Behindertenpässe sind begehrt
Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte haben ein Problem: Sie finden häufig keine Lücke mehr auf Behindertenparkplätzen. Warum die Zahl der Parkausweise für Behinderte so rasant steigt.
Nur ein kleines Zahlenspiel: Im Jahr 2007 gab es österreichweit 228.690 Behindertenpässe. Im Jahr 2010 waren es 282.242 und im Vorjahr 325.082. Tendenz stark steigend. Ähnlich ist die Situation bei den Parkausweisen für Behinderte: Von Jänner bis Juli 2014 seien rund 25.000 Neuausstellungen verzeichnet worden, heißt es aus dem Büro von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ). Wie viele Parkausweise für Behinderte insgesamt imUmlauf sind, ist unbekannt. Schätzungen zufolge jedenfalls annähernd 150.000.
Und wie viele Behinderten-Parkausweise missbräuchlich von Angehörigen verwendet werden, weiß überhaupt niemand. Ein prominenter Fall sorgte im Jahr 2011 für Aufregung: Das Auto des damaligen ÖVP-Abgeordneten Norbert Kapeller war mit einem Behindertenausweis eines verstorbenen Verwandten auf einem Behindertenparkplatz abgestellt. Wegen dieser Causa wurde auch das Gesetz geändert. Parkausweise, die vor dem Jahr 2001 ausgestellt wurden und noch kein Lichtbild haben, verlieren mit Ende 2015 ihre Gültigkeit. Sie müssen nun – seit Anfang 2014 – beim Bundessozialamt und nicht mehr bei Bezirkshauptmannschaft oder Magistrat neu beantragt werden.
Auch der Kreis der Anspruchsberechtigten wurde erweitert: Erhielten früher nur dauernd schwer Gehbehinderte einen Ausweis, so sind es jetzt alle, denen die „Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung“unzumutbar ist – das sind auch Blinde sowie bestimmte psychisch und chronisch kranke Menschen. Die Folge: „Es herrscht ein totaler Run auf Parkausweise. Wir sind mit den vielen Anträgen ziemlich überfordert und kommen kaum nach“, erzählt ein zuständiger Beamter im Bundessozialamt, der anonym bleiben wollte. „Viele probieren es einfach. Wir lehnen fast dieHälfte der Ansuchen ab.“So reiche heute ein Bandscheibenvorfall nicht mehr aus, um eine dauer- Rund 150.000 Parkausweise für behinderte Menschen gibt es in Österreich. hafte Behinderung von mindestens 50 Prozent zu begründen. Auch bei Zwangsneurosen, wie etwa Klaustrophobie, müsse eine jahrelange Therapie nachgewiesen werden, damit ein Behinderten-Parkausweis genehmigt werde.
Eine Statistik darüber, aufgrund welcher Leiden Parkausweise gewährt werden, existiert nicht. Den Fachbeamten zufolge liegen die Gründe für die vielen Ansuchen auch an der immer älter und ge- brechlicher werdenden Bevölkerung und der steigenden Zahl an Krebserkrankungen. Jedenfalls beschweren sich in den Ämtern immer öfter Rollstuhlfahrer und gehbehinderte Menschen, dass die für sie dringend notwendigen großen und breiten Parkplätze durch andere Anspruchsberechtigte dauerhaft zugeparkt sind.
Insider berichten, dass die Ansuchen um Behinderten-Parkausweise seit derAusweitung der Kurzparkzonen und der kostenpflichtigen Parkpickerl in Wien schlagartig zugenommen hätten. Immerhin kann man damit sein Auto in allen Bezirken unbefristet kostenlos abstellen. Ähnlich ist die Situation in Graz, wo die Parkpreise zuletzt um50 Prozent erhöht wurden. Analog zu den Parkausweisen steigt auch die Zahl der Gratisvignetten. Wurden im Jahr 2007 noch 37.602 Stück für auf behinderte Menschen zugelassene Fahrzeuge ausgegeben, so waren es im Vorjahr bereits 59.534 Stück. Und auch um einen „normalen“Behindertenpass ohne Parkgenehmigung lohnt sich das Ansuchen: Bei vielen Kultur- und Freizeitbetrieben winken bis zu 50 Prozent Eintrittsermäßigung. Das Hauptmotiv sei aber, dassMedikamente, Kuren, Massagen und sonstige medizinische Anwendungen beim Lohnsteuerausgleich abgeschrieben werden könnten, erzählt der Beamte. Ob er den Verdacht hege, dass Behinderungen manchmal vorgetäuscht werden, um Vorteile zu ziehen? „Wir fragen uns schon, warum es so viele behinderteMenschen gibt.“