In einerWelt der Unordnung
Binnen weniger Jahre sind alle Träume von einer Partnerschaft mit Russland zerstoben. Angesichts der Aggression Moskaus gegen die Ukraine muss die NATO umsteuern.
NEWPORT. Begleitet von Drohungen aus Moskau bereitet sich die NATO auf eine mögliche neue Ära der Konfrontation vor. Die 28 Staatsund Regierungschefs der Allianz kamen am Donnerstag im walisischen Newport zusammen, um die Truppenpräsenz in östlichen Bündnisstaaten zu verstärken und eine schnelle Eingreiftruppe gegen Aggressoren an ihren Grenzen aufzustellen. Die Führung in Moskau warnte das Bündnis in aller Schärfe, die Ukraine als Mitglied aufzunehmen und die Gründungsakte des NATO-Russland-Rates von Mai 1997 aufzukündigen.
Wie schnell die Zeiten sich ändern! Als sich die NATO 2010 zu ihrem Gipfeltreffen in Lissabon traf, sprach Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen von einem der wichtigsten Treffen in der Geschichte des Atlantischen Bündnisses. Die NATO gab sich damals eine neue Strategie für das 21. Jahrhundert und lud Russland zur Koopera- tion beim Aufbau einer Raketenabwehr gegen Problemstaaten wie den Iran ein.
Diplomaten träumten damals von einem „Verteidigungssystem von Vancouver bis Wladiwostok“. Der russische Präsident Dmitrij Medwedew, den dieNATOnach Lissabon eingeladen hatte, nannte den Gipfel ein „historisches Ereignis“.
Politische Rhetorik wie imKalten Krieg
Die Welt schien Ordnung zu sein.
Vier Jahre später spricht Rasmussen wieder von einem der wichtigsten Gipfel in der Geschichte der NATO. Aber sonst ist alles ganz anders: Der russische Präsident heißt wieder Wladimir Putin. Und die Beziehungen zwischen Russland und der NATO sind auf einem Niveau angelangt, das an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert.
Inzwischen wird nicht mehr über ein Raketenabwehrsystem mit
einigermaßen
in Russland, sondern über eines gegen Russland gesprochen. Die Welt ist in Unordnung, und die NATO kann ihre vor vier Jahren konzipierte Strategie im Grunde schon wieder über den Haufen werfen.
Bei ihrem zweitägigen Treffen in Newport müssen die Staats- und Regierungschefs der 28 NATO-Mitgliedsstaaten erst einmal eine angemessene Antwort auf die UkraineKrise geben. Tagelang wurde vor dem Treffen rhetorisch aufgerüstet. Die Europäische Union erklärte, Russland sei kein strategischer Partner mehr. Rasmussen warf Moskau vor, offen in der Ostukraine zu intervenieren.
Die NATO will vonWales aus ein klares Signal in Richtung Moskau senden. Fest steht, dass die NATOTruppen in Europa in die Lage versetzt werden sollen, schneller auf Krisen zu reagieren. Künftig soll die Einsatzbereitschaft von mehreren Tausend Soldaten inwenigen Tagen hergestellt werden können. Zudem will die NATO ihre Aufklärungssysteme ausbauen, die Verteidigungs- pläne überarbeiten und ihre Manöver verstärken.
Nicht einig ist sich das Bündnis bei allem, was darüber hinausgeht. Aus Polen und den baltischen Staaten, die direkt an Russland grenzen, kommt die Forderung nach einer permanenten Truppenverstärkung im Osten des NATO-Gebiets. Auch die Aufkündigung des Vertrags von 1997, der das Verhältnis zwischen der NATO und Russland regelt (NATO-Russland-Akte), ist im Gespräch. Deutschland und Frankreich wollen das unbedingt verhindern. Bundeskanzlerin AngelaMerkel und Präsident François Hollande sind darauf bedacht, dass in Newport das Säbelrasseln nicht zu laut wird.
Kurzfristig rückte der Terror des Islamischen Staats (IS) im Irak und in Syrien auf die Tagesordnung des NATO-Gipfels. US-Präsident Barack Obama will für eine möglichst große internationale Koalition dagegen werben. Einbezogen werden sollen auch Länder außerhalb der NATO, etwa Saudi-Arabien.