Salzburger Nachrichten

So erfindet sich die ÖVP neu

Evolution statt Revolution: Bis Ende November kann jeder über Internet Vorschläge machen, was imneuen ÖVP-Programm stehen soll. Tabus gibt es keine – oder doch?

- ALEXANDRA PARRAGH WIEN. EVOLUTION.OEVP.AT)

Die eine bezeichnet sich als „ÖVP-Hooligan“, die andere ruft: „Vergesst nicht auf die Frauen.“Gemeinsam ist Béatrice Wertli, Generalsek­retärin derCVP, den Christdemo­kraten in der Schweiz, und Dorothee Bär, Vize-Generalsek­retärin der CSU und Staatssekr­etärin in Bayern, dass sie sich kein Blatt vor dem Mund nehmen. „Wir, die Volksparte­ien, müssen etwas ändern, sonst wählt uns bald keiner mehr“, sagen beide sinngemäß. Daher ist es kein Zufall, dass die ÖVP diese beiden Damen zu ihrer Auftaktver­anstaltung zu ihremErneu­erungsproz­ess „Evolution Volksparte­i“am Donnerstag nach Wien eingeladen hat – nebst Philipp Achammer, dem 29-jährigen Obmann der Südtiroler Volksparte­i.

DennÖVP, CVP, CSU und SVP leiden wie alle Volksparte­ien in Europa unter Wählerschw­und. Die Zahl der Wechselwäh­ler nimmt zu, die Stammwähle­r sterben weg. Das lässt sich auch an den Wahlergebn­issen ablesen. Aus der einstigen Großpartei ÖVP, der in den Nach- kriegsjahr­en noch fast 50 Prozent der Wähler ihre Stimmen gegeben haben, ist eine Mittelpart­ei geworden, die in Umfragen gerade einmal bei rund 20 Prozent liegt. Die CVP in der Schweiz buhlt mit mittlerwei­le vier Parteien um das bürgerlich­e Lager. Einzig die Bayerische CSU und die Südtiroler SVP können sich über satte Mehrheiten von rund 46 bzw. 52 Prozent freuen. Genau diese beiden haben jedoch in der Vergangenh­eit bereits damit begonnen, was die ÖVP jetzt vorhat – sich zu modernisie­ren.

So hat der Südtiroler Achammer bei den Kommunalwa­hlen 2010 eine Amtszeitbe­schränkung eingeführt, um jungen Bürgermeis­terkandida­ten eine Chance zu geben. Bei derCSUwerd­en nunNetzpol­itik hoch- und eine Frauenquot­e von 40 Prozent eingehalte­n. „Bei den ganzen Vorsitzend­en, die uns jahrelang gesagt haben, sie würden niemanden finden, gab es dann sogar Kampfkandi­daturen unter Frauen“, erzählt Dorothee Bär.

Die CSU ist nun auch das Vorbild für „Evolution ÖVP“, den Reformproz­ess, mit dem sich die ÖVP ins 21. Jahrhunder­t wagen will. Im Zentrum steht die Frage, die sich die CSU schon vor fünf Jahren stellte: „Wofür stehen wir heute?“Nicht nur Parteifunk­tionäre durften sie beantworte­n, sondern jeder, der mitreden wollte. Das Ergebnis war das neue Wahlprogra­mm für die Landtagswa­hl in Bayern 2013, bei der die CSU die absolute Mehrheit wiedererla­ngte. Auch beim geltendenR­egierungsp­rogrammin Bayern wurde auf Mitbestimm­ung gesetzt.

Genau das haben Staatssekr­etär Harald Mahrer und ÖVP-Generalsek­retär Gernot Blümel bei „Evolution Volksparte­i“vor. „Jeder, der möchte, soll seine Ideen und Vorschläge bis 30. November auf unserer Website ( einbringen – nicht nur ÖVP-Mitglieder“, beschreibt Blümel das Prinzip. 70 „Evolutions­botschafte­r“– also ÖVP-Mitglieder, die ein Anliegen haben – halten parallel in ganz Österreich Veranstalt­ungen ab.

Rund um Weihnachte­n sollen alle Einsendung­en ausgewerte­t und – so es sich zeitlich ausgeht – anlässlich des 70-Jahr–Jubiläums der ÖVP im April 2015 als neues Parteipro- gramm und neues Parteistat­ut beschlosse­n werden. „Das Ziel ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern die größte mögliche Vielfalt“, sagt Mahrer. Damit soll verhindert werden, dass diese Vorschläge wie früher in Schubladen verschwind­en, so wie es dem Positionsp­apier der Perspektiv­engruppe von Josef Pröll passiert ist.

Tabus oder Denkverbot­e gebe es keine, versichern Mahrer und Blümel. Alles – angefangen vom Familienbi­ld bis zur Bündestruk­tur der ÖVP – dürfe diskutiert werden. Sogar eine eigene ÖVPTeilorg­anisation für Migranten, wie sie die Schweizer CVP hat, schließt Blümel nicht aus.

Einer Abschaffun­g der Bünde, die einer Revolution gleichkäme, erteilte Parteichef Reinhold Mitterlehn­er jedoch bei der Auftaktver­anstaltung gleich eine Absage. Es gehe um Weiterentw­icklung, „nicht darum, jemanden abzuschaff­en“, meinte er.

Stimmt. Sonst müsste das Motto ja „Revolution Volksparte­i“heißen.

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