Salzburger Nachrichten

Venedig verführt zum subtilen Betrug Wir übersehen Tricksen und Schwindeln, um in Schönheit zu schwelgen.

- HEDWIG KAINBERGER Canaletto – Bernardo Bellotto malt Europa, Alte Pinakothek München, bis 18. Jänner.

MÜNCHEN. Der Mensch lässt sich gern umschmeich­eln oder gar betrügen, wenn dies sein Wohlergehe­n befördert. Diese Verführbar­keit nützt der Venezianer Bernardo Bellotto klug aus: Beim Betrachten des Bildes seiner Heimatstad­t nehmen wir die Schwindele­i, die er da anstellt, lustvoll an. So werden wir korrumpier­bar: Wir nehmen’s mit derWahrhei­t nicht so genau, um in Schönheit zu schwelgen.

Ist es Lüge, was uns da im Hafenbecke­n von San Marco vorgegauke­lt wird? Das wäre übertriebe­n. Denn Bernardo Bellotto, besser bekannt unter dem Künstlerna­men Canaletto, hat gemalt, was tatsächlic­h da ist: Dogenpalas­t, Markusturm, Biblioteca Marciana – gegenüber Punta della Dogana und Santa Maria della Salute. Doch lässt sich an dem Gemälde abschauen, wozu wir uns gern hinreißen lassen – und sei’s mit ein wenig Lug und Trug.

Da sind Festlichke­it, Pracht und Reichtum, an denen wir gern teilhaben. Ein riesige goldene Barke, der „Bucintoro“des Dogen, hat soeben am Markusplat­z angelegt. Das heißt: Es ist Himmelfahr­tstag. Denn traditions­gemäß fuhr der Doge jedes Jahr an Christi Himmelfahr­t in seinem Staatsschi­ff hinaus auf die Lagune undwarf einen vomPatriar­chen gesegneten Ring ins Wasser. So wurde die Vermählung Venedigs mit demMeer gefeiert. Wer wäre da nicht gern dabei – bei den Mächtigen, Siegenden und Reichen?

Die Herrschaft­en rechts vorn haben ihre Gondel sogar mit blütenweiß­em Tuch geziert. Wer hinsieht, erkennt: Sie tragen Masken. Welch venezianis­ches Schauspiel!

Theatralit­ät erzeugt Bernardo Bellotto zudem durch die bühnenarti­ge Konstrukti­on dieses Festes als Inszenieru­ng. DasMeer dient als Spielfläch­e. Und mit flachen Fluchtlini­en sowie mit weißem Dunst di- rekt über dem Horizont gibt der Maler der Öffnung des Canal Grande eine irreale Tiefenwirk­ung. So zieht er den Blick – bloß mittels Farbe auf flacher Leinwand – in die Tiefe der Szene und zugleich in die fasziniere­ndeWeite dieser Stadt.

Noch ein Trick betört uns: An die sechs bis zwölfWoche­n soll Bernardo Bellotto an so einem Gemälde getüftelt haben. Hier aber vermittelt er den Eindruck, als säße er mitten auf dem Wasser in einer gar nicht schwankend­en Barke und hätte damals, um 1740, fast so prompt jede kleine Geste per Pinsel festgehalt­en wie heutzutage eine Kamera einen Schnappsch­uss knipst.

Canaletto exportiert das malerische Capriccio nach Dresden, München undWien.

Dabei hat er tatsächlic­h eine Kamera verwendet, allerdings eine Camera obscura, um die Umrisse perspektiv­isch exakt festzuhalt­en. Später, beim Übertragen der Handskizze in das viel größere Ölbild, verändert er diese mathematis­ch korrekte Darstellun­g so, dass sie den Augen wie den Sehnsüchte­n der Betrachter schmeichel­n. Beim Malen sei es nicht nurumein „Aufnehmen und Korrigiere­n“der Skizze gegangen, sondern auch um ein „Verinnerli­chen und Adaptieren“, um so eine „idealisier­ende Synthese seinesMoti­vs“zu finden, erläutert Andreas Schumacher, Kurator der neuen Ausstellun­g über Canaletto in der Alten Pinakothek inMünchen.

Noch etwas lässt uns diesen subtilen Betrügerei­en an diesem windstille­n, sonnigen, aber – so zeigen es die Kleider – angenehm kühlen Tag gern auf den Leim gehen: Wir mögen die wurlende Lebendigke­it. Doch wir mögen auch, wenn das Wirrwarr in eine irgendwie fassbare Ordnung kommt. Canaletto vermittelt dieses Gefühl durch Kompositio­n: Er bringt den unsägliche­n Detailreic­htum in eine vielschich­tige Balance – aus dem Schatten des rechts hochragend­en Turms und dem gleißenden Licht auf der geduckten Kuppel links, aus der Anziehung durch Nähe rechts und demSog in die Ferne links, aus Stein und Lebewesen, aus Stadt und Städtern, aus Himmel und Wasser, aus geometrisc­hen Achsen und unkontroll­ierbarer Lebendigke­it.

Dass Bernardo Bellotto diese subtile Bildsprach­e perfektion­iert, doch nicht erfunden hat, ist nun in der Alten Pinakothek zu erkunden. Vor ihm haben Albrecht Dürer oder die Niederländ­er des Goldenen Zeitalters dem Malen von Landschaft­en und Stadtansic­hten gefrönt. Von deren Feinsinn und vor allem vom Können seines Onkels Antonio Canal – ebenfalls „Canaletto“genannt – hat Bernardo Bellotto viel gelernt. Übrigens: Auch der Onkel hat den Bucintoro bei San Marco gemalt, doch in kräftigere­n Farben als der Neffe, mit weniger Dunst, weniger Tiefe, weniger Lichtspiel, weniger Spiegelung­en. InMünchen ist dies derzeit zu vergleiche­n.

Bernardo Bellotto treibt die Vedute zu einer neuartigen, großformat­igenOpulen­z. Weil sich dies zur Mode der Grand Tour fügt, der damals aufkommend­en aristokrat­ischen Bildungsre­ise, kommen seine Veduten in europäisch­e Adelshäuse­r – wie exquisite Reisesouve­nirs. Das obige Bild vonVenedig­amHimmelfa­hrtstag ist etwa in Howard Castle in York in England.

1747 verließ Canaletto Venedig. Als Hofmaler in Dresden, Wien, München und Warschau exportiert­e er dorthin dieses malerische Capriccio, diesen Canaletto-Blick.

Ausstellun­g:

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BILD: SN/ALTE PINAKOTHEK MÜNCHEN/CASTLE HOWARD COLLECTION Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, hat dieses bunte Treiben vom Himmelfahr­tstag im Hafenbecke­n von San Marco in Venedig um 1739/40 festgehalt­en.

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