Töne, die vom Himmel fallen
Eine Klanginstallation in einer Grazer Kirche widmet sich der Evolution des Universums. Wie ein Komponist 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall in 13,8 Minuten verdichtet.
In der Kirche stehen und nach oben blicken. Nicht zum Hauptaltar, nicht zumKruzifix oder auf die Kanzel, nein, dorthin, wo 216 Lautsprecher an unterschiedlich langen Schnüren hängen und den Raum beschallen. Es rumort im Gotteshaus. Es ist ein dumpfes, sphärisches Raunen, das in unterschiedlichen Lautstärken auf das Publikum einströmt. „Expansion of the Universe“, lautet der Titel der Klanginstallation des Komponisten Rudolf Wakolbinger. 13,8 Minuten dauert sie: Eine Anspielung auf jene 13,8 Milliarden Jahre, die seit dem Urknall vergangen sind.
Einmal selbst Schöpfer sein. Oder besser gesagt: Auslöser. Wer in der Grazer Pfarre St. Andrä auf einen roten Knopf drückt, startet damit die Komposition, die eine Ahnung vom Vergehen der Zeit, von der Unvorstellbarkeit des kosmischen Seins geben soll. Ob im Stehen, im Sitzen oder im Gehen durch die St.-Andrä-Kirche: Das Tonvolumen entführt in die Vorstellung eines dunklen Zeitalters.
Was wie der Soundtrack eines düsteren Science-Fiction-Filmspek- takels klingt, kann im Kirchenraum auch optisch erkundet werden. Allerdings nur in einer reduzierten Form auf einer ausgedruckten Plane. Denn die 1036 Stimmen umfassende Partitur Wakolbingers beinhaltet rund 1,6 Millionen Notenzeichen und wäre 240 Quadratmeter groß.
„Expansion of the Universe“ist ein sinnlich erfahrbares Ganzkörpererlebnis, eine Einladung, sich mit elementaren Fragen zu beschäftigen. „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Sind wir allein?“sagte Science Buster Heinz Oberhummer vor der Uraufführung des Werks, bei demWakolbinger sich unter anderem auf Mikrowellenaufnahmen des Universums, die von der USRaumfahrtbehörde NASA erstellt wurden, konzentriert hat. Die darin enthaltenen Informationen, wie etwa die Entstehungsprozesse von Galaxien oder die Verteilung der Materie im Universum, wurden vom Komponisten zeitgetreu der Expansionsgeschwindigkeit angeglichen. Der 31-jährige Komponist aus Braunau am Inn, der immer wieder Lichtfrequenzen in Tonhöhen umrechnet, hat rund zweieinhalb Jahre an demWerk gearbeitet.
„Die Partitur ist keine wissenschaftliche Analyse, sondern eine poetische Annäherung an das Thema“, betonte Hermann Glettler, der in Fragen der Gegenwartskunst versierte Pfarrer von St. Andrä. Für ihn ist die Toninstallation eine „Schule des Staunens“und der Weg vom Staunen zum Glauben „ein offener“. Die Frage der Entstehung und derAusbreitung desUniversumssei für Kirche wie Wissenschaft eine „gegenseitige Herausforderung“: „Das biblische Verständnis von Schöpfung muss sich der Kritik der wissenschaftlichen Erklärungsmodelle stellen.“Zudem öffne aber auch die philosophisch-religiöse Deutung einenHorizont, der bei seriöser Forschung unverzichtbar sei.
Die Augen schließen und hören. Zuhören. Sich in die Vakuumschwankungen, in das Werden der Sterne, die Entstehung des Lebens versenken. Auf eine Frage gibt es eine Antwort. „Wir alle bestehen aus Sternenstaub“, sagte der theoretische Physiker Heinz Oberhummer. Wieder dumpfes Röhren. Rudolf Wakolbingers Komposition, ein Beitrag zur Veranstaltung „AllTage Graz“, ist noch bis zum 11. November zu erleben.