„Rrr Rrrr rehoboam salamanasar“
Das geht heute im Musiktheater auch: Zwei Kindsköpfe schreiben eine lustige Anti-Oper.
Das Motto, das sich der Innsbrucker Komponist Johannes Maria Staud und sein Librettist, Büchnerpreisträger Durs Grünbein, ausgesucht haben, ist simpel: Nur ja nicht bei einer Sache, einem Sinnzusammenhang, einem Thema zu lange verweilen. Nur rasch immer weiter auf ungewohntes, ungeahntes Terrain!
Doch, es gibt schon so etwas wie eine Rahmenhandlung, die Geschichte des frustrierten jungen Finanzers Victor, der sich bei einer Geschäftsfeier aus dem Fenster stürzt, fortan seltsame Dinge erlebt und meist in Fantasiesprachen, aber auch wirklichem Esperanto spricht beziehungsweise singt. Victor macht wahrlich viel mit, er wird zum Beispiel von drei grauenhaften Clowns, die offenbar auch Ärzte sind, untersucht. Dann begegnet er einem komischen Pärchen, vereinsamten Fräuleins, später lungert er im Zoo herum oder hockt resigniert auf dem Boden.
Aber auch seine Zeitgenossen haben es mit Victor nicht leicht, er reagiert einfach nicht oder wenn doch, dann wird es gleich kompliziert. Die junge Frau mit ihremSohn trifft er gleich zwei Mal, beim letztenMeeting zieht sie rasch das Kind fort und nennt es „Victor“. Logo!
Alles, was einem während der Aufführung an (Be-)Deutung so durch die Rübe rast, ist derKern dieses kernlosen, aber durchaus kernigen Stücks. Der vielfach prämierte Durs Grünbein ist sich bei seiner „Antilope“für kaum eine Zote zu schade. Aber das ist der Punkt: Grünbeins oft hoch artifizielle, pathetische Sprachbilder rutschen ins Triviale, manchmal direkt in die Gosse. Da singt man etwa über ein „von Hunden bepisstes“Kunstwerk, aus dem plötzlich eine Frau herausschaut und im Stile von Ligetis „Le GrandMacabre“singt – Carla Maffioletti macht das hinreißend.
Eine Textprobe? „Rrr Rrrr rehoboam salamanasar.“Das ist übrigens reinstes Antilopisch, welches auch unser Victor beherrscht. Rund um die musikalische Skulptur positioniert Grünbein eine kleine, böse Tirade gegen aktuelle ästhetische Debatten, aber sonst herrscht blankes Kasperltheater mit gelegentlich gruseligenMomenten.
Dominique Mentha inszenierte die lose Episodenfolge punktgenau und flüssig, die Festgesellschaft trägt schwarze Tiermasken, das singende, klingende Kunstwerk wirkt wie eine Parodie auf Futurismus und Vortizismus.
Gesungen wird ausnehmend gut, Todd Boyce beherrscht als Victor alle nötigen vokalen Tricks und Kniffe, Jutta Maria Böhnert brilliert mit ihrem schmelzenden Sopran gleich in mehreren Partien. Dirigent Howard Arman legt sich mit dem Luzerner Sinfonieorchester mächtig ins Zeug, was auch nötig ist, denn Staud schuf einen fächerhaften, überreichen Soundtrack mit Tanzelementen, kreisenden und kreiselnden Klangflächen. Das SWRExperimentalstudio liefert dazu elektronische Raummusik, von verzerrten, gequetschten Streicherklängen über Geräusche bis zu spacigem Gerumpel. Stauds Stil: gebrochene Süffigkeit.
Die 75 turbulenten Minuten rutschen und flutschen äußerst angenehm runter. Fazit dieser Oper in sechs Bildern: Zwei Kindsköpfe schreiben eine lustige Anti-Oper. Am Luzerner Theater war am Mittwoch Uraufführung, zweiter Spielort ist die Stadt des Karnevals, Köln.