Von heiligen Kühen und vermaledeitenMaulwürfen
Das Amtsgeheimnis dient oft als Rote Karte für die Öffentlichkeit. Manchmal wirkt es wie ein Feigenblatt – besonders im Altpapier.
In Österreich, allzumal in der Justiz, gibt es nach wie vor eine heilige Kuh: das Amtsgeheimnis. Darum wird die interessierte Öffentlichkeit, namentlich deren nachfragender Vertreter, etwa ein Journalist, nicht selten vom Amtsträger mit dem Argument abgeblockt: „Um Gottes Willen, da würde ich mich ja strafbar machen, wenn ich darüber etwas sage!“
Darum wird der Informationsfluss über „Justizsprecher“kanalisiert. Manche von ihnen sind sehr engagiert, aber ihre Aufgabe ist undankbar: Auf ihnen lasten nicht selten die scheelen Blicke der eigenen Kollegen: „Wie kannst du ihnen das sagen, aus MEINEM Akt?“
Dass mit dem Amtsgeheimnis in den Augen des Staatsanwalts nicht zu scherzen ist, zeigte sich in dieser Woche wieder einmal, als sich ein führender Kriminalist unter dem Vorwurf verantworten musste, er habe Journalisten über die Auffindung einer Leiche informiert. Es ging um den Fall eines unter höchst mysteriösen Umständen umgekommenen prominenten Rechtsanwalts. Kein Fall von „öffentlichem Interesse“? Wohl schon. Der Kriminalist ging dann frei – mangels Beweisen . . .
Nun schützt eisernes Pochen auf das Amtsgeheimnis nicht nur den verschwiegenen Amtsträger selbst vor Verfolgung. Es dient vor allem zum Schutz jener Bürger, die vom Amtsträger „beamtshandelt“werden. Auf den Schreibtischen in den Dienstzimmern der Justiziare liegen ja ständig „datensensible“Akten, die die Schicksale realer Menschen betreffen.
Und dann hieß es jüngst, es liege in der Gestion der Fachjuristen in den Amtsstuben, ob die Namen, Daten und Adressen von Informanten – etwa, wenn sich diese z. B. wegen Neonazi-Umtrieben an den Verfassungsschutz wenden – just diesen von ihnen angezeigten Personen zugänglich gemacht oder „geschwärzt“werden. Solche Akten würden Amtsträger mit spitzen Fingern prüfen, wurde beschwichtigt.
Wenn man nun in den letzten Tagen hörte, wie sorglos und schlampig sensible Aktenstücke – Anklageentwürfe, Observationsberichte, Vernehmungsprotokolle, Datenblätter zu Beschuldigten usw. – ungeschwärzt und ungeschreddert vonseiten der Justiz im Altpapiercontainer gleich neben dem Wiener „Gerichtswirtshaus“entsorgt wurden, so relativieren sich Beschwörungen der „heiligen Kuh Amtsgeheimnis“gewaltig. Wenn man jetzt plötzlich draufkommt, dass es bei den Justizbehörden einer eigenen, gesicherten Abfallwirtschaft bedarf, so hat das ebenso possenhaften Charakter, wie wenn man hört, dass an die Richter- schaft im Grauen Haus nun Schachteln mit der Aufschrift „Datenschutz“– zur Verwahrung sensibler Wegwerf-Akten – verteilt werden.
Und natürlich folgt als Reflex des Systems das bekannte „Wer war das?“. Über dem Kopf dieses „Entsorgers “schwebt jetzt § 310, Verletzung des Amtsgeheimnisses. Denn über ihn sollen ja – wie es heißt – „Aktenteile unberechtigterweise in den Besitz jenes Bloggers gelangt“sein, der den Fund dann öffentlich gemacht und das System Justiz empfindlich blamiert hatte. Und weil das so ist, wird auch gleich noch die „allfällige strafrechtliche Verantwortung des Bloggers“geprüft, der Amtspapiere mit spitzen Fingern aus dem Altpapiercontainer zog, die andere mit gar nicht spitzen Fingern dort entsorgt hatten.
Kann weggeworfenes Altpapier – um im Amtsdeutsch zu bleiben – „entfremdet“werden? Oder lautet das Motto „Haltet den Dieb!“?
Schießt sich die Justiz auch selbst ins Knie, so gilt noch immer derjenige als vermaledeit, der als Maulwurf das Reich der „heiligen Kuh Amtsgeheimnis“unterminiert und von dort brisante Stückerl ans Tageslicht fördert, weil – aber da wären wir wieder am Anfang . . .