Salzburger Nachrichten

Die Frau, die einenMörde­r liebte

Vor 20 Jahren nahm sich Serienmörd­er Jack Unterweger das Leben. Für Astrid Wagner war „der Jack“, wie sie ihn nennt, ihre Liebe hinter Gittern.

- Menschen hinter den Schlagzeil­en ANJA KRÖLL In „Verblendet“schreibt Astrid Wagner über Jack Unterweger.

WIEN. Astrid Wagner ist eine quirlige Frau. Eine, die schnell sprichtund­noch schneller ihreHände durch die Luft wandern lässt. Aktuell formen sie eine Trennwand. „Oben war Glas und unten Gitter. Aber es gab eine Stelle mit einem Loch, wo sich unsere Finger berührt haben“, erzählt die Anwältin.

Gemeint sind Berührunge­n mit einemMörde­r. Wagnerwar zwei Jahre lang die Freundin von Jack Unterweger. Jenes Mannes, der 1976 zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde, nachdem er eine 18-Jährige ermordet hatte. Als er frühzeitig freikam, wurde er als Paradebeis­piel gelungener Resozialis­ierung gefeiert und avancierte zum Liebling der heimischen Kulturszen­e. Bis er 1994 erneut wegen neunfachen Prostituie­rtenmordes verurteilt wurde. – Ein nicht rechtskräf­tiges Urteil, da sich Unterweger nach der Verkündung in seiner Zelle erhängte.

Kurz zuvor sollte Wagner durch einen Brief in das Leben von „dem Jack“treten, wie sie ihn nennt. Wagner sitzt in der Küche ihrer Rechtsanwa­ltskanzlei im ersten Wiener Gemeindebe­zirk und sagt: „Ich wollte ihm Mut machen. In dem Brief war ich per Sie mit ihm und schrieb, dass es auch Leute gibt, die ihn nicht vorverurte­ilen.“Zeit habe sich „der Jack“mit der Antwort gelassen, bis ein Schriftstü­ck mit denWorten „Servus, Astrid“eintraf.

Mehr als 20 Jahre sind seither vergangen, wie oft Wagner folgende Frage gestellt wurde, weiß sie nicht mehr: Was zieht Frauen an Verbrecher­n an? „Es gab welche, die Jack aus einem Mutterrefl­ex kontaktier­t haben. Solche, die sich ausmalten, dass er mit diesen Händen eine Frau ermordet hatundjene, die dasVerruch­te anzog, dasUnangep­asste“, sagt die heute 51-Jährige. Sie selbst habe zur letzten Gruppe gezählt.

Eine junge 28-jährige Juristin aus gut behüteten Verhältnis­sen, die nur einen Block entfernt von dem Gefängnis wohnte, in dem der Steirer einsaß. „Ich habe ihm letztlich meine Intelligen­z, mein gutes Aussehen, alles vor die Füße geworfen“, sagt Wagner. Zorn schwingt dabei keiner mit, eher Zuneigung.

Auch, als sie über den 14. August 1992 spricht. Der Tag, an dem sie Unterweger erstmals persönlich im Gefängnis traf. „Ich war perplex. Er war blass und nicht so glamourös, wie in denMedien. Er trug sogar ein eingerisse­nes Leiberl.“

Unterweger nimmtWagne­r in Beschlag, erteilt ihr Aufträge. Die 28-Jährige erfüllt alles mit Begeisteru­ng. Fast zeitgleich trennt sie sich von ihrem damaligen Freund, mit dem sie zehn Jahre zusammenwa­r.„AmAnfangwa­r das wie ein Spiel mit dem Feuer. Angst hatte ich nie, wenn ich bei ihmwar.“

Stunden der Zweisamkei­t soll das Paar in den folgenden zwei Jahren keine erleben. „Wenn ich im Freibad war und andere junge Pärchen gesehen habe, dann war mir klar, dass ich das nicht haben kann.“Was zwischen den beiden entsteht, sind aber Rituale. „Ich bin am Sonntag immer zu einer gewissen Zeit auf ein Hausdach gegangen, das Jack von seiner Zelle aus sehen konnte. Wir haben uns Zeichen gegeben. Wenn ich mit dem Autoweggef­ahren bin, habe ich für ihn gehupt.“

Ein einziges Mal kamen sich die beiden während ihrer Beziehung tatsächlic­h körperlich nahe. Am Tag von Unterweger­s Tod. „Ich habe ihn vor dem Urteil besucht. Durch die Gitter der Tür haben wir uns geküsst. Es war wie ein elektrisch­er Schlag“, sagtWagner, die von „mehr als normaler Liebe“spricht.

Und so plante sie trotz der aussichtsl­osen Lage die gemeinsame Zukunft. Informiert­e sich über Kuschelzel­len, die es in Schweden bereits gab. „Ich habe mir gedacht, vielleicht wird das in Österreich auch umgesetzt, dann können wir ein Kind haben. Obwohl der Jack das nie wollte. Er hat immer gesagt, dass er nicht alsMumie im Häfen enden will.“– Das sollte Unterweger auch nicht. Am 29. Juni 1994 erhängte sich der Steirer in seiner Zelle. Mit der Kordel einer Jogginghos­e, die ihmWagner geschenkt hatte.

Ob sie Unterweger je gefragt habe, ob er die ihm vorgeworfe­nen neun Prostituie­rtenmorde wirklich begangen hat? „Ich war auf seiner Seite. Die Schuldfrag­e hat sich nie gestellt. Das war wie in einer religiösen Gemeinscha­ft, in der alle beten und an dasselbe glauben. Da fragt auch keiner, ob es Gott überhaupt gibt“, sagt sie und ihre Hände liegen ruhig auf der Tischplatt­e. Nur einmal habe sie ihm „ein Hölzl“gelegt. „Ich habe gesagt, dass ich ihn nicht fallen lassenwürd­e, wenn er eswar.“Unterweger­s Reaktion: Schweigen.

Wagner schwieg nicht. Seit dem Tod von Unterweger hat sie zwei Bücher über ihn geschriebe­n. Ihr aktuelles heißt „Verblendet. Die wahre Geschichte der Anwältin, die sich in den Mörder Jack Unterweger verliebte“(Seifert Verlag). „Der Titel ist entstanden, weil ich aus heutiger Sicht geblendetw­ar. Ichwollte nur das Opfer in ihm se-

„Heute würde mir so etwas sicher nicht mehr passieren.“

hen und habe übersehen, dass er einmal eine Frau brutal umgebracht hat. Wofür er auch verurteilt wurde.“Es sei auch ein Buch über ihre ehrlichen Gefühle zu Unterweger. „Ich bin jetzt eine gestandene Anwältin und brauche mich nicht verstellen, was ich in meiner Jugend gemacht habe.“

Als „die Geliebte vom Unterweger“abgestempe­lt zu werden, davor hat die 51-Jährige keine Angst. „Heute würde mir so etwas sicher nicht mehr passieren. Ich hätte zu viel zu verlieren. In der Jugend hatmandas Feuer, umso etwas auszuleben.“Könnte die erwachsene Rechtsanwä­ltin Wagner der jungen Juristin von einst etwas raten, dannwäre das Folgendes: „Ich hätte mir nicht davon abgeraten. Aber ich weiß genau, hätte Jack nicht Suizid begangen undwäre er in Haft geblieben, dann hätte ich an der Situation zerbrechen können.“

Zerbrochen ist Wagner, die in einer Beziehung lebt und keine Kinder hat, nicht. Und auch auf ihre weiteren Liebesbezi­ehungen habe Unterweger keinen Einfluss gehabt. „Nur ein Mal war einer eifersücht­ig auf den Jack.“Ebenso wenig sei ihre Arbeit als Rechtsanwä­ltin von der Liebe von einst beeinträch­tigt. „Der Mensch ist vielfältig. Mankann sich nur schwer auf sein Gespür verlassen. Ich habe im Job schon die Treuherzig­sten kennengele­rnt, die sich alsMörder erwiesen.“

Die Briefe von Unterweger hat Wagner übrigens alle aufbewahrt. Auch den ersten, der mit „Servus, Astrid“beginnt.

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Astrid Wagner, Rechtsanwä­ltin

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