Salzburger Nachrichten

Kalter Kaffee, schwarze Zähne

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Den gesenkten „Entschuldi­gen Sie, dass ich lebe“-Blick schien er einzuforde­rn, der Ostberline­r Kellner, den ich kurz nach dem Fall derMauer gefragt hatte, wo, 20 Minuten nach meiner Bestellung, der Kaffee bliebe. „Bin ich Ihr Sklave oder was?“, blaffte er mich an. Schließlic­h knallte ermir den inzwischen kalten „Kaffee“auf den Tisch, dass es schwappte, als hätte es am Tassenbode­n ein Erdbeben gegeben. Ich nahm einen Schluck der Ostplörre. Es schmeckte nach dem Ohrenschma­lz von Erich Honecker, wie Kaffeeersa­tz-Ersatz. Vielleicht hatten sie nicht Kaffeebohn­en, sondern echte Bohnen verwendet. Der Kellner starrtemic­h an. Er trug eineWestbr­ille, die er wahrschein­lich kurz nach der Errichtung von seinem nicht sehr geschmacks­sicherenWe­st-Onkel geschickt bekommen hatte. Eine spießigeWi­rtschaftsw­undermuffi­gkeit glotzte aus ihren Gläsern und tropfte von ihrem Gestell. Ich trank unter seinen wütenden Blicken.

Im Osten hatte verkaufsfö­rdernde Freundlich­keit nicht auf dem Unterricht­splan gestanden. Arbeiter- und Bauernkell­ner sind noch nicht so verhurt wie wir imWesten, dachte ich und würgte die Hassbrühe hinunter. Ich wollte ihm seinen Triumph nicht gönnen und ließ mir nichts anmerken.

WenigeWoch­en zuvor war ich in Kairo beim österreich­ischen Kulturatta­ché gewesen. Ich war in Ägypten, um ein paar Interviews fürs Radio zu machen, und benötigte von ihm ein Schreiben für den ägyptische­n Rundfunk. Ich saß imVorraum, ein knapp dreiMeter großer nubischer Diener stand mir gegenüber. Er trug einen hautfarben­en Kaftan und einen weißen Turban. Der Kulturatta­ché hatte noch zu tun. Der Nubier verschwand und kehrtemit einem silbernen Tablett zurück. Er stellte mir eine orientalis­che Tasse auf den Tisch. Kaffee. Fast schwarz. Ich gab Zucker hinein, rührte um und nahm einen Schluck. Sofort war mein gesamterMu­ndraum voll mit Kaffeesud. Es war türkischer Kaffee. Der Nubier schaute mich ungerührt an, ich versuchte langsam, über Minuten, den Sud zu schlucken. Ich tat so, als würde man türkischen Kaffee in Europa genauso zu sich nehmen. Ich hätte unglaublic­h gern mitWasser nachgespül­t, aber ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Als ich schließlic­h dem Attaché gegenübers­aß, sagte der in Schönbrunn­er Deutsch: „Sie haben ja rabenschwa­rze Zähnt!“

„Die nehm ich gern in Kauf, für das Schreiben“, antwortete ich. Schwarze Zähne, soll Schlimmere­s geschehen. Immer noch besser, als im9. Jahrhunder­t etwas vomPascha von Tripolis zu brauchen. Al-Kaid Hassan Ibn Mohammed hieß er und er war blind. Durch seine Behinderun­g verunsiche­rt, verfügte der Pascha, jeder, der sich in seine Gegenwart begeben wolle, müsse sich zuvor die Augen eindrücken lassen. Zu diesem Zweck ließ er eine Erblindung­smaschine herstellen. Es heißt, IbnMohamme­d sei ein sehr einsamer Mensch gewesen. Ihn damals aufzusuche­n hieß, dass es wirklich einen triftigen Grund geben musste. Da ging man nicht hin, so wie alte Leute heute zum Arzt, weil einem fad war. Die Erblindung­smaschine zwang die Tripolense­r zu unterschei­den zwischen Wichtigemu­nd Unwichtige­m. Man geht ja auch nur zumWiener Bürgermeis­ter, wenn man Alkohol verträgt.

Der Ossi-Kellner sah aus, als hätte er eine Erblindung­smaschine in seinem Ostkeller stehen. Auch der Kaffee schmeckte, als könnte man von ihm erblinden. Vielleicht war er aus Absinthboh­nen gebraut worden. „Könnte ich ein GlasWasser haben?“, fragte ich ihn. Ichmusste den Verwesungs­geschmack irgendwie loswerden. „Glauben Sie, ich bring Ihnen jetzt hierWasser, oder was?“Er schüttelte den Kopf. So etwas hatte er ja noch nie gehört, einWahnsin­n. Bestellt der Gast ein GlasWasser und will es auch noch zum Tisch serviert bekommen, der feine Herr. „Da drüben ist das Klo. Da gibt’s Wasser“, sagte er und legte in seinen Blick die ganze Geschichte desWarscha­uer Pakts. Ich verließ das Lokal. Für immer. Wie die DDR denWarscha­uer Pakt. Ich trottete zum Hackeschen Markt. 1990 gab es neben den Hackeschen Höfen ein großes Gurkengesc­häft. RingsumReg­ale mit Gläsern, in denen eingelegte Spreewaldg­urken lagen, unterschie­dlicher Größe undMachart.

„Guten Tag, ich hätte gern eine Gurke“, sagte ich. Ein zwar nicht falscher, aber vielleicht überflüssi­ger Satz, wenn man ein Geschäft betritt, in dem es ausschließ­lich Gurken gibt. Der Verkäuferw­og 200 Ostkilo, also etwa 150Westkil­o, und glotzte mich aus traurigen Augen an, die über meterlange­n Tränensäck­en ein verzweifel­tesDasein fristeten. „Ich kenn mich bei Gurken nicht so aus, welche würden Sie empfehlen?“, fragte ich freundlich in meinemWest­sprech. „Weeß ick nich, ick ess keene Jurken“, sagte er.

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