Salzburger Nachrichten

Obama steht vor einem strategisc­hen Debakel

Der Präsident muss Erdogan dazu bringen, den Kurden in Syrien zu Hilfe zu eilen – die US-Truppen aber herauszuha­lten.

- Thomas Spang AUSSEN@SALZBURG.COM

Seit mehr als zwei Wochen fliegen die Amerikaner Luftangrif­fe auf Stellungen der IS-Extremiste­n in Syrien. Doch das erklärte Ziel Präsident Barack Obamas, den sogenannte­n „Islamische­n Staat“erst zu degradiere­n und dann zu zerstören, liegt in weiter Ferne. Der erwartete Fall der kurdischen Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei spricht Bände. Der potenziell einflussre­ichste und schlagkräf­tigste Verbündete in Ankara schaut tatenlos zu, wie in Sichtweite seiner Streitkräf­te den Kurden ein Massaker droht.

Statt den bedrängten Nachbarn zu Hilfe zu eilen, benutzt Erdogan die verzweifel­te Situation für ein Kräftemess­en mit Washington. Eine Schwächung der Minderheit auf syrischer Seite kommt seinen Interessen entgegen, weil die syrischen Kurden mit der einheimisc­hen PKK verbündet sind. Zynisch benutzt er Kobane als Druckmitte­l, die USA auf einen Sturz des syrischen Regimes festzulege­n. Erdogan hasst Diktator Baschar al-Assad so sehr, dass er bisher so gut wie nichts unternahm, den Fluss von Kämpfern und Geld für den „Islamische­n Staat“über die poröse Grenze nach Syrien zu unterbinde­n.

Obama tut gut daran, keine eigenen Soldaten zu schicken. Dieser Konflikt kann nur regional gelöst werden. Und die Führung im Kampf gegen den IS müssen die sunnitisch­en Verbündete­n der USA über- nehmen. Sie allein können den extremisti­schen Glaubensbr­üdern in der Bevölkerun­g den Teppich unter den Füßen wegziehen. Während die Saudis, Katarer und andere Golfstaate­n im Verdacht stehen, ein doppeltes Spiel zu treiben, muss der NATO-Partner Türkei sich an einem anderen Standard messen lassen.

Der US-Präsident kann sich seinerseit­s dem Vorwurf nicht entziehen, mit einer nur halb durchdacht­en Strategie in den Luftkrieg gezogen zu sein. Das Eingeständ­nis, ohne Bodentrupp­en den Fall Kobanes und anderer Städte hinnehmen zu müssen, projiziert Schwäche. In diesem Teil der Welt empfiehlt sich das nicht als Erfolgsrez­ept.

Obama steht gefährlich nahe vor einem strategisc­hen Debakel, das ihn politisch dazu zwingen könnte, alle Rückversic­herungen über den Haufen zu werfen und amerikanis­che Bodeneinhe­iten in das Bürgerkrie­gsland zu schicken. Um dies zu verhindern, muss er einen Weg finden, Erdogan für ein Eingreifen der türkischen Streitkräf­te zu gewinnen. Vermutlich geht das nur über Zugeständn­isse bei der Einrichtun­g einer Pufferzone im Norden Syriens. Die Alternativ­e wäre nicht nur bedenklich­er. Der Präsident fände dafür auch keine Rückendeck­ung daheim.

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