Wien darf Chicago werden: RiccardoMutis Residenz
Der 73-jährige Maestro fühlt sich am Michigansee zu Hause wie in Italien. Jetzt gibt er vier Konzerte im Wiener Musikverein.
Wer die Tondokumente des Chicago Symphony Orchestra unter seinem dort seit 2010 amtierenden Chefdirigenten RiccardoMuti in der mittlerweile weitum üblich gewordenen Eigenproduktion hört (Serie „CSO ReSound“), wird jene Genauigkeit, dramatische Griffigkeit, Virtuosität und klangsprachliche Brillanz sofort spüren, für die Mutis Musizieren steht. Dass er sich dabei auf vertraut heimischem Terrain bewegt, stärkt den Grad an Authentizität, idiomatisch triftig vermittelt durch ein immer schon europäisch geprägtes amerikanisches Spitzenorchester.
Er habe sich, sagteMuti in einem Interview kürzlich, in Chicago sofort wohlgefühlt. „Der Michigansee erinnert mich an das Meer in Italien, und auch dieMenschen geben mir das Gefühl, daheim zu sein.“
Mutis Chicagoer Aufnahmen von Verdis Requiem (2009) und einem konzertanten „Otello“(2011), dessen packendes