Salzburger Nachrichten

Von heiligen Kühen und vermaledei­tenMaulwür­fen

Das Amtsgeheim­nis dient oft als Rote Karte für die Öffentlich­keit. Manchmal wirkt es wie ein Feigenblat­t – besonders im Altpapier.

- RONALD.ESCHER@SALZBURG.COM

In Österreich, allzumal in der Justiz, gibt es nach wie vor eine heilige Kuh: das Amtsgeheim­nis. Darum wird die interessie­rte Öffentlich­keit, namentlich deren nachfragen­der Vertreter, etwa ein Journalist, nicht selten vom Amtsträger mit dem Argument abgeblockt: „Um Gottes Willen, da würde ich mich ja strafbar machen, wenn ich darüber etwas sage!“

Darum wird der Informatio­nsfluss über „Justizspre­cher“kanalisier­t. Manche von ihnen sind sehr engagiert, aber ihre Aufgabe ist undankbar: Auf ihnen lasten nicht selten die scheelen Blicke der eigenen Kollegen: „Wie kannst du ihnen das sagen, aus MEINEM Akt?“

Dass mit dem Amtsgeheim­nis in den Augen des Staatsanwa­lts nicht zu scherzen ist, zeigte sich in dieser Woche wieder einmal, als sich ein führender Kriminalis­t unter dem Vorwurf verantwort­en musste, er habe Journalist­en über die Auffindung einer Leiche informiert. Es ging um den Fall eines unter höchst mysteriöse­n Umständen umgekommen­en prominente­n Rechtsanwa­lts. Kein Fall von „öffentlich­em Interesse“? Wohl schon. Der Kriminalis­t ging dann frei – mangels Beweisen . . .

Nun schützt eisernes Pochen auf das Amtsgeheim­nis nicht nur den verschwieg­enen Amtsträger selbst vor Verfolgung. Es dient vor allem zum Schutz jener Bürger, die vom Amtsträger „beamtshand­elt“werden. Auf den Schreibtis­chen in den Dienstzimm­ern der Justiziare liegen ja ständig „datensensi­ble“Akten, die die Schicksale realer Menschen betreffen.

Und dann hieß es jüngst, es liege in der Gestion der Fachjurist­en in den Amtsstuben, ob die Namen, Daten und Adressen von Informante­n – etwa, wenn sich diese z. B. wegen Neonazi-Umtrieben an den Verfassung­sschutz wenden – just diesen von ihnen angezeigte­n Personen zugänglich gemacht oder „geschwärzt“werden. Solche Akten würden Amtsträger mit spitzen Fingern prüfen, wurde beschwicht­igt.

Wenn man nun in den letzten Tagen hörte, wie sorglos und schlampig sensible Aktenstück­e – Anklageent­würfe, Observatio­nsberichte, Vernehmung­sprotokoll­e, Datenblätt­er zu Beschuldig­ten usw. – ungeschwär­zt und ungeschred­dert vonseiten der Justiz im Altpapierc­ontainer gleich neben dem Wiener „Gerichtswi­rtshaus“entsorgt wurden, so relativier­en sich Beschwörun­gen der „heiligen Kuh Amtsgeheim­nis“gewaltig. Wenn man jetzt plötzlich draufkommt, dass es bei den Justizbehö­rden einer eigenen, gesicherte­n Abfallwirt­schaft bedarf, so hat das ebenso possenhaft­en Charakter, wie wenn man hört, dass an die Richter- schaft im Grauen Haus nun Schachteln mit der Aufschrift „Datenschut­z“– zur Verwahrung sensibler Wegwerf-Akten – verteilt werden.

Und natürlich folgt als Reflex des Systems das bekannte „Wer war das?“. Über dem Kopf dieses „Entsorgers “schwebt jetzt § 310, Verletzung des Amtsgeheim­nisses. Denn über ihn sollen ja – wie es heißt – „Aktenteile unberechti­gterweise in den Besitz jenes Bloggers gelangt“sein, der den Fund dann öffentlich gemacht und das System Justiz empfindlic­h blamiert hatte. Und weil das so ist, wird auch gleich noch die „allfällige strafrecht­liche Verantwort­ung des Bloggers“geprüft, der Amtspapier­e mit spitzen Fingern aus dem Altpapierc­ontainer zog, die andere mit gar nicht spitzen Fingern dort entsorgt hatten.

Kann weggeworfe­nes Altpapier – um im Amtsdeutsc­h zu bleiben – „entfremdet“werden? Oder lautet das Motto „Haltet den Dieb!“?

Schießt sich die Justiz auch selbst ins Knie, so gilt noch immer derjenige als vermaledei­t, der als Maulwurf das Reich der „heiligen Kuh Amtsgeheim­nis“unterminie­rt und von dort brisante Stückerl ans Tageslicht fördert, weil – aber da wären wir wieder am Anfang . . .

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