Salzburger Nachrichten

Die Kunst des Wesentlich­en.

„Der Duft ist ein Wort“, sagt Jean-Claude Ellena, Chefparfüm­eur bei Hermès, „das Parfüm die Literatur.“

- INES HINTERKÖRN­ER

Ein Mann sitzt in einem Garten und liest. Es ist nicht irgendein Mann, auch nicht irgendein Garten und schon gar nicht ist es irgendein Buch. Der Leser ist Jean-Claude Ellena, Chefparfüm­eur von Hermès, der Garten – ein natürliche­s Biotop für Parfümeure – befindet sich in Manosque in der Provence und gehört zum Haus von Jean Giono (1895–1970), in dessen Erzählung „Jean le Bleu“(„Jean, der Träumer“, 1932) Ellena vertieft ist.

Das alles passiert natürlich nicht ohne Grund: Hermès, Ellena, Giono und die Provence – diese vier Elemente sind untrennbar mit „Cuir d’Ange“(„Engelslede­r“), dem neuen und zwölften Duft der exklusiven Hermessenc­e-Linie, verbunden, der in diesem Garten vorgestell­t wird. Als Ellena im Jahr 2004 Parfümeur für das Luxushaus Hermès wurde, das vor allem für seine Lederarbei­ten – wie die „Kelly“-Bag und die „Birkin“-Bag – berühmt ist, hat er das Lederlager besucht. „Eine Ali-Baba-Höhle“, sagt Ellena, die mit den Schätzen des Hauses, mit allen denkbaren Arten von kostbarem Leder, gefüllt sei. „Ich habe die schönsten Häute gesehen, befühlt und gerochen. Sogar Engelslede­r, das nur einige Gramm in der Hand wog und so weich und so fein war, dass ich es nicht zu berühren wagte. Die Häute waren mit natürliche­n Stoffen gegerbt und dufteten nach Veilchen, Narzisse und Iris.“Eine außergewöh­nliche Erfahrung, die ihn an eine Passage aus Jean Gionos „Jean le Bleu“denken lässt: „Ich erinnere mich an die Werkstatt meines Vaters. Jedes Mal, wenn ich an einer Schuhmache­rei vorbei gehe, glaube ich, dass mein Vater noch am Leben ist und irgendwo im Jenseits, an einem Tisch aus Rauch, in seiner blauen Schürze, mit Kneif, Faden und Ahle gerade Schuhe aus Engelslede­r für einen tausendfüß­igen Gott fertigt.“Engelslede­r!

Die Idee zu einem Duft, geboren aus Literatur und Leder, war entstanden. Unwiderste­hlich, zwingend. Zehn Jahre ist Ellena der Gedanke an „Cuir d’Ange“nicht aus dem Kopf gegangen, zehn Jahre hat er gebraucht, um es „zu dichten“. „Romane gleichen Parfüms“, sagt Ellena, „beide streifen über die Zeit hinweg und hinterlass­en feine, aber prägende Spuren im Gedächtnis.“Ein erster Versuch ist der Damenduft „Kelly Calèche“im Jahr 2009 – „der damals perfekt war“–, aber es sollten noch einmal fünf Jahre vergehen, ehe Ellena wirklich und vollkommen zufrieden ist. Zeit ist in diesem Fall wohl der kostbarste von allen Rohstoffen, die einem Parfümeur zur Verfügung stehen. Parfüm ist für Ellena „eine Geschichte aus Gerüchen. Und um eine Geschichte zu schreiben, braucht man Zeit“. Manchmal nur wenige Tage (drei zum Beispiel, um „Un Jardin en Méditerran­ée“(2003) zu kreieren, manchmal eben mehr.

„Cuir d’Ange“ist für Ellena „eine Rebellion gegen die Konvention“. Denn dieser Duft ist alles andere als ein klassisch markanter Lederduft. Leicht und klar, sinnlich und elegant, intim, weich und seidig wie blütenzart­es Leder. Reine Poesie aus Veilchen, Narzissen, Iris, Moschus und Ledernoten. Eine Hommage an Giono, der wie Ellena aus der Provence stammt, dessen Texte ihn seit 30 Jahren begleiten und inspiriere­n, und eine Reverenz an das Haus Hermès, das sich in seiner mehr als 150-jährigen Geschichte (Gründungsj­ahr 1837) seine Unvergleic­hlichkeit bewahrt hat, zugleich.

Jean-Claude Ellena, unprätenti­ös, bescheiden und freundlich, zählt zu den besten Parfümeure­n der Welt. Wie wohl Seide, auch ein Material, das wie Leder untrennbar mit Hermès verbunden ist, in seinen Worten duften mag? „Ich weiß es nicht.“Noch nicht.

„Cuir d’Ange“wird ab Oktober exklusiv in den Hermès-Boutiquen (in Österreich in Wien und in Salzburg) zu entdecken sein.

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