Begegnungen imHorrorhaus
Verdis Oper „Rigoletto“ist populär, ihre Schlager sind Wunschkonzertmelodien. Hier aber wird ein beklemmendes Drama voller Angst, Gewalt und Gefühlskälte vorgeführt.
SALZBURG. Man möchte lieber nicht wissen, was sich hinter den Türen jenseits des „Gesellschaftsraums“abspielt, woraus reihenweise leicht bekleidete, mit Blondperücken ausstaffierte Damen und putzig gekleidete Kinder in Tanzposen vorgeführt werden. Fällt eine oder eines aus den Reihen, ist sofort einWachmann zur Stelle, der die Ordnung wieder herstellt. Währenddessen ist dem Herzog und seinen Höflingen anzumerken: Hier wird Ware geliefert, derer man sich nur zu bedienen braucht. „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet“, möchte man mit Büchners Danton fragen. Weder gelten die Gesetze der Moral noch spürbare (zwischen)menschliche Gefühle in dieser kalten, gierigen Welt, die Regisseurin Amélie Niermeyer am Beginn ins Zentrum ihrer Inszenierung vonVerdis „Rigoletto“stellt. Es lebt der Genuss – bis Monterone den Missbrauch seiner Tochter anklagt und den Herzog und seinen Narren Rigoletto verflucht.
Dann verdunkelt sich die Szene von Alexander Müller-Elmau im ehemaligen Salzburger Kleinen Festspielhaus. Ein verlassenes Stockwerk macht auf andere Weise deutlich, dass man sich in einem Horrorhaus befindet. Dort nistet der Auftragsmörder Sparafucile.
Noch tiefer, im Keller, hält Rigoletto seine Tochter Gilda, hütet sie unter kalter Neonleuchte wie ein Geheimnis. Wenn Ivan Inverardi mit seinem massigen Körper mit weit aufgerissenen Augen wie ein Bär durch die Szene tapst, muss sich nicht nur die zierliche, kleine Eri Nakamura als Gilda fürchten und in die Ecke verdrücken. Das ist, bei aller Liebe, ein nicht geheurer Vater.
Masken spielen, neben Angst und Gewalt, eine zentrale Rolle in dieser beklemmend realitätsnahen Inszenierung; sie verbergen die wahren Charakterzüge, schützen zugleich vor dem Erkennen. Sie hel- fen aber nicht, dem Lauf des Schicksals zu entkommen. Jede Flucht in die Illusion läuft ins Leere.
Niermeyers Regie begnügt sich nicht mit einer wie auch immer gearteten rührenden Vater-TochterGeschichte, nicht mit dem tragischen Schicksal eines Hofnarren, der sich an dieMächtigen klammert und doch verlieren muss. Sie reißt vielmehr auf, wie zügelloses Vergnügen Menschen in ihren Gefühlen und Glücksmomenten, die oft nur schimärenhaft aufleuchten, zerstört. Gilda beispielsweise glaubt innig an ihren „Studenten“, bis sie erkennenmuss, wie der Herzog den „teuren Namen“ebenso missbraucht wie sie. Die Rache, die sie mit ihrem Vater schwört, ist fürchterlich, weil sie nicht den trifft, dem sie gilt, sondern letztendlich sie selbst.
Eri Nakamura, die mit zärtlichen, zierlichen Silbertönen von ätherischer Schönheit einen Traum fassen will, fährt in diesem Racheduett mit einem Mal eine überwältigend ungeheure Stimmkraft aus, die wie ein Samuraischwert schneidet. Erst vor einemMonat hat sie als Gilda in London debütiert, nun liefert sie in Salzburg ein Rollenprofil aus der Musik, das man als Ereignis klassifizierenmuss.
Nicht nur mit diesem Traumso- pran aus der Talenteschmiede der Bayerischen Staatsoper hat das Salzburger Landestheater einen Glücksgriff getan. Auch Ivan Inverardis Rigoletto hat eine sofort einnehmende, bühnenbeherrschende Statur; was man sich da und dort wünschen möchte, sind weichere Zwischentöne, verschattetere Farben hinter der voluminösen Energie dieses Baritons.
Eine blendende Erscheinung istRameLahaj als Herzog, gerade weil er nicht offensiv vor Virilität strotzt, sondern mit schlankem, beweglichen Tenor durchaus auch Momente des Zögerlichen, Unsicheren in seinen Klang fasst. In der Intonation hat er sich bald justiert, strahlt sicher und stabil in die Höhe, hat einen schmelzenden tenoralen Kern, der es ihm auch mühelos erlaubt, dramatische Attacke zu zeigen.
Bis in die kleinen und kleinsten Rollen und ins Kollektiv des intensiven (Männer-)Chors ist diese faszinierende Aufführung brillant besetzt und durchgearbeitet. KleinereUngenauigkeiten und nicht bis ins Letzte logisch sich erschließende szenischeAkzente fallen nicht ins Gewicht, weil das Ganze in sich stimmt.
Die musikalische Gangart, die der Dirigent Adrian Kelly mit dem hervorragenden, immer wieder klangrednerisch geschärft agierenden Mozarteumorchester einschlägt, deckt die Haltung dieser Aufführung exakt: soghaft wirkendes Musizieren voller Intensität und Empfindung, durchsetzt von grellen dramatischen Akzenten, fabelhaft durchgestaltete Klangdramaturgie. Verdis Klangsprache wird mit kühner Direktheit ungeschönt und deutlich ausgestellt: radikal und modern.
Oper: