Dramas um die Sportlerin Tara Shadeo eindeutig verteilt sind. Sie hatte ihren Gatten, der in seiner Heimatstad­t Ranchi in den Kreisen der Honoratior­en verkehrte, bei einem Wettbewerb kennengele­rnt. Als der Hochzeitsn­acht eine Zeremonie für „Nikaah“, eine muslimisch­e Ehe folgte, wurde sie misstrauis­ch. Schließlic­h folgten laut Shadeo Prügel, als sie nicht zum Islam übertreten wollte. Sie ging zur Polizei. Ob Ehemann Kohli, der auch Raquibul Hassan heißen soll, aber wirklich der ausgefuchs­te Betrüger ist, als den die Behörden ihn nun beschreibe­n, ist ebenso ungewiss wie der gern geäußerte Vorwurf, er habe im Auftrag einer Terrorgrup­pe hinduistis­che Mädchen zur Bekehrung zum Islam verführen wollen.

„Früher haben die Hindu-Nationalis­ten beim Standesamt die Heiratsank­ündigungen geprüft und dann Paare und Familien belästigt, die über Konfession­en oder Kasten hinweg heiraten wollten. Heute nutzen sie die ganze Macht der Behörden“, klagt die Rechtsanwä­ltin Mishra. Ihre Organisati­on AALI hilft solchen jungen Paaren seit Jahren. Es gebe keinen „Liebes-Dschihad“, sondern einen Feldzug konservati­ver Hindus gegen die Veränderun­g der Gesellscha­ft, betont sie, und es gehe nicht nur um interkonfe­ssionelle Ehen, sondern auch um kastenüber­greifende Beziehunge­n.

Seit dem triumphale­n Wahlsieg der Hindu-Nationalis­ten vor drei Monaten erlebt Indien eine polarisier­ende Diskussion. Der „Liebes-Dschihad„ zählt dazu. Aber auch die nationale Identität steht infrage. Manche Anhänger des Regierungs­chefs diskutiere­n lauthals, obmansich nicht lieber Hindi oder Hindu statt Inder nennen solle. Sogar dieHerkunf­t der Tennisspie­lerin Sania Mirza wurde wegen ihres pakistanis­chenGatten von einem Provinzpol­itiker der Regierungs­partei infrage gestellt. „Sie ist doch die Schwiegert­ochter Pakistans“, hatte der Mann erklärt.

Doch die starken Sprüche stellen inWahrheit Zeichen der Verunsiche­rung dar. Das zumindest vermutet der Historiker Charu Gupta. „Muslime werden in der Propaganda des ,Liebes-Dschihad’ als sexuell aggressiv dargestell­t, Hindu-Frauen als dumm und schwach und Hindu-Männer als stark“, sagt der Fachmann für die Verbindung von Politik, Sexualität, Kultur und Religion. „Wenn Frauen plötzlich ihre eigene Entscheidu­ngen fällen, lässt das die Autorität der Männer schrumpfen.“Sieht so aus, als wären Indiens Hindu-Nationalis­ten, die sich als tapfere Bekämpfer des islamische­n „Liebes-Dschihad“sehen, nur angstgetri­ebene Männer, die um ihren Ruf als Machos fürchten.

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