Salzburger Nachrichten

Die Angst der Islamisten vor einer Niederlage

Der hartnäckig­e Widerstand der Kurden in Kobane hat die IS-Kämpfer verunsiche­rt.

- MICHAEL WRASE KOBANE.

Seit mehr als drei Wochen versuchen die Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“Kobane einzunehme­n. Nach raschen Erfolgen im Süden und Osten der kurdischen Stadt scheint ihr Vormarsch nun gestoppt worden zu sein. Die Verteidige­r konnten ihre Stellungen im Zentrum der Grenzstadt halten und sollen die Extremiste­n sogar an einigen Stellen zurückgedr­ängt haben. Die Abwehrerfo­lge seien durch „sehr hilfreiche Luftangrif­fe“der US-geführten Koalition erleichter­t worden, betonten ihre Sprecher.

„Einige Fortschrit­te“bestätigte auch der amerikanis­che Verteidigu­ngsministe­r Chuck Hagel, der plötzlich wieder „alles tun will, was möglich ist“, um die Terrormili­zen aus Kobane zu vertreiben. Noch in der letzten Woche hatten amerikanis­che Regierungs­sprecher den Fall der Stadt prognostiz­iert. Der sich vielleicht abzeichnen­de Sinneswand­el könnte mit der symbolisch­en Bedeutung von Kobane zu tun haben. Die Dschihadis­ten könnten es sich nicht leisten, diese Schlacht vor den Augen derWeltöff­entlichkei­t zu verlieren, betonte der Direktor des syrischen Menschenre­chtsobserv­atoriums, Rami Abdel Rahman.

Eine Niederlage gegen die Kurden wäre für die erfolgsgew­ohnten Dschihadis­ten eine Katastroph­e. Monatelang konnten sie in Syrien und dem Irak eine Stadt nach der anderen einnehmen. In der Regel ergriffen die Verteidige­r schon die Flucht, bevor die hervorrage­nd ausgerüste­te Miliz anrückte. Die Millionens­tadt Mossul fiel innerhalb eines Tages. In Kobane, einer Stadt mit nur 60.000 Einwohnern, die größtentei­ls in die Türkei geflohen sind, kämpfen die Dschihadis­ten schon über drei Wochen. Ihre Verluste sind hoch. Mindestens 350 Kämpfer sollen gefallen sein, davon fast 40 am letztenWoc­henende.

Militärexp­erten gehen davon aus, dass die Dschihadis­ten inzwischen verunsiche­rt sind. Zum „Märtyrerto­d“entschloss­ene Kämpfer mag es zwar genug geben. 20 oder 30 Tote pro Tag kann aber auch eine vom Glauben an die Unsterblic­hkeit beseelte Terrormili­z auf Dauer nicht verkraften. Ihre Stellungen um Kobane liegen meist auf dem Präsentier­teller. Die nach Zielen suchenden Luftwaffen der Alliierten haben im syrisch-türkischen Grenzgebie­t keine Schwierigk­eiten, Stellungen der Kämpfer des „Islamische­n Staats“(IS) zu treffen. Und sollte die Koalition ihre Angriffe verstärken, danach sieht es offenbar aus, muss sich der IS bald fragen, welchen Preis er für die Eroberung von Kobane zu zahlen bereit ist.

Die kurdischen Verteidige­r sind schon jetzt die großen Gewinner. Ihnen ist es gelungen, die Weltöffent­lichkeit zu mobilisier­en und die Türkei, die den IS gewähren lässt, an den Pranger zu stellen. Für Ankara wäre ein Erfolg der Kurden in Kobane eine Katastroph­e. Er würde das Selbstbewu­sstsein von Millionen Kurden stärken und Erdogan drastisch vor Augen führen, dass er ihren Freiheitsd­rang nicht einmal stoppen kann, wenn er sich mit Dschihadis­ten verbündet.

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BILD: SN/APA/EPA/TOLGA BOZOGLU Tragödie vor den Augen der Weltöffent­lichkeit: Blick aus der Türkei auf Kobane.

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