Auch der Individualismus ist für alle da
Mit Vielfalt auf dichtem Raum überbot sich das Festival Jazz & The City heuer. Auch für Gegensätze war dabei Platz.
Louis Sclavis macht die Augen zu und konzentriert sich auf den Balanceakt. Links von ihm gibt sein iranischer Trommelmeister Keyvan Chemirani einen tänzelnden Beat vor. Rechts von ihm sitzt Gitarrist Gilles Coronado und knüpft ihm ein Netz aus filigranen Akkorden. Dann setzt Sclavis an. Gratwanderungen sind eine Spezialität des französischen Klarinettisten. In Afrika suchte er Reibungsflächen zwischen freiem Jazz und fest verwurzelten Traditionen, in Europa ohnedies. Diesmal ist persische Musik das Reiseziel seiner „imaginären Folklore“. Seidige Grooves treffen auf würzige Soli. „Silk and Salt Melodies“heißt das Album (ECM/Lotus), das Sclavis bei seinem Gastspiel in den Salzburger Kavernen 1595 am Freitag vorgestellt hat.
Sclavis war einer der Stars des Gratis-Festivals Jazz & The City, das im 15. Jahr mit besonders vielen gro- ßen Namen auffuhr. Aus Gegensätzen bauen Sclavis und sein Quartett (Klavier: Benjamin Moussay) ein starkes Spannungsfeld auf. Wie Sclavis sucht auch das Festival die Balance zwischen zwei Reisezielen. Das heißt: Ein musikalisch anspruchsvolles Programm muss sich mit dem Ziel der Altstadtbelebung unter einenHut bringen lassen. Jazz als Nischenmusik für Individualisten ist dafür nicht die einfachste Wahl. Die Mischung ist aber auch heuer geglückt.
Im republic begeisterte am Freitag Monika Roscher mit ihrem Indie-Big-Band-Sound. Am Donnerstag bescherte William Calhoun mit seinem New Yorker Quartett eine kompromisslos intensive Konzertstunde. Im Trio machte Gitarrist John Scofield am Freitag jenen Druck, die nicht schon zu Sclavis weitereilten.
Der Klarinettist hingegen blieb auch noch am Samstag für ein Duo mit Michel Portal, bei dem beide mit weise entspanntem Spielwitz glänzten. Die Zählkarten für das Konzert im Weinarchiv der Blauen Gans waren längst vergriffen.
Bei den Zutrittsmodalitäten zu den Konzerten ist ebenfalls Platz für Gegensätze. Programm-Macher Gerhard Eder hat den Anteil der internationalen Stars beständig gesteigert. Größer wurde damit auch das Griss um die kostenlosen Ein- trittskarten, die für die Hauptacts nötig sind. Und größer wurde die Anzahl jener, die sich für dasGratisErlebnis umsonst anstellen. Nicht selten hört man deshalb bereits den Wunsch nach günstigen Zahlkarten statt sofort vergriffener Zählkarten. Warteschlangen sind aber bei Weitem keine Spezialität von Jazz & The City. Da genügt ein Blick zum Filmfestival Viennale. Das Anstel- len in aller Früh und die „Ausverkauft“-Meldung bald nach Öffnen der Schalter gehört dort zum jährlich in Kauf genommenen Ritual.
Die Idee, Jazz und Weltmusik massentauglich zu präsentieren, ging bisher stets auf: Mit 30.000 Besuchern rechnen die Veranstalter vomAltstadt Marketing jährlich.
Ein Gegensatz löst sich dabei immer öfter auf: Die Idee, bei einer mitunter auch sperrigen Musik zwanglos schnuppern zu können, führt mittlerweile selten zu Massenbewegungen während der Konzerte. Nur Saxofonist John Surman und Sängerin Karin Krog staunten heuer in den Kavernen über den regen Publikumswechsel, der nach jedem Song losbrach. Warten hätte sich gelohnt: Nicht jede Musik erschließt sich in drei Minuten. Für die eiligsten Schnupperer, die sich wirklich nur flüchtig von der Muse küssen lassen wollen, wäre eine abgetrennte Kiss-and-go-Zone eine Überlegung wert.