Die Rätsel im Kalkül von Welser-Möst
Der Rücktritt des Generalmusikdirektors der Wiener Staatsoper wirft viele Fragen auf.
Die Erklärungen über Ursachen undMotive des Rücktritts von Franz Welser-Möst sind karg (siehe Zitat unten). „Es gibt Differenzen über die künstlerische Ausrichtung des Hauses, die nicht von heute auf morgen entstanden sind“, sagte Welser-Möst der APA. Er habe den Entschluss nicht ad hoc gefasst, sondern dieser sei langsamgereift.
„Ich habe den Direktor dann heute früh um 10 Uhr persönlich davon informiert und ihm auch mein Rücktrittsschreiben überreicht. Er hat gefasst und ruhig reagiert. Er hat nichts gesagt“, sagte WelserMöst. Über Details der künstlerischen Differenzen wolle er nichts weiter ausführen als das: „Da geht es um Sänger und Dirigenten, da geht es um den ganzen Bereich, der die künstlerische Ausrichtung des Hauses ausmacht.“
Zerkrachte Ehe?
Mehrere Beobachter der Wiener Staatsoper berichten, dass es in jüngster Zeit Missstimmung zwischen Direktor Dominique Meyer und Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst gegeben habe. Ein Beobachter sagte, die beiden seien „wie ein altes Ehepaar, das nicht mehr miteinander spricht“.
Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ), der am Freitag so überraschend wie die Medien vom Rücktritt FranzWelser-Mösts informiert worden war, versuchte noch zu kalmieren. Doch Welser-Möst habe klipp und klar gesagt, seine Entscheidung sei unumstößlich, erläuterte Matthias Euler-Rolle, der Sprecher des Ministers.
Machtkampf?
Dass FranzWelser-Möst in derWiener Staatsoper mehr sein konnte und wollte als einfacher Dirigent, ist verständlich, weil er bereits selbst einmal gute Aussichten auf den Direktorsposten hatte. Dies be- richtet der frühere Staatsoperndirektor Ioan Holender in seinen „Erinnerungen“(Zsolnay Verlag, Wien 2010): „Zwischen dem damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Staatssekretär Morak und mir war mehr oder weniger fix vereinbart gewesen, Franz Welser-Möst als meinen Nachfolger an die Spitze der Wiener Staatsoper zu berufen.“Doch als Claudia Schmied (SPÖ) Ministerin geworden war, entschied sich diese für DominiqueMeyer.
Allerdings – auch das schildert Holender – hatte auch Rudolf Scholten von der SPÖ bereits Welser-Möst den Direktorsposten in Aussicht gestellt. Weil Schmied aber auf Dominique Meyer setzte, blieb für FranzWelser-Möst nur der zweite Posten.
Der schöne Titel „Generalmusikdirektor“trügt. Formal sind die zwei obersten Posten der Wiener Staatsoper der künstlerische Direktor (derzeit Dominique Meyer) und der kaufmännische Direktor (Thomas Platzer).
Außerdem: Ein Musikdirektor ist für die Wiener Staatsoper gar nicht unbedingt vorgesehen. Folglich entscheidet auch über eine etwaige Nachbesetzung nicht der Kulturminister, nicht der BundestheaterHolding-Chef, sondern der Staatsoperndirektor selbst. Ihm stünde es sogar frei, keinen Musikchef mehr zu bestellen.
Künstlerische Divergenzen?
Franz Welser-Möst nannte selbst am Freitag als Grund für seinen Rücktritt die „seit längerer Zeit bestehenden Auffassungsunterschiede in künstlerischen Belangen“.
Könnte es Probleme mit dem Repertoirebetrieb geben? Von Dominique Meyer wird berichtet, dass er den riesigen Ensemble- und Repertoirebetrieb nicht optimal beherrsche und mehr und mehr Elemente des Stagione-Systems einführe. Er holte etwa Gastspiele an dieWiener Staatsoper, „La Traviata“aus Aix und „Adriana Lecouvreur“aus London – beide waren als „Premieren“ausgeschildert, tatsächlich waren sie fertige Produktionen, die sogar im Fernsehen gelaufen waren. Meyer engagierte auch ein hausfremdes Barockorchester für Barockoper, während die Wiener Philharmoniker auf Tournee gingen.
Schon in der ersten Phase seiner Arbeit als Generalmusikdirektor in Wien kam es zu Missstimmungen wegen des Regisseurs von Mozarts Da-Ponte-Opern. Der Zyklus wurde abgebrochen, „Così fan tutte“wurde aus dem Programm genommen.
Krach mit Opernorchester?
Wenn ein Hausdirigent mit dem Hausorchester zerkrachtwäre, wäre dies Grund genug für einen Rücktritt. Doch bei Franz Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern wird das Gegenteil sichtbar: Zwei Mal leitete er das Neujahrskonzert. Und ein musikalisches Ereignis wie der „Rosenkavalier“bei den Salzburger Festspielen ist nur möglich, wenn zwischen den Partnern bestes Einvernehmen herrscht.
Finanzdebakel?
Nach dem Finanzdebakel im Burgtheater wurden Vermutungen laut, es könnte auch in der Wiener Staatsoper es zu einem Knalleffekt kommen. Dominique Meyer sagte Anfang September warnend im „Standard“: „Unsere Arbeit besteht darin, das Steuergeld sinnvoll und sparsam einzusetzen. Ohne Basiserhöhung wird das nicht machbar sein.“Könnte das heißen: Franz Welser-Möst verließe ein sinkendes Schiff, bevor es brenzlig wird?
Denkt man dies im Sinne eines Karrierekalküls weiter, könnteWelser-Möst nach einem etwaigen Debakel als Retter zurückkehren und werden, was er seit Langem anstrebt: alleiniger Direktor.
Andere Posten?
Gibt FranzWelser-Möst die Wiener Staatsoper auf, um einen besseren Posten zu bekommen? Dies erscheint unwahrscheinlich. Denn er scheint beim Cleveland Orchestra erfolgreich und zufrieden. Wohin sollte er wechseln? Zudem dürfte Welser-Möst mit seiner abrupten Absage inWien auf viel Geld an Jahres- und Abendgagen verzichten.
Launischer Künstler?
Immer wieder ist Franz WelserMöst als streitlustig beschrieben worden. Jüngstes Beispiel: seine plötzliche Absage des Da-PonteZyklus bei den Salzburger Festspielen. Alexander Pereira zauberte dann überNacht Christoph Eschenbach aus dem Hut.
Auch an der Wiener Staatsoper hinterlässt er Riesenprobleme, da er am Freitag sämtliche Dirigate für 2014/15 abgesagt hat: 34 Vorstellungen und zwei Premieren, „Rigoletto“und „Elektra“. Schnell einen Ersatz zu finden wird schwierig. Es gibt wenige Dirigenten mit derart breitem Repertoire wie Franz Welser-Möst.