Obama steht vor einem strategischen Debakel
Der Präsident muss Erdogan dazu bringen, den Kurden in Syrien zu Hilfe zu eilen – die US-Truppen aber herauszuhalten.
Seit mehr als zwei Wochen fliegen die Amerikaner Luftangriffe auf Stellungen der IS-Extremisten in Syrien. Doch das erklärte Ziel Präsident Barack Obamas, den sogenannten „Islamischen Staat“erst zu degradieren und dann zu zerstören, liegt in weiter Ferne. Der erwartete Fall der kurdischen Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei spricht Bände. Der potenziell einflussreichste und schlagkräftigste Verbündete in Ankara schaut tatenlos zu, wie in Sichtweite seiner Streitkräfte den Kurden ein Massaker droht.
Statt den bedrängten Nachbarn zu Hilfe zu eilen, benutzt Erdogan die verzweifelte Situation für ein Kräftemessen mit Washington. Eine Schwächung der Minderheit auf syrischer Seite kommt seinen Interessen entgegen, weil die syrischen Kurden mit der einheimischen PKK verbündet sind. Zynisch benutzt er Kobane als Druckmittel, die USA auf einen Sturz des syrischen Regimes festzulegen. Erdogan hasst Diktator Baschar al-Assad so sehr, dass er bisher so gut wie nichts unternahm, den Fluss von Kämpfern und Geld für den „Islamischen Staat“über die poröse Grenze nach Syrien zu unterbinden.
Obama tut gut daran, keine eigenen Soldaten zu schicken. Dieser Konflikt kann nur regional gelöst werden. Und die Führung im Kampf gegen den IS müssen die sunnitischen Verbündeten der USA über- nehmen. Sie allein können den extremistischen Glaubensbrüdern in der Bevölkerung den Teppich unter den Füßen wegziehen. Während die Saudis, Katarer und andere Golfstaaten im Verdacht stehen, ein doppeltes Spiel zu treiben, muss der NATO-Partner Türkei sich an einem anderen Standard messen lassen.
Der US-Präsident kann sich seinerseits dem Vorwurf nicht entziehen, mit einer nur halb durchdachten Strategie in den Luftkrieg gezogen zu sein. Das Eingeständnis, ohne Bodentruppen den Fall Kobanes und anderer Städte hinnehmen zu müssen, projiziert Schwäche. In diesem Teil der Welt empfiehlt sich das nicht als Erfolgsrezept.
Obama steht gefährlich nahe vor einem strategischen Debakel, das ihn politisch dazu zwingen könnte, alle Rückversicherungen über den Haufen zu werfen und amerikanische Bodeneinheiten in das Bürgerkriegsland zu schicken. Um dies zu verhindern, muss er einen Weg finden, Erdogan für ein Eingreifen der türkischen Streitkräfte zu gewinnen. Vermutlich geht das nur über Zugeständnisse bei der Einrichtung einer Pufferzone im Norden Syriens. Die Alternative wäre nicht nur bedenklicher. Der Präsident fände dafür auch keine Rückendeckung daheim.