Salzburger Nachrichten

DasMärchen von den Zinsen

- Richard Wiens WWW.SALZBURG.COM/WIENS

Es war einmal . . . – so könnte eine Geschichte über die jüngsten Beschlüsse der Europäisch­en Zentralban­k auch beginnen. Denn die EZB hat den Leitzins faktisch abgeschaff­t und damit Schluss mit dem Märchen gemacht, dass Geld einen Preis hat, der sich im Zins ausdrückt. Die EZB und die übrigen Notenbanke­n in der Welt haben ein Kunststück geschafft: Sie haben Geld entwertet – und das ganz ohne Inflation. Das muss ihnen erst mal jemand nachmachen.

Geld ist in der Wirtschaft längst zu einer Ware geworden, die wie jede andere gehandelt wird. Doch in einer Welt, in der alles einen Preis haben muss, damit ihm ein Wert beigemesse­n wird, ist Geld nun offensicht­lich kein begehrtes Gut mehr. Was nichts kostet, wird nicht gern gekauft. Das zeigt sich daran, dass die Geschäftsb­anken das Geld schnöde zurückweis­en, das ihnen die EZB quasi zum Nulltarif aufdrängt. Und es zeigt sich an der lahmenden Kreditnach­frage von Unternehme­n und Privaten.

0,05 Prozent – es scheint, als näherten wir uns wieder Zeiten, in denen es verpönt war, für das Geldverlei­hen etwas zu verlangen. Über die Rechtferti­gung des Zinses wird seit Aristotele­s nachgedach­t. Er hielt es für unnatürlic­h, dass Geld aus Geld entsteht, und lehnte Zinsen ab. Es dauerte lange, bis sich die Sicht durchsetzt­e, dass der Verleih von Kapital nicht kostenlos sein kann. Aber in der Frage, wofür der Zins entschädig­t, für die Zeit, das Risiko oder für den Profit, sind Ökonomen uneins.

Ganz neue Töne hört man anderswo. „Wir haben uns für die nächsten zwei Jahre vorgenomme­n, den Zins komplett dem Markt und den ökonomisch­en Kräften zu überlassen.“Das Zitat stammt von Jiange Li, Vizechef der Central Huijin Investment und damit ein führender Bankenaufs­eher in China. Da klingt im Reich der Mitte mehr Marktwirts­chaft durch als in den kapitalist­ischen Ländern. Angelehnt an ein chinesisch­es Sprichwort kann man nur sagen: Es sind fürwahr spannende Zeiten, in denen wir leben.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria