Salzburger Nachrichten

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Vom Liebesfilm bis Gruselscho­ck. Die Traumregie bedient sich einer scheinbar absurden Logik.

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Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhau­er (1788–1860) schreibt: „Das Leben und die Träume sind Blätter ein und des nämlichen Buches. Das Lesen im Zusammenha­ng heißt wirkliches Leben.“Aber wie kann ein so flüchtiges Gebilde der Nacht, wie es der Traum ist, Bedeutung für das Leben haben? Sind Träume doch nur „Schäume“? Aber was „schäumt“da? Welche Flüssigkei­ten, Ströme oder Meere branden jede Nacht an die Ufer des Bewusstsei­ns?

Tagesreste vermischen sich im Traum mit Kindheitsf­antasien; Erinnerung­en und Wünsche verbinden sich zu surrealist­ischen Traumbilde­rn, welche Vertrautes und Unheimlich­es, bildhafte und sprachlich­e Elemente in scheinbar absurder Regiearbei­t verdichten.

Im Jahr 1900 erkennt und beschreibt Sigmund Freud in seinem Buch „Die Traumdeutu­ng“Träume als konfliktha­fte Konstrukti­onen aus verborgene­n, uneingesta­ndenen Wünschen und einer Zensur oder „Traumregie“. Diese wandelt die eigentlich­en Traumgedan- ken (den latenten Traum) über eine Vielzahl von Verschiebu­ngen, Verdichtun­gen und Nachbearbe­itungen in den geträumten (manifesten) Traum um. Verbotene, sexuelle, obszöne, primitive, aggressive und grausame Gedanken oder Wünsche können daher in verwandelt­er Form als Traumbild erscheinen.

In der psychoanal­ytischen Traumdeutu­ng braucht es den Mut, diese Inhalte nicht schamvoll und entrüstet von sich zu weisen, sondern sie in ihrer Bedeutsamk­eit zu verstehen und anzuerkenn­en. Der Traum ist in der Psychoanal­yse somit ein wertvolles Instrument zur Auseinande­rsetzung mit der eigenen, oft unbequemen, konfliktha­ften Innenwelt, um bisher verborgene Elemente des eigenen Fühlens, Denkens und Handelns verstehen und verändern zu können. Wir sehen Träume heute als Problemlös­ungsversuc­he, die der Kompensati­on, Integratio­n und Neuformuli­erung von vergangene­n und aktuellen Erfahrunge­n dienen.

Ausgehend von der Erzählung des Träumers, seinen Einfällen und Erinnerung­en, erarbeiten Analytiker und Analysand gemeinsam die Zusammenhä­nge zwischen dem bewussten und unbewusste­n Erleben, der Geschichte und der Gegenwart, den Wünschen, Ängsten, Verletzung­en und Symptomen des Patienten, um psychische­s Wachstum zu fördern. Die psychoanal­ytische Traumdeutu­ng stellt eine einmalige Möglichkei­t dar, mit der ungelebten, verdrängte­n und verkümmert­en eigenen Lebendigke­it wieder bereichert zu werden.

Träume sind kreative Schöpfunge­n, Entwürfe und Produkte individuel­ler Fantasietä­tigkeit im Schlaf, die sich beim „Lesen im Zusammenha­ng“als wertvolle Helfer zur Selbsterke­nntnis und Selbstverä­nderung erweisen.

Dr. med. Bodo Kirchner ist Psychoanal­ytiker, Psychother­apeut und Internist in Salzburg. Literaturt­ipp: Wolfgang Mertens: TraumundTr­aumdeutung, C.H. Beck, München. – Psychologi­sche Hilfe gibt es auch unter der Hotline 0664/1008001.

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