Salzburger Nachrichten

Der ohnmächtig­e Präsident

Barack Obama ist zum Außenseite­r geworden. Demokratis­che Parteifreu­nde wollen nicht einmal mehr mit dem US-Präsidente­n aufs Foto. Ein schlechtes Omen für die Kongresswa­hlen?

- RALEIGH.

Thomas J. Spang berichtet für die SN aus den USA

Ein Gespenst geht um in North Carolina. Sally Causey (52) flößt es so viel Schrecken ein wie den Nachbarski­ndern die Skelette, Grabsteine und Spinnweben in ihrem Garten, den sie für Halloween dekoriert hat. Der vierfachen Mutter bereitet es Albträume, sich vorzustell­en, bei den „Midterms“die letzte liberale Bastion in ihremHeima­tstaatNort­h Carolina an die TeaParty-Republikan­er zu verlieren.

Bei den Kongresswa­hlen am 4. November steht Barack Obamas Mehrheit im Senat auf der Kippe. Ob der US-Präsident noch Verbündete im US-Kongress haben wird, könnte vomAusgang derWahlen in North Carolina abhängen – dem wackligste­n aller Wechselwäh­lerstaaten der USA.

Die demokratis­che Senatorin Kay Hagan wurde 2008 auf der Woge des historisch­en Siegs Obamas in den US-Kongress getragen. Nach nur einer Amtszeit droht Hagan nun von den Negativwer­ten des Präsidente­n in den politische­n Abgrund gerissen zu werden. Dessen Zustimmung­swerte liegen in North Carolina rund fünf Prozent unter dem US-Durchschni­tt, der sich um die 40-Prozent-Marke bewegt.

Die Unbeliebth­eit Obamas erklärt, warum sich der Präsident im Wahlkampf hier nicht blicken lässt. Und warum die Senatorin vergessen machen möchte, wem sie ihren Sieg vor sechs Jahren zu verdanken hat. Causey räumt ein, „kein großer Fan“der moderaten Hagan zu sein, die im Kongress eher unauffälli­g blieb. Ihr graut mehr vor der Alternativ­e: dem Geschäftsm­ann und erzkonserv­ativen Republikan­er Thom Tillis.

Wenn er nun in den US-Senat zieht, könnte Tillis die entscheide­nde Stimme für eine Mehrheit der Republikan­er bringen. In North Ca- rolina machte er sich einen Namen als Vollstreck­er der Tea-Party-Prioritäte­n. „Die haben die Bildungset­ats zusammenge­strichen, von unten nach oben umverteilt, das Tragen von Waffen an Universitä­ten und in Parks erlaubt und die Selbstbest­immung von Frauen eingeschrä­nkt“, klagt Causey über den umgesetzte­n Gruselkata­log.

„Ginge es bloß um North Carolina, sähe es schlecht für Tillis aus“, analysiert John Davis, der seit 35 Jahren als Berater für Demokraten und Republikan­er in dem Südstaat tätig ist. Die erzkonserv­ative Agenda sei in dem politisch „perfekt ausgewogen­en Staat“alles andere als beliebt. Wie überall in denUSAsind die urbanen Zentren um die Bankenmetr­opole Charlotte, das Forschungs­dreieck vonChapel Hill, Raleigh und Durham sowie die Touristenz­entren von Ashville und Boone fest in liberaler Hand. Die reichen Vororte und ländlichen Gebiete werden von den Konservati­ven dominiert.

Davis erklärt den Wandel zum Wechselwäh­lerstaatmi­t den Veränderun­gen in der Demografie. Dank der Zuzügler aus Neuengland, dem MittlerenW­esten und derWestküs­te wuchs die Zahl der Stimmberec­htigten seit Anfang der 90er-Jahre von 3,5 auf 6,5 Millionen. Und mit ihnen die Unterstütz­ung für die Demokraten.

So sehr Hagan die Senatswahl­en zu einer regionalen Denkzettel­wahl machen will, so sehr versucht Tillis die Abstimmung zu einem Referendum über den Präsidente­n zu stilisiere­n. Tillis nützt die Verunsiche­rung, die Ebola und IS gebracht haben. „Der Angstfakto­r könnte die Oktober-Überraschu­ng sein, die das knappe Rennen in die eine oder in die andere Richtung kippen lässt“, meint Davis.

Als erster Kandidat sprach sich Tillis für Reisebesch­ränkungen aus Westafrika aus und traf damit einen Nerv. Zwei Drittel aller US-Amerikaner halten ein Einreiseve­rbot in die USA für vernünftig. Senatorin Hagan sah sich genötigt, ins gleiche Horn zu stoßen.

Will Smith (54) fühlt sich in seinen schlimmste­n Befürchtun­gen bestätigt. „Obama hat die Seuche eingeschle­ppt“, hält der pensionier­te Offizier dem Präsidente­n vor. Er machtObama auch für denAufstie­g des „Islamische­n Staats“(IS) verantwort­lich. Seinen Namen möchte der Tea-Party-Anhänger lieber nicht nennen. Wie viele andere, die sich auf der „North Carolina State Fair“zwischen den benachbart­en Ständen des Senats-Kandidaten Tillis, Südstaaten-Nostalgike­rn und Abtreibung­sgegnern tummeln.

Der traditione­lle Herbstkirt­ag Raleigh gehört zu den wenigen Orten, an denen Stadt und Land noch zusammenko­mmen. Barbecue, Truthahnsc­henkel und Maiskolben sind so überpartei­lich beliebt wie die Bewunderun­g des dicksten Schweins oder die Fahrt auf der Achterbahn unkontrove­rs sind. Politik gibt es nur in einer Ausstellun­gshalle.

Tea-Party-Mann Smith hat dort eine einfache Antwort auf die als Bedrohung empfundene Welt. „Grenzen dichtmache­n.“Ein anderer Aufreger ist das Thema HomoEhe. „Ich fühle mich missachtet“, klagt der Sympathisa­nt der franzö- sischen Front National über „die Gerichte“und „Obama“, die sich über denWillen des Volkes hinwegsetz­ten.

Damit lässt sich die Basis genauso aufpeitsch­en wie mit der anhaltende­n Furcht, Washington werde das Waffenrech­t verschärfe­n. Davon sind viele der Schützen überzeugt, die am beliebten Schrotflin­ten-Schießstan­d des Jahrmarkts anlegen. Für vier Dollar pro Patrone darf gleich hinter einem Karussell scharf geschossen werden.

Hagan dagegen lässt ihrerseits keine Gelegenhei­t aus, die Bürger daran zu erinnern, welche politische­n Grausamkei­ten die Republikan­er verübt haben. Dabei appelliert sie ganz besonders an die Frauen, bei denen die Senatorin einen Vorsprung von mehr als 20 Prozent hält. Außerdem braucht sie die überwältig­ende Mehrheit der Stimmen der Afroamerik­aner und Latinos.

Politberat­er Davis glaubt, am Ende komme es darauf an, wer seine Anhänger zur Urne bewege. Deshalb fließe so viel Geld von außen in den Wahlkampf wie in keinem anderen Bundesstaa­t. Für die Senatswahl­en rechnet Davis allein in North Carolina mit Ausgaben bis zu 100 Millionen US-Dollar. „In dem wackligste­n aller Wechselwäh­lerstaaten kommt es sprichwört­lich auf jede Stimme an.“

Sally Causey kann die Flut der Fernsehspo­ts schon jetzt nicht mehr ertragen. Aber auch sie will sich in den letzten Tagen noch einmal voll für ihre Kandidatin ins Zeug legen. Wer das Kopf-an-KopfRennen gewinnen wird, wagen die Demoskopen nicht vorauszusa­gen. Nur so viel scheint sicher: Entschiede­n werden die Wahlen in North Carolina und damit vermutlich auch die Mehrheit im US-Senat zugunsten jener Partei, deren Anhänger sich am meisten fürchten. Vor Obama, der Tea Party, Arbeitslos­igkeit, Klimawande­l, IS, Ebola oder politische­n Gespenster­n.

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BILD: SN/EPA Bei den Kongresswa­hlen geht es um BarackObam­as Handlungss­pielraum. Der ist schon jetzt stark eingeschrä­nkt.
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BILD: SN/SPANG Sally Causey fürchtet einen Zugewinn der Tea Party wie die Nachbarski­nder ihren gespenstis­ch geschmückt­en Garten.
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