Und plötzlich gab es kein Stollwerck mehr
Die Berichte der letzten Salzburger Zeitzeugen, die in den 1930er-Jahren groß wurden, erscheinen jetzt in Buchform. Die Zeit drängt.
Mit seinem Leben hat Johann Schober schon vor mehr als 60 Jahren abgeschlossen. Als er 15war, wurde er schwer herzkrank. Drei Jahre lag er mehr oder weniger ständig im Bett, sah seinen „Lebensfilm“schon vor sich ablaufen.
Schober hat die schwere Krankheit überstanden. Im Dezember wird er 82. So viel hat er erlebt, dass er sich die Frage stellt: „Wo anfangen, wo aufhören zu erzählen?“So lautet denn auch der Titel zu seinem Beitrag in einem Band mit Zeitzeugenberichten aus dem Pongau, der diese Woche in Buchform erscheint.
Da ist etwa der Tag des Kriegsbeginns, der 1. September 1939. „Dieser Tag ist mir unangenehm in Erinnerung, weil es ab diesem Zeitpunkt keine Stollwerck (weiche Karamellzuckerl) mehr in den Geschäften gegeben hat“, erinnert sich Schober.
In der Volksschule in Bad Hofgastein herrschte Lehrermangel. Einmal saßen 102 Schüler in einer Klasse. Wenn Schober, der aus einer christlichen Bauernfamilie stammte, am Sonntag zur Messe gehenwollte, wurde er von Burschen der Hitler-Jugend abgefangen und zum Appell geführt. Er erinnert sich, wie ein Nachbar seinem Vater drohte, ihn nach Dachau zu bringen.
Auch Schobers Frau Katharina haben sich die Erlebnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus unauslöschlich im Gedächtnis eingebrannt. „Da klopfte unser Nachbar – ein illegaler Nazi – nachts an das Fenster und rief: ,Schwarze Brut, aufg’hängt werd’s!‘ Ich getraute mich daraufhin nicht mehr allein schlafen gehen.“
Die Erinnerungen des Ehepaars Schober sind Teil einer Sammlung von Zeitzeugenberichten. Die Initiative dazu kam von Alfred Berghammer, der den Arbeitskreis Seniorenbildung beim Salzburger Bildungswerk leitet. „Es gibt viele Leute, dieUnglaubliches zu erzählen haben, weil in dieser Generation so vieles an Veränderung stattgefunden hat wie sonst kaum in einer Generation“, sagt Berghammer.
Allerdings wird die Zahl jener, die aus erster Hand berichten können, von Tag zu Tag kleiner.
„ Es gibt so viele Leute, die Unglaubliches zu erzählen haben.“
Wie sehr die Zeit drängt, zeigt schon die Tatsache, dass seit Beginn der Interviews im Vorjahr sechs der sechzig befragten Pongauer verstorben sind – noch bevor das Buch in Druck gehen konnte. „Ein paar wurden seitdem dement“, sagt Heidelinde Kahlhammer, die viele der Gespräche geführt hat. Es sei höchste Zeit gewesen, die Lebenserinnerungen aufzuzeichnen. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern schon nach zwölf.“
Das Projekt ist beinahe abgeschlossen – in 115 Salzburger Gemeinden wurden jeweils ein bis vier Zeitzeugen befragt. Die erste Berichtesammlung, die jetzt in Buchform erscheint, ist jene aus dem Pongau.
Die Kindheit in der Zwischenkriegszeit, die harte Arbeit auf Bauernhöfen, die allgegenwärtige Angst während der Naziherrschaft und die Jahre des Wieder- aufbaus: Das Generation.
Johann Schober blickt auf die teils turbulenten Jahre seines Lebens heute entspannt zurück. Diese Gelassenheit habe seine schwere Erkrankung mit sich gebracht, sagt Schober, der sich seit jungen Jahren für die Ideen des Philosophen Friedrich Wilhelm Foerster begeistert hat, bei dem er vor allem den Toleranzgedanken schätzt.
Schober war die längste Zeit seines beruflichen Lebens Prokurist und dann Direktor der Gasteiner Bergbahnen AG. Seine Frau kümmerte sich zuHauseum die sechs Kinder.
Heute sagen beide, sie seien dankbar für alles. „Von großem Vorteil für mein weiteres Leben war schon die Erkenntnis, dass man durch seiner Hände Fleiß und ohne viel Geld ein bescheidenes, glückliches und vor allem auch ein erfülltes Leben führen kann“, schreibt Katharina Schober.
Glücksratgeber, wie sie heute die Regale von Buchhandlungen füllen, haben die beiden nie gebraucht. Das Wichtigste sei Zufriedenheit, sagt Johann Schober. „Je mehr die Leute haben, desto unzufriedenerwerden sie.“
Auch eine Eheberatung brauchten sie nie. 57 Jahre sind sie verheiratet. Wie das geht? Manmüsse einfach tolerant sein, sagt Johann Schober. Und seine Frau betont: „Egoismus gibt’s da nicht.“
alles
prägte
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