Tiger und Panther machen Urlaub
Wie aus Bereisten Reisende wurden.
Tourismus ist in Südostasien kein Privileg des Westens mehr. Nicht nur die urbanen Mittelschichten Asiens sind in der Freizeitgesellschaft
angekommen.
Südostasien ist seit Jahrzehnten ein Fixstern auf der touristischen Landkarte. Doch heute hat das mit Hippies aus Homburg und Sonnenanbeterinnen aus Saalfelden nicht mehr viel zu tun. Neben kinderlosen Doppelverdienern aus Singapur, gemeinsam mit Südkorea und Taiwan ein wirtschaftlich wohlhabender „Tigerstaat“der ersten Stunde, gelten vor allem die Yuppies der „Pantherstaaten“Indonesien, Malaysia, Philippinen und Thailand als höchst mobile Wegbereiter des regionalen Reisemarktes. Und der hat mit der Asiatisierung des südostasiatischen Tourismus gut zu leben gelernt.
Zwei Boomjahrzehnte (Mitte 1970er bis Mitte 1990er) reichten aus, um die Touristenankünfte aus den westlichen Quellstaaten Europas, Nordamerikas und Australiens deutlich in den Hintergrund zu drängen, in Thailand etwa auf unter 30 Prozent der Gesamtankünfte. Allein die Zahl der Auslandsreisen thailändischer Staatsbürger stieg gleichzeitig um mehr als 500 Prozent an – zwei Drittel davon begaben sich auf Shoppingurlaub nach Singapur und Hongkong. Money makes the world go round, je öfter, desto besser.
Mehr Geld, mehr Freizeit: Reisen ist zum Statussymbol der neuen, jungen Mittelklasse Südostasiens geworden, die westliche Ideale meist kritiklos imitierte. Frühere Geheimtipps von Hippies und – später – Rucksacktouristen, die wie Bangkoks Khao San Road mittlerweile längst massentouristische Enklaven globaler Fun-Kultur darstellen, sind seit einigen Jahren auch schicke TrendZiele (süd)ostasiatischer Reisender geworden. Individualismus und Kommerzialisierung, typische Merkmale postindustrieller Gesellschaften, gehören längst dazu.
Vom Überleben zum Konsum: Manche von John Naisbitts Prognosen sind Realität geworden. In seinem Bestseller „Megatrends Asien“erwartete der Zukunftsforscher bereits 1996 für 2010 bis zu eine Milliarde Asiaten mit ungeheurer Kaufkraft, weniger Kindern, besserer Schulbildung und konsumorientierten Lebensentwürfen. Ganz so viele sind es nicht geworden. Die Lebensmodelle der stetig wachsenden südostasiatischen Bildungsjugend gleichen jedoch zunehmend jenen der hedonistischen Freizeitgesellschaften der Industriestaaten, deren fragwürdige Ausprägungen (Ethno- und Sextourismus) über Jahrzehnte touristische Vorbildwirkung hatten.
Reich und Arm driften jedenfalls immer weiter auseinander, die Disparitäten verschärfen sich nicht nur in Krisenzeiten: Nationale Minderheiten im eigenen Land wer- den immer öfter zur fotogenen Kulisse, die Peripherie wird zu ökotouristischen Spielfeldern für einige alte und viele neue Reiche mit Geländewagen. Landcruising ist zur gut klimatisierten Unterhaltungsfahrt geworden, Stau am Stadtrand inklusive.
Kein Zufall: Dokumentarfilme, Sportveranstaltungen und Soap-Operas werden von Fluglinien, Hotelketten und Tourismusagenturen kofinanziert, deren Werbekampagnen jedwede Ansätze von sozial- und umweltverträglichem Reisen vermissen lassen. Nachhaltige Entwicklung, in den westlichen Herkunftsländern des „DrittweltTourismus“seit den 1970ern gefordert und thematisiert, spielt bloß eine Nebenrolle.
Mehr denn je gilt Autobesitz als prestigeträchtiger Wohlstandsindikator, der individuelle Mobilität und damit auch den immer bedeutenderen Freizeitverkehr fördert oder überhaupt ermöglicht: Die TV-Präsenz von Offroad-Veranstaltungen und MotorsportRallyes (etwa von Thailand nach China, Laos und Burma) ermöglicht die Promotion von neuen Reisedestinationen, macht den Besitz von 4WD-Fahrzeugen schick und nährt das touristische Traumbild der immerwährenden Verfügbarkeit neuer (unberührter) Räume und Attraktionen. Gemeinsam mit der sinkenden urbanen Lebensqualität in einem zunehmend verstädterten Südostasien werden Strände, Naturparks oder kulturelle Stätten romantisiert – die Flucht vor Beton und Industrie, idealisiertes Reisemotiv der ersten europäischen Zivilisationsflüchtlinge, ist in den (sub)urbanen Regionen Südostasiens für viele zur Realität geworden.
