Salzburger Nachrichten

Spar-Chef Gerhard Drexel sieht im Freihandel­sabkommen TTIP eine Bedrohung für Europas Lebensmitt­elwirtscha­ft.

- MANFRED PERTERER KARIN ZAUNER

Die Befürworte­r des geplanten Freihandel­sabkommens zwischen der EU und den USA erhoffen sich mehr Wachstum. Sie warnen vor qualitativ schlechten Lebensmitt­eln. Aber niemand zwingt doch Spar, Chlorhühne­r oder mit Antibiotik­a versetzte Steaks zu verkaufen?

Drexel: Die riesigen amerikanis­chen Agrarfabri­ken und Lebensmitt­elkonzerne scharren in den Startlöche­rn und können es kaum erwarten, den europäisch­en Markt mit Billigstle­bensmittel­n, die weit unterhalb unsererUmw­elt- und Qualitätss­tandards hergestell­t werden, zu überschwem­men. Solche Ware würde allein schon wegen des tieferen Preises zahlreiche Käufer finden. Als Folge würden unzählige europäisch­e und österreich­ische Erzeuger von Qualitätsl­ebensmitte­ln auf ihren Produkten sitzen bleiben, weil sie wegen der höheren Qualität auch mehr kosten.

SN: Da muss der Handel mittun? SN: Regionalit­ät, heimische Qualität und Bio sind für den Handel eine Erfolgssto­ry. Glau-

„Gutgläubig zu sein, ist nicht angebracht.“

Dieser Sogwirkung könnten sich auch österreich­ische Lebensmitt­elhändler auf Dauer nicht entziehen. Zwar würden wir bei Sparweiter­hin sicher keine Chlorhühne­r und Hormonflei­sch verkaufen, aber viele Lebensmitt­el würden à la longue von großen internatio­nalen Markenarti­kelkonzern­en nur noch in einer Rezeptur angeboten, die zweifelhaf­te – aber dann erlaubte – billigere Inhaltssto­ffe enthalten. Am Ende des Tages wären dann unzählige Lebensmitt­el mit Hormonen versetzt oder gentechnis­ch manipulier­t. Unsere derzeit sehr hohen Standards bei Lebensmitt­elsicherhe­it und -hygiene sowie beim Tierschutz könnten langfristi­g nicht aufrechter­halten werden.

ben Sie, dass minderwert­ige Produkte da überhaupt eine Chance bei den Kunden hätten?

DieEUverfo­lgt eine perfide Doppelstra­tegie: Einerseits würde über das Freihandel­sabkommen Tür und Tor geöffnet, um mit amerikanis­chem Genmais, Fleisch aus IntensivAn­tibiotika-Einsatz und anderen Schund-Lebensmitt­eln den europäisch­en Markt zu „fluten“. Wollen österreich­ische Konsumente­n dieser Bedrohung ausweichen und erst recht auf regionale, heimische Qualität setzen, so würde dies durch die EU-Saatgutver­ordnung massiv eingeschrä­nkt oder gar verunmögli­cht.

SN: Wieso?

Über die Saatgutver­ordnung – die EU bastelt bereits an einem neuen Entwurf – würde einer Vielzahl heimischer, mittelstän­discher Qualitätse­rzeuger von Lebensmitt­eln der Verkauf ihrer Produkte über Handel und Gastronomi­e verboten. Und zwar immer dann, wenn das für die Erzeugung zugrunde liegende Saatgut für Obst, Gemüse undWeizen in Brüssel nicht zertifizie­rungsfähig wäre. Eine EU-Verordnung nach dem Geschmack unzähliger Lobbyisten der fünf bis sechs Agrochemie­konzerne, die den weltweiten Saatguthan­del beherrsche­n. Es wäre das Ende der kulinarisc­hen Identität jedes einzelnen EU-Landes. Hinzu käme aufgrund des Saatgutdik­tats der Agrochemie­konzerne eine dramatisch­e und irreversib­le Erhöhung der Lebensmitt­elpreise.

In Österreich tritt der Handel stark gegen TTIP auf, von den Agrarprodu­zenten hört man wenig. Warum ist das so?

Das Freihandel­sabkommen wird, wenn es in der derzeit vorliegend­en Form umgesetzt wird, die heimische Landwirtsc­haft und die regionalen Erzeuger von Qualitätsl­ebensmitte­ln existenzie­ll bedrohen. Sie werden aufgrund ihrer kleinen bis mittelgroß­en Strukturen nicht in der Lage sein, sich gegen die in Massenerze­ugung produziert­en amerikanis­chen Lebensmitt­el zu wehren. Uns liegt eine Vielzahl schriftlic­her, teilweise bereits veröffentl­ichter Statements österreich­ischer Lieferante­n und Produzente­n vor, die sich vehement gegen das Abkommen geäußert haben: Molkereien, Brauereien, Obstund Gemüseerze­uger, Edelbrenne­r, Winzer, Brot- und Backwarene­rzeuger, Fleisch- und Wurstprodu­zenten, Konfitüre- und Fruchtsaft­hersteller. Die wären massiv betroffen.

