Atemlos durch die Nacht des Bildertheaters
Willkommen im „Motel“der falschen Wirklichkeiten: Viktor Bodós Resümee ist ein Fieberwahn.
Der verrückte Professor auf seinem mobilen Thron schreit. Allerdings nicht mit der eigenen Stimme, sondern einer, die vom Band kommt. Seine kauzigen Mitarbeiter irritieren ebenso, irgendetwas ist schiefgegangen. Bloß was? Sicher ist nur, dass nichts ist, wie es scheint. Schnitt. Schon treiben Auftragskiller, die einer Quentin-Tarantino-Blutorgie entsprungen zu sein scheinen, ihr slapstickartiges Unwesen. Wieder Schnitt. Jetzt eine Michael-Jackson-Einlage. Dauert nur einige Sekunden. Und schon geht sie weiter, die fulminante Tour de Force des ungarischen Theatermachers Viktor Bodó: atemlos durch die Theaternacht.
In seiner letzten Arbeit in der Ära Anna Badora in Graz treibt der 36-jährige Regisseur undAutor alles auf die Spitze. Die Neufassung des 2003 mit András Vinnai geschrieben Stücks „Motel“dekonstruiert das Medium Theater mit theatralischen Mitteln, die bis zum Exzess getrieben werden. Handlung? Wer braucht das schon? Entwicklung der Figuren? Wozu? Wie ein Tornado fällt das Bildertheater des Victor Bodó ins Schauspielhaus Graz ein, wirbelt Charaktere, Schauspieler, Bühnenteile, Gewohnheiten und tradierte Ordnungen herum, belustigt, amüsiert, provoziert, lähmt, verärgert und noch vielesmehr.
Das an sich schon skurrile Treiben in einem Motel, in dem unter anderem ein Lkw-Fahrer, ein Autor, wahnwitzige Forscher und ein phrasendreschendes (Liebes-?)Pärchen einer Definition vonWirklichkeit nachjagen, gerät allmählich gänzlich außer Kontrolle. Hinter dem Foyer mit den grafischen Bühnenrequisiten lauern Täuschungen, Realitätsüberlagerungen, Missver- ständnisse. Die Kunst des Zitats beherrscht Bodó meisterhaft, immer wieder irrlichtert sattsam Bekanntes aus Film, TV, Literatur, Theater, Pop in diesem Haus der wirren Gefühle. Was der Ungar ursprünglich aus Harold Pinters „Der stumme Diener“destilliert hat, mixt er für seinen Grazer Abschied zu einem spritzigen Illusionscocktail. Stromausfälle und viele andere Als-obPannen: Wie ein Wolfgang-BauerStück auf einem LSD-Trip, garniert mit Schlingensief’scher Agitationslust und mit zahllosen Verbeugun- gen vor großen Geistern von Franz Kafka bis Alfred Hitchcock, von Stan & Olli bis David Lynch fällt die 140-minütige Abrechnung mit dem Theater, die zugleich auch eine Liebeserklärung ist, über das Publikum her. In dem (alb)traumähnlichen Rausch löst sich am Ende auch die Bühne auf, die ungarischen Gastschauspieler beflegeln ihre österreichischen Kollegen (und umgekehrt), Akteure entschlüpfen ihren Rollen.
Peinlich berührendes Mitmachtheater – unter anderem gilt es eine Hymne zu singen – gehört ebenso zum Konzept wie ironische Selbstkritik: „Unglaublich, was auf Provinzbühnen alles möglich ist.“Viktor Bodós Resümee über seine mit einigen wenigen Abstrichen höchst ergiebige Grazer Zeit fällt grell, sinnlich und vielstimmig aus. 15 höchst motivierte Schauspieler aus zwei Ländern gehen an ihre Grenzen und überschreiten diese auch. Bodós lustvolles Spektakeltheater wird Graz fehlen.
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