Der Boom an Country Clubs, Themenparks, Feriensiedlungen und Golf-Resorts führte zu verstärkter Nachfrage und steigenden Preisen für alle, ob Nutznießer oder nicht. Bis 1991 entstanden allein in Thailand über hundert Golfplätze mit einer Gesamtfläche von knapp 100.000 Hektar. Viele davon sind – staatlichen Investitionsgesetzen zum Trotz – im Besitz von ausländischen Investoren, die den Eco-Tourism-Boom zu verkapptem Landraub nutzten: Ökotourismus in Asien bedeutet meist nicht mehr als Freizeitgestaltung im Freien. Die zunehmende Privatisierung dünn besiedelter Naturräume verursachte Umweltzerstörung und Landnutzungskonflikte, da Investoren die Zugänge zu den neuen (Hochpreis-)Resorts meist sehr restriktiv handhaben.
Megashoppingcenter sind daher eine billige Freizeitalternative geworden, oftmals architektonisch spektakuläre Monumente der neuen Konsumkultur. Während Grünflächen als Erholungsorte zunehmend rar werden, verlagert sich die Unterhaltungsund Freizeitmaschinerie vermehrt in klima- tisierte Shoppingmalls mit Großkinos, Schwimmhallen und pseudoauthentischen Themenparks – die neuen Billig-Resorts für finanzschwächere Familien und Jugendliche am Rande der Konsumgesellschaft?
Die Wirtschaftskrise 1997 konnte die grenzenlose Wachstumseuphorie nur kurz stören. Zwar kam der Binnentourismus durch verstärkte Arbeitslosigkeit und die sinkende Kaufkraft der immer reisefreudigeren Mittelschichten nahezu zum Erliegen. Der internationale Tourismus wiederum trat auf der Stelle, da durch die massive Geldentwertung – etwa minus 45 Prozent in Indonesien – langfristig fixierte Wechselkurse für Pauschalangebote nicht haltbar waren. Bis zum Jahr 2000 sank das südostasienweite Binnentourismusaufkommen um ca. zehn Prozent, die nationalen Hotelauslastungen sanken auf unter 30 Prozent.
Doch die mageren Jahre waren bald vorüber. Zumindest bis zur Finanzkrise 2008 boomte der Tourismus in Südostasien, als hätte es nie Rückschläge wie Ende der 1990er-Jahre gegeben. Die Hotelauslastung lag bald wieder bei weit über 70 Prozent, die Hotelpreise stiegen allein zwischen 2007 und 2008 um 17,5 Prozent – nicht zuletzt das (statistische) Verdienst von Singapur, das seine durchschnittlichen Nächtigungspreise in Erwartung seiner F1-Grand-PrixPremiere 2008 auf 216 US-Dollar schraubte.
Der Trend zu intraregionalen Reisen auf Kosten von Langstreckenflügen nach Europa oder Amerika, vor allem eine Folge der massiven Erhöhung von Treibstoffzuschlägen, ist unbestritten. Touristen aus Singapur gaben 2007 dennoch 11,8 Milliarden US-Dollar aus, was sie noch vor Österreich auf Rang 18 in der Ausgabefreudigkeit einreihte.
Tourismus als Ware in Konjunkturphasen? Der vermehrte Konsum von Kultur und Natur scheint programmiert, wo individuelle Mobilität sich jedweder Regulierung entzieht: Die Vision einer südostasiatischen Freizeitgesellschaft nach westlichem Vorbild ist nicht mehr bloße Theorie, sondern vielfach längst Realität geworden. Dass sich viele immer mehr leisten können, ist schön für jeden Einzelnen. Und zunehmend bedrohlich für die Region, sollte Nachhaltigkeit weiter eine niedliche Nebenrolle im touristischen Konsumrausch spielen: Der Sprung in eine sorgenfreie Freizeitwelt für alle könnte so manchem Panther noch einen kräftigen Muskelkater bringen.