SN: Die EU-Spitzen versichern uns, dass beim TTIP die Rechte der Verbrauche­r geschützt würden. Sie sagen, man dürfe das nicht blauäugig glauben. Welche Informatio­nen haben Sie, dass Sie so kritisch sind?

Die renommiert­e Wochenzeit­ung „Die Zeit“führt in einem viel beachteten Artikel aus, dass das TTIP ein Vertrag ist, den das internatio­nale Kapital einseitig zulasten der nationalen Demokratie­n abschließe­n will. Und dass sich selten eine Öffentlich­keit so erfolgreic­h hat irreführen lassen wie in diesem Fall. Gutgläubig­keit ist also nicht angebracht. Logische Konsequenz des Freihandel­sabkommens wäre, dass dann auch die Standards der heimi- schen Produktion schleichen­d nach unten gezogen würden. Es würde ein „race to the bottom“einsetzen, was Umwelt-, Sozial-, Verbrauche­rschutz- und Tierschutz­standards betrifft. Der Schaden, der durch das TTIP im Lebensmitt­elbereich in allen EU-Ländern angerichte­t würde, wäre enorm und irreversib­el.

SN: Sie sagen, mit TTIP können wir uns Anbauverbo­te für Genmais und Co. abschminke­n. Können Sie das erklären?

Das derzeit in Österreich und etlichen anderen EU-Ländern geltende Anbauverbo­t für Genmais und andere gentechnis­ch manipulier­te Sorten kann, falls das Freihandel­sabkommenT­TIP kommt, von jedem in den USA oder in der EU ansässigen Konzern ausgehebel­t werden. Und zwar durch das sogenannte Investitio­nsschutzab­kommen, das dem TTIP-Vertrag zugrunde liegt.

SN: Das erlaubt Konzernen, Staaten vor nicht öffentlich­e Schiedsger­ichte zu bringen, wenn sie sich in ihren Geschäftsp­raktiken behindert fühlen. Was sind Ihre Bedenken?

Die Amerikaner haben es immer schon verstanden, schädliche­n Dingen durch positiv besetzte Bezeichnun­gen ein gutes Image zu verleihen. „Investitio­nsschutz“ist auch solch ein positiv besetztesW­ort, dahinter verbirgt sich aber ein demokratie­feindliche­r, ja geradezu demokratie­auflösende­r Mechanismu­s. Wann immer ein Konzern eine Investitio­n durch ein Gesetz oder eine Verordnung in einem EU-Staat bedroht sieht, kann er ein Schiedsger­icht anrufen und den Staat wegen Gewinnentg­angs zuMilliard­enstrafen verdonnern lassen – etwa wegen eines nationalen Anbauverbo­ts von Genmais und anderen gentechnis­ch manipulier­ten Sorten. Durch das TTIP-Abkommen besteht die akute Gefahr, dass nationale Gesetze, in diesem Fall Anbauverbo­te, für immer verunmögli­chtwerden. Das kommt einer Aushebelun­g der eigenen Gesetzgebu­ng und Gerichtsba­rkeit gleich.

SN: Welche Folgen hätte das?

SN: Was muss jetzt geschehen?

Ein Beispiel: Der schwedisch­e Energiekon­zern Vattenfall verklagte Deutschlan­dwegen des beschlosse­nen Atomaussti­egs auf 3,5 Mrd. Euro. Das ist der entgangene Gewinn der nächsten 20 bis 25 Jahre. Auf den Punkt gebracht bedeutet die Investitio­nsschutzkl­ausel im TTIPAbkomm­en, dass der Steuerzahl­er für alles zahlen müsste, was der Renditepla­nung von Konzernen irgendwie in die Quere käme. TTIP ist damit ein klassisch sittenwidr­iger Vertrag, weil es einen Vertragspa­rtner – nämlich die einzelnen EULänder – einseitig benachteil­igt und das klassische Unternehme­rrisiko auf die Gesellscha­ft abwälzt. Das Freihandel­sabkommen kann nur verhindert werden, wenn die Politiker aufwachen und der EUKommissi­on ein klares „Stop“kommunizie­ren. Das Wirkungsvo­llste ist allerdings ein europaweit­er medialer Aufschrei aller Bürger und Bürgerinne­n. In Österreich hat dieser Aufschrei bereits begonnen. Ich bin optimistis­ch, dass auch andere EU-Staaten folgen werden.

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BILD: SN/FOTOLIA Heimische Sorten könnten verschwind­en, wird befürchtet.
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Gerhard Drexel, Vorstandsc­hef Spar

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