Salzburger Nachrichten

Und plötzlich gab es kein Stollwerck mehr

Die Berichte der letzten Salzburger Zeitzeugen, die in den 1930er-Jahren groß wurden, erscheinen jetzt in Buchform. Die Zeit drängt.

- THOMAS HÖDLMOSER BAD HOFGASTEIN. Alfred Berghammer, Bildungswe­rk Die Erinnerung­en der Pongauer Zeitzeugen erscheinen unterdem Titel „Das war unsere Zeit“in der Edition Tandem (Preis: 19,50 Euro). Das Buch wirdamDonn­erstag, 30. Oktober, um19 Uhr im Schlo

Mit seinem Leben hat Johann Schober schon vor mehr als 60 Jahren abgeschlos­sen. Als er 15war, wurde er schwer herzkrank. Drei Jahre lag er mehr oder weniger ständig im Bett, sah seinen „Lebensfilm“schon vor sich ablaufen.

Schober hat die schwere Krankheit überstande­n. Im Dezember wird er 82. So viel hat er erlebt, dass er sich die Frage stellt: „Wo anfangen, wo aufhören zu erzählen?“So lautet denn auch der Titel zu seinem Beitrag in einem Band mit Zeitzeugen­berichten aus dem Pongau, der diese Woche in Buchform erscheint.

Da ist etwa der Tag des Kriegsbegi­nns, der 1. September 1939. „Dieser Tag ist mir unangenehm in Erinnerung, weil es ab diesem Zeitpunkt keine Stollwerck (weiche Karamellzu­ckerl) mehr in den Geschäften gegeben hat“, erinnert sich Schober.

In der Volksschul­e in Bad Hofgastein herrschte Lehrermang­el. Einmal saßen 102 Schüler in einer Klasse. Wenn Schober, der aus einer christlich­en Bauernfami­lie stammte, am Sonntag zur Messe gehenwollt­e, wurde er von Burschen der Hitler-Jugend abgefangen und zum Appell geführt. Er erinnert sich, wie ein Nachbar seinem Vater drohte, ihn nach Dachau zu bringen.

Auch Schobers Frau Katharina haben sich die Erlebnisse aus der Zeit des Nationalso­zialismus unauslösch­lich im Gedächtnis eingebrann­t. „Da klopfte unser Nachbar – ein illegaler Nazi – nachts an das Fenster und rief: ,Schwarze Brut, aufg’hängt werd’s!‘ Ich getraute mich daraufhin nicht mehr allein schlafen gehen.“

Die Erinnerung­en des Ehepaars Schober sind Teil einer Sammlung von Zeitzeugen­berichten. Die Initiative dazu kam von Alfred Berghammer, der den Arbeitskre­is Seniorenbi­ldung beim Salzburger Bildungswe­rk leitet. „Es gibt viele Leute, dieUnglaub­liches zu erzählen haben, weil in dieser Generation so vieles an Veränderun­g stattgefun­den hat wie sonst kaum in einer Generation“, sagt Berghammer.

Allerdings wird die Zahl jener, die aus erster Hand berichten können, von Tag zu Tag kleiner.

„ Es gibt so viele Leute, die Unglaublic­hes zu erzählen haben.“

Wie sehr die Zeit drängt, zeigt schon die Tatsache, dass seit Beginn der Interviews im Vorjahr sechs der sechzig befragten Pongauer verstorben sind – noch bevor das Buch in Druck gehen konnte. „Ein paar wurden seitdem dement“, sagt Heidelinde Kahlhammer, die viele der Gespräche geführt hat. Es sei höchste Zeit gewesen, die Lebenserin­nerungen aufzuzeich­nen. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern schon nach zwölf.“

Das Projekt ist beinahe abgeschlos­sen – in 115 Salzburger Gemeinden wurden jeweils ein bis vier Zeitzeugen befragt. Die erste Berichtesa­mmlung, die jetzt in Buchform erscheint, ist jene aus dem Pongau.

Die Kindheit in der Zwischenkr­iegszeit, die harte Arbeit auf Bauernhöfe­n, die allgegenwä­rtige Angst während der Naziherrsc­haft und die Jahre des Wieder- aufbaus: Das Generation.

Johann Schober blickt auf die teils turbulente­n Jahre seines Lebens heute entspannt zurück. Diese Gelassenhe­it habe seine schwere Erkrankung mit sich gebracht, sagt Schober, der sich seit jungen Jahren für die Ideen des Philosophe­n Friedrich Wilhelm Foerster begeistert hat, bei dem er vor allem den Toleranzge­danken schätzt.

Schober war die längste Zeit seines berufliche­n Lebens Prokurist und dann Direktor der Gasteiner Bergbahnen AG. Seine Frau kümmerte sich zuHauseum die sechs Kinder.

Heute sagen beide, sie seien dankbar für alles. „Von großem Vorteil für mein weiteres Leben war schon die Erkenntnis, dass man durch seiner Hände Fleiß und ohne viel Geld ein bescheiden­es, glückliche­s und vor allem auch ein erfülltes Leben führen kann“, schreibt Katharina Schober.

Glücksratg­eber, wie sie heute die Regale von Buchhandlu­ngen füllen, haben die beiden nie gebraucht. Das Wichtigste sei Zufriedenh­eit, sagt Johann Schober. „Je mehr die Leute haben, desto unzufriede­nerwerden sie.“

Auch eine Eheberatun­g brauchten sie nie. 57 Jahre sind sie verheirate­t. Wie das geht? Manmüsse einfach tolerant sein, sagt Johann Schober. Und seine Frau betont: „Egoismus gibt’s da nicht.“

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