Venedig verführt zum subtilen Betrug Wir übersehen Tricksen und Schwindeln, um in Schönheit zu schwelgen.
MÜNCHEN. Der Mensch lässt sich gern umschmeicheln oder gar betrügen, wenn dies sein Wohlergehen befördert. Diese Verführbarkeit nützt der Venezianer Bernardo Bellotto klug aus: Beim Betrachten des Bildes seiner Heimatstadt nehmen wir die Schwindelei, die er da anstellt, lustvoll an. So werden wir korrumpierbar: Wir nehmen’s mit derWahrheit nicht so genau, um in Schönheit zu schwelgen.
Ist es Lüge, was uns da im Hafenbecken von San Marco vorgegaukelt wird? Das wäre übertrieben. Denn Bernardo Bellotto, besser bekannt unter dem Künstlernamen Canaletto, hat gemalt, was tatsächlich da ist: Dogenpalast, Markusturm, Biblioteca Marciana – gegenüber Punta della Dogana und Santa Maria della Salute. Doch lässt sich an dem Gemälde abschauen, wozu wir uns gern hinreißen lassen – und sei’s mit ein wenig Lug und Trug.
Da sind Festlichkeit, Pracht und Reichtum, an denen wir gern teilhaben. Ein riesige goldene Barke, der „Bucintoro“des Dogen, hat soeben am Markusplatz angelegt. Das heißt: Es ist Himmelfahrtstag. Denn traditionsgemäß fuhr der Doge jedes Jahr an Christi Himmelfahrt in seinem Staatsschiff hinaus auf die Lagune undwarf einen vomPatriarchen gesegneten Ring ins Wasser. So wurde die Vermählung Venedigs mit demMeer gefeiert. Wer wäre da nicht gern dabei – bei den Mächtigen, Siegenden und Reichen?
Die Herrschaften rechts vorn haben ihre Gondel sogar mit blütenweißem Tuch geziert. Wer hinsieht, erkennt: Sie tragen Masken. Welch venezianisches Schauspiel!
Theatralität erzeugt Bernardo Bellotto zudem durch die bühnenartige Konstruktion dieses Festes als Inszenierung. DasMeer dient als Spielfläche. Und mit flachen Fluchtlinien sowie mit weißem Dunst di- rekt über dem Horizont gibt der Maler der Öffnung des Canal Grande eine irreale Tiefenwirkung. So zieht er den Blick – bloß mittels Farbe auf flacher Leinwand – in die Tiefe der Szene und zugleich in die faszinierendeWeite dieser Stadt.
Noch ein Trick betört uns: An die sechs bis zwölfWochen soll Bernardo Bellotto an so einem Gemälde getüftelt haben. Hier aber vermittelt er den Eindruck, als säße er mitten auf dem Wasser in einer gar nicht schwankenden Barke und hätte damals, um 1740, fast so prompt jede kleine Geste per Pinsel festgehalten wie heutzutage eine Kamera einen Schnappschuss knipst.
Canaletto exportiert das malerische Capriccio nach Dresden, München undWien.
Dabei hat er tatsächlich eine Kamera verwendet, allerdings eine Camera obscura, um die Umrisse perspektivisch exakt festzuhalten. Später, beim Übertragen der Handskizze in das viel größere Ölbild, verändert er diese mathematisch korrekte Darstellung so, dass sie den Augen wie den Sehnsüchten der Betrachter schmeicheln. Beim Malen sei es nicht nurumein „Aufnehmen und Korrigieren“der Skizze gegangen, sondern auch um ein „Verinnerlichen und Adaptieren“, um so eine „idealisierende Synthese seinesMotivs“zu finden, erläutert Andreas Schumacher, Kurator der neuen Ausstellung über Canaletto in der Alten Pinakothek inMünchen.
Noch etwas lässt uns diesen subtilen Betrügereien an diesem windstillen, sonnigen, aber – so zeigen es die Kleider – angenehm kühlen Tag gern auf den Leim gehen: Wir mögen die wurlende Lebendigkeit. Doch wir mögen auch, wenn das Wirrwarr in eine irgendwie fassbare Ordnung kommt. Canaletto vermittelt dieses Gefühl durch Komposition: Er bringt den unsäglichen Detailreichtum in eine vielschichtige Balance – aus dem Schatten des rechts hochragenden Turms und dem gleißenden Licht auf der geduckten Kuppel links, aus der Anziehung durch Nähe rechts und demSog in die Ferne links, aus Stein und Lebewesen, aus Stadt und Städtern, aus Himmel und Wasser, aus geometrischen Achsen und unkontrollierbarer Lebendigkeit.
Dass Bernardo Bellotto diese subtile Bildsprache perfektioniert, doch nicht erfunden hat, ist nun in der Alten Pinakothek zu erkunden. Vor ihm haben Albrecht Dürer oder die Niederländer des Goldenen Zeitalters dem Malen von Landschaften und Stadtansichten gefrönt. Von deren Feinsinn und vor allem vom Können seines Onkels Antonio Canal – ebenfalls „Canaletto“genannt – hat Bernardo Bellotto viel gelernt. Übrigens: Auch der Onkel hat den Bucintoro bei San Marco gemalt, doch in kräftigeren Farben als der Neffe, mit weniger Dunst, weniger Tiefe, weniger Lichtspiel, weniger Spiegelungen. InMünchen ist dies derzeit zu vergleichen.
Bernardo Bellotto treibt die Vedute zu einer neuartigen, großformatigenOpulenz. Weil sich dies zur Mode der Grand Tour fügt, der damals aufkommenden aristokratischen Bildungsreise, kommen seine Veduten in europäische Adelshäuser – wie exquisite Reisesouvenirs. Das obige Bild vonVenedigamHimmelfahrtstag ist etwa in Howard Castle in York in England.
1747 verließ Canaletto Venedig. Als Hofmaler in Dresden, Wien, München und Warschau exportierte er dorthin dieses malerische Capriccio, diesen Canaletto-Blick.
Ausstellung: