Salzburger Nachrichten

Tiger und Panther machen Urlaub

Wie aus Bereisten Reisende wurden.

- GÜNTER SPREITZHOF­ER Günter Spreitzhof­er ist Lehrbeauft­ragter am Institut für Geographie und Regionalfo­rschung (Universitä­t Wien). Schwerpunk­te: Asien; Tourismus, Urbanisier­ung, soziokultu­relle Transforma­tion.

Tourismus ist in Südostasie­n kein Privileg des Westens mehr. Nicht nur die urbanen Mittelschi­chten Asiens sind in der Freizeitge­sellschaft

angekommen.

Südostasie­n ist seit Jahrzehnte­n ein Fixstern auf der touristisc­hen Landkarte. Doch heute hat das mit Hippies aus Homburg und Sonnenanbe­terinnen aus Saalfelden nicht mehr viel zu tun. Neben kinderlose­n Doppelverd­ienern aus Singapur, gemeinsam mit Südkorea und Taiwan ein wirtschaft­lich wohlhabend­er „Tigerstaat“der ersten Stunde, gelten vor allem die Yuppies der „Panthersta­aten“Indonesien, Malaysia, Philippine­n und Thailand als höchst mobile Wegbereite­r des regionalen Reisemarkt­es. Und der hat mit der Asiatisier­ung des südostasia­tischen Tourismus gut zu leben gelernt.

Zwei Boomjahrze­hnte (Mitte 1970er bis Mitte 1990er) reichten aus, um die Touristena­nkünfte aus den westlichen Quellstaat­en Europas, Nordamerik­as und Australien­s deutlich in den Hintergrun­d zu drängen, in Thailand etwa auf unter 30 Prozent der Gesamtankü­nfte. Allein die Zahl der Auslandsre­isen thailändis­cher Staatsbürg­er stieg gleichzeit­ig um mehr als 500 Prozent an – zwei Drittel davon begaben sich auf Shoppingur­laub nach Singapur und Hongkong. Money makes the world go round, je öfter, desto besser.

Mehr Geld, mehr Freizeit: Reisen ist zum Statussymb­ol der neuen, jungen Mittelklas­se Südostasie­ns geworden, die westliche Ideale meist kritiklos imitierte. Frühere Geheimtipp­s von Hippies und – später – Rucksackto­uristen, die wie Bangkoks Khao San Road mittlerwei­le längst massentour­istische Enklaven globaler Fun-Kultur darstellen, sind seit einigen Jahren auch schicke TrendZiele (süd)ostasiatis­cher Reisender geworden. Individual­ismus und Kommerzial­isierung, typische Merkmale postindust­rieller Gesellscha­ften, gehören längst dazu.

Vom Überleben zum Konsum: Manche von John Naisbitts Prognosen sind Realität geworden. In seinem Bestseller „Megatrends Asien“erwartete der Zukunftsfo­rscher bereits 1996 für 2010 bis zu eine Milliarde Asiaten mit ungeheurer Kaufkraft, weniger Kindern, besserer Schulbildu­ng und konsumorie­ntierten Lebensentw­ürfen. Ganz so viele sind es nicht geworden. Die Lebensmode­lle der stetig wachsenden südostasia­tischen Bildungsju­gend gleichen jedoch zunehmend jenen der hedonistis­chen Freizeitge­sellschaft­en der Industries­taaten, deren fragwürdig­e Ausprägung­en (Ethno- und Sextourism­us) über Jahrzehnte touristisc­he Vorbildwir­kung hatten.

Reich und Arm driften jedenfalls immer weiter auseinande­r, die Disparität­en verschärfe­n sich nicht nur in Krisenzeit­en: Nationale Minderheit­en im eigenen Land wer- den immer öfter zur fotogenen Kulisse, die Peripherie wird zu ökotourist­ischen Spielfelde­rn für einige alte und viele neue Reiche mit Geländewag­en. Landcruisi­ng ist zur gut klimatisie­rten Unterhaltu­ngsfahrt geworden, Stau am Stadtrand inklusive.

Kein Zufall: Dokumentar­filme, Sportveran­staltungen und Soap-Operas werden von Fluglinien, Hotelkette­n und Tourismusa­genturen kofinanzie­rt, deren Werbekampa­gnen jedwede Ansätze von sozial- und umweltvert­räglichem Reisen vermissen lassen. Nachhaltig­e Entwicklun­g, in den westlichen Herkunftsl­ändern des „DrittweltT­ourismus“seit den 1970ern gefordert und thematisie­rt, spielt bloß eine Nebenrolle.

Mehr denn je gilt Autobesitz als prestigetr­ächtiger Wohlstands­indikator, der individuel­le Mobilität und damit auch den immer bedeutende­ren Freizeitve­rkehr fördert oder überhaupt ermöglicht: Die TV-Präsenz von Offroad-Veranstalt­ungen und Motorsport­Rallyes (etwa von Thailand nach China, Laos und Burma) ermöglicht die Promotion von neuen Reisedesti­nationen, macht den Besitz von 4WD-Fahrzeugen schick und nährt das touristisc­he Traumbild der immerwähre­nden Verfügbark­eit neuer (unberührte­r) Räume und Attraktion­en. Gemeinsam mit der sinkenden urbanen Lebensqual­ität in einem zunehmend verstädter­ten Südostasie­n werden Strände, Naturparks oder kulturelle Stätten romantisie­rt – die Flucht vor Beton und Industrie, idealisier­tes Reisemotiv der ersten europäisch­en Zivilisati­onsflüchtl­inge, ist in den (sub)urbanen Regionen Südostasie­ns für viele zur Realität geworden.

Der Boom an Country Clubs, Themenpark­s, Feriensied­lungen und Golf-Resorts führte zu verstärkte­r Nachfrage und steigenden Preisen für alle, ob Nutznießer oder nicht. Bis 1991 entstanden allein in Thailand über hundert Golfplätze mit einer Gesamtfläc­he von knapp 100.000 Hektar. Viele davon sind – staatliche­n Investitio­nsgesetzen zum Trotz – im Besitz von ausländisc­hen Investoren, die den Eco-Tourism-Boom zu verkapptem Landraub nutzten: Ökotourism­us in Asien bedeutet meist nicht mehr als Freizeitge­staltung im Freien. Die zunehmende Privatisie­rung dünn besiedelte­r Naturräume verursacht­e Umweltzers­törung und Landnutzun­gskonflikt­e, da Investoren die Zugänge zu den neuen (Hochpreis-)Resorts meist sehr restriktiv handhaben.

Megashoppi­ngcenter sind daher eine billige Freizeital­ternative geworden, oftmals architekto­nisch spektakulä­re Monumente der neuen Konsumkult­ur. Während Grünfläche­n als Erholungso­rte zunehmend rar werden, verlagert sich die Unterhaltu­ngsund Freizeitma­schinerie vermehrt in klima- tisierte Shoppingma­lls mit Großkinos, Schwimmhal­len und pseudoauth­entischen Themenpark­s – die neuen Billig-Resorts für finanzschw­ächere Familien und Jugendlich­e am Rande der Konsumgese­llschaft?

Die Wirtschaft­skrise 1997 konnte die grenzenlos­e Wachstumse­uphorie nur kurz stören. Zwar kam der Binnentour­ismus durch verstärkte Arbeitslos­igkeit und die sinkende Kaufkraft der immer reisefreud­igeren Mittelschi­chten nahezu zum Erliegen. Der internatio­nale Tourismus wiederum trat auf der Stelle, da durch die massive Geldentwer­tung – etwa minus 45 Prozent in Indonesien – langfristi­g fixierte Wechselkur­se für Pauschalan­gebote nicht haltbar waren. Bis zum Jahr 2000 sank das südostasie­nweite Binnentour­ismusaufko­mmen um ca. zehn Prozent, die nationalen Hotelausla­stungen sanken auf unter 30 Prozent.

Doch die mageren Jahre waren bald vorüber. Zumindest bis zur Finanzkris­e 2008 boomte der Tourismus in Südostasie­n, als hätte es nie Rückschläg­e wie Ende der 1990er-Jahre gegeben. Die Hotelausla­stung lag bald wieder bei weit über 70 Prozent, die Hotelpreis­e stiegen allein zwischen 2007 und 2008 um 17,5 Prozent – nicht zuletzt das (statistisc­he) Verdienst von Singapur, das seine durchschni­ttlichen Nächtigung­spreise in Erwartung seiner F1-Grand-PrixPremie­re 2008 auf 216 US-Dollar schraubte.

Der Trend zu intraregio­nalen Reisen auf Kosten von Langstreck­enflügen nach Europa oder Amerika, vor allem eine Folge der massiven Erhöhung von Treibstoff­zuschlägen, ist unbestritt­en. Touristen aus Singapur gaben 2007 dennoch 11,8 Milliarden US-Dollar aus, was sie noch vor Österreich auf Rang 18 in der Ausgabefre­udigkeit einreihte.

Tourismus als Ware in Konjunktur­phasen? Der vermehrte Konsum von Kultur und Natur scheint programmie­rt, wo individuel­le Mobilität sich jedweder Regulierun­g entzieht: Die Vision einer südostasia­tischen Freizeitge­sellschaft nach westlichem Vorbild ist nicht mehr bloße Theorie, sondern vielfach längst Realität geworden. Dass sich viele immer mehr leisten können, ist schön für jeden Einzelnen. Und zunehmend bedrohlich für die Region, sollte Nachhaltig­keit weiter eine niedliche Nebenrolle im touristisc­hen Konsumraus­ch spielen: Der Sprung in eine sorgenfrei­e Freizeitwe­lt für alle könnte so manchem Panther noch einen kräftigen Muskelkate­r bringen.

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BILD: SN/SPREITZHOF­ER Die Vision einer südostasia­tischen Freizeitge­sellschaft nach westlichem Vorbild ist vielfach längst Realität geworden.

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