Bei der Pflege lässt es sich gut sparen, weil Frauen die Arbeit unbezahlt machen
Wetten, dass die Aufregung über den verschärften Zugang zum Pflegegeld nicht lang dauern wird. Das liegt daran, dass Männer Sorge-Arbeit „ausgelagert“haben.
Opa ist im Pflegeheim. Wunderschön sei das Wetter derzeit, sagt er bei der Ausfahrt im Rollstuhl im Garten der Einrichtung. Leider sei er aber schon seit ein paar Tagen nicht mehr rausgekommen. Die Betreuerinnen und Pflegerinnen hätten einfach keine Zeit, sagt der Opa. Die Armen seien völlig unterbesetzt. Also müsse er auf Besuch warten, der mit ihm eine Runde fährt. – Der Frauenanteil in der Belegschaft dieses gemeindeeigenen Pflegeheims in Salzburg liegt bei 95 Prozent.
Die Freundin einer Kollegin hat für ihre Mutter eine 24-Stunden-Pflege in Salzburg organisiert. Zwei Rumäninnen teilen sich den Job. Alle zwei Monate gibt es einen Wechsel. Die minderjährigen Kinder der rumänischen Frauen werden in der Zwischenzeit mehr schlecht als recht von den kranken Großeltern versorgt, beziehungsweise oft ist es umgekehrt. Die Kleinen müssen sich um die Großeltern in Rumänien kümmern, während ihre eigene Mutter in Österreich eine gebrechliche Frau pflegt.
Eine der rumänischen Pflegerinnen wurde unlängst ungewollt schwanger und wollte das Kind in Rumänien in einem Hinterzimmer abtreiben lassen. Die Tochter der Salzburger Pflegebedürftigen sorgte dafür, dass die junge Frau in Österreich ein gute medizinische Versorgung bekommen hat, und zahlte das auch selbst. – Männer sind in der 24-Stunden-Pflege eine kleine Minderheit.
Selbst Organisationen, die 24-Stunden-Pflege anbieten, ringen mit sich. Einerseits gibt es hierzulande den Bedarf an diesen Kräften, an-
Frauen, die in der Familie pflegen, haben oft kein Einkommen
dererseits werden bei der 24-Stunden-Pflege die Grenzen überschritten. Offiziell wird darüber kaum gesprochen. Die Fragen, die sich stellen, lauten: Wie schaut es mit den Arbeitszeiten aus? Wie passen Qualifikation und das, was die Pflegerinnen tatsächlich machen, zusammen? Wie gehen wir mit ausländischen Pflegekräften um? Ausländische Frauen leisten hier Pflege zu Diskontpreisen, oft unter besonders schwierigen Umständen. Gleichzeitig bleibt dieses Modell für einkommensschwache Bevölkerungsschichten in Österreich unerschwinglich. Auch für den Staat ist sie teuer. Trotzdem argumentiert die Politik, dass gerade hier der Bedarf steige.
Jetzt soll das Pflegegeld in Österreich reformiert werden. Der Zugang zu den beiden ers-
Die Pflege ist weiblich. ten Stufen des Pflegegelds soll verschärft werden. 5000 bis 10.000 Betroffene würden künftig gar kein Pflegegeld mehr bekommen, heißt es. Der Aufschrei ist heftig, wird aber vermutlich von kurzer Dauer sein. Damit rechnet auch der Sozialminister. Denn er weiß, dass 46 Prozent der älteren pflegebedürftigen Menschen ausschließlich in der Familie und 32 Prozent innerhalb der Familie mit mobiler Unterstützung betreut werden. Mehr als 70 Prozent der häuslichen Pflege werden von Frauen geleistet. Und 47 Prozent derer, die pflegen, haben kein Einkommen oder eines bis maximal 700 Euro netto. Das hat die Betriebswirtin und Theologin Ingrid Dullnig gerade in einem Artikel für die Katholische Sozialakademie aufgelistet. Frauen, und vor allem einkommensschwache, haben keine große Lobby. Die machen es der Politik nicht schwer.
Wenn jetzt gesagt wird, der Zugang zu den ersten beiden Pflegestufen könne ruhig erschwert werden, weil es hier ohnehin vorwiegend die Angehörigen treffe, da in den unteren Stufen kaum Pflege zugekauft werde, dann ist das eine Schweinerei. Das Pflegegeld als ungerechtfertigte Pensionsaufbesserung abzuqualifizieren, wenn man weiß, dass ein Großteil derer, die pflegen, kein Monatseinkommen oder bis zu 700 Euro hat und ein Fünftel aller, die gepflegt werden müssen, auch kein eigenes Einkommen hat, ist beschämend.
In der Pflege wird die Fortschreibung des paternalistisch-hierarchischen Gesellschaftsmodells zementiert. Es geht nicht darum, was pflegebedürftige Menschen brauchen, sondern um eine Mindestbetreuung unter enormen Kostenvorgaben. Das funktioniert nur, weil die Frauen in diesem Land in die Bresche springen. Das tun sie, weil das von ihnen erwartet wird, weil das schon immer so war, weil es als etwas „typisch Weibliches“betrachtet wird. Es wird so getan, als sei Pflege innerhalb der Familie keine richtige Arbeit, daher müsse sie auch nicht bezahlt werden. Männer würden das in diesem Ausmaß nie tun.
Unlängst sagte ein Vater über seinen Sohn, den er von einem Pflegefall in der Familie fernhalten wollte: „Den Burschen interessiert das einfach nicht.“Es geht nicht um Interesse. Es geht darum, dass sich ein großer Teil der Männer für die Pflege Angehöriger nicht zuständig fühlt. Da hilft nur eines: sie zuständig machen, notfalls durch die Verweigerung von Frauen, das würde auch Politikern schnell auf die Sprünge helfen. Doch genau hier wird das Dilemma sichtbar. Wenn in der Industrie jemand streikt, gibt es einen Produktionsausfall. Wenn eine pflegende Tochter sich nur kurze Zeit nicht um die pflegebedürftige Mutter kümmert, wird sie schwer krank oder stirbt.
KARIN.ZAUNER@SALZBURG.COM