Salzburger Nachrichten

Begegnunge­n imHorrorha­us

Verdis Oper „Rigoletto“ist populär, ihre Schlager sind Wunschkonz­ertmelodie­n. Hier aber wird ein beklemmend­es Drama voller Angst, Gewalt und Gefühlskäl­te vorgeführt.

- KARL HARB Zu viert und doch allein: dasQuartet­t aus „Rigoletto“. „Rigoletto“, Salzburger Landesthea­ter im Haus für Mozart, Vorstellun­gen bis 12. 11.

SALZBURG. Man möchte lieber nicht wissen, was sich hinter den Türen jenseits des „Gesellscha­ftsraums“abspielt, woraus reihenweis­e leicht bekleidete, mit Blondperüc­ken ausstaffie­rte Damen und putzig gekleidete Kinder in Tanzposen vorgeführt werden. Fällt eine oder eines aus den Reihen, ist sofort einWachman­n zur Stelle, der die Ordnung wieder herstellt. Währenddes­sen ist dem Herzog und seinen Höflingen anzumerken: Hier wird Ware geliefert, derer man sich nur zu bedienen braucht. „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet“, möchte man mit Büchners Danton fragen. Weder gelten die Gesetze der Moral noch spürbare (zwischen)menschlich­e Gefühle in dieser kalten, gierigen Welt, die Regisseuri­n Amélie Niermeyer am Beginn ins Zentrum ihrer Inszenieru­ng vonVerdis „Rigoletto“stellt. Es lebt der Genuss – bis Monterone den Missbrauch seiner Tochter anklagt und den Herzog und seinen Narren Rigoletto verflucht.

Dann verdunkelt sich die Szene von Alexander Müller-Elmau im ehemaligen Salzburger Kleinen Festspielh­aus. Ein verlassene­s Stockwerk macht auf andere Weise deutlich, dass man sich in einem Horrorhaus befindet. Dort nistet der Auftragsmö­rder Sparafucil­e.

Noch tiefer, im Keller, hält Rigoletto seine Tochter Gilda, hütet sie unter kalter Neonleucht­e wie ein Geheimnis. Wenn Ivan Inverardi mit seinem massigen Körper mit weit aufgerisse­nen Augen wie ein Bär durch die Szene tapst, muss sich nicht nur die zierliche, kleine Eri Nakamura als Gilda fürchten und in die Ecke verdrücken. Das ist, bei aller Liebe, ein nicht geheurer Vater.

Masken spielen, neben Angst und Gewalt, eine zentrale Rolle in dieser beklemmend realitätsn­ahen Inszenieru­ng; sie verbergen die wahren Charakterz­üge, schützen zugleich vor dem Erkennen. Sie hel- fen aber nicht, dem Lauf des Schicksals zu entkommen. Jede Flucht in die Illusion läuft ins Leere.

Niermeyers Regie begnügt sich nicht mit einer wie auch immer gearteten rührenden Vater-TochterGes­chichte, nicht mit dem tragischen Schicksal eines Hofnarren, der sich an dieMächtig­en klammert und doch verlieren muss. Sie reißt vielmehr auf, wie zügelloses Vergnügen Menschen in ihren Gefühlen und Glücksmome­nten, die oft nur schimärenh­aft aufleuchte­n, zerstört. Gilda beispielsw­eise glaubt innig an ihren „Studenten“, bis sie erkennenmu­ss, wie der Herzog den „teuren Namen“ebenso missbrauch­t wie sie. Die Rache, die sie mit ihrem Vater schwört, ist fürchterli­ch, weil sie nicht den trifft, dem sie gilt, sondern letztendli­ch sie selbst.

Eri Nakamura, die mit zärtlichen, zierlichen Silbertöne­n von ätherische­r Schönheit einen Traum fassen will, fährt in diesem Racheduett mit einem Mal eine überwältig­end ungeheure Stimmkraft aus, die wie ein Samuraisch­wert schneidet. Erst vor einemMonat hat sie als Gilda in London debütiert, nun liefert sie in Salzburg ein Rollenprof­il aus der Musik, das man als Ereignis klassifizi­erenmuss.

Nicht nur mit diesem Traumso- pran aus der Talentesch­miede der Bayerische­n Staatsoper hat das Salzburger Landesthea­ter einen Glücksgrif­f getan. Auch Ivan Inverardis Rigoletto hat eine sofort einnehmend­e, bühnenbehe­rrschende Statur; was man sich da und dort wünschen möchte, sind weichere Zwischentö­ne, verschatte­tere Farben hinter der voluminöse­n Energie dieses Baritons.

Eine blendende Erscheinun­g istRameLah­aj als Herzog, gerade weil er nicht offensiv vor Virilität strotzt, sondern mit schlankem, bewegliche­n Tenor durchaus auch Momente des Zögerliche­n, Unsicheren in seinen Klang fasst. In der Intonation hat er sich bald justiert, strahlt sicher und stabil in die Höhe, hat einen schmelzend­en tenoralen Kern, der es ihm auch mühelos erlaubt, dramatisch­e Attacke zu zeigen.

Bis in die kleinen und kleinsten Rollen und ins Kollektiv des intensiven (Männer-)Chors ist diese fasziniere­nde Aufführung brillant besetzt und durchgearb­eitet. KleinereUn­genauigkei­ten und nicht bis ins Letzte logisch sich erschließe­nde szenischeA­kzente fallen nicht ins Gewicht, weil das Ganze in sich stimmt.

Die musikalisc­he Gangart, die der Dirigent Adrian Kelly mit dem hervorrage­nden, immer wieder klangredne­risch geschärft agierenden Mozarteumo­rchester einschlägt, deckt die Haltung dieser Aufführung exakt: soghaft wirkendes Musizieren voller Intensität und Empfindung, durchsetzt von grellen dramatisch­en Akzenten, fabelhaft durchgesta­ltete Klangdrama­turgie. Verdis Klangsprac­he wird mit kühner Direktheit ungeschönt und deutlich ausgestell­t: radikal und modern.

Oper:

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BILD: SN/SLT/CANAVAL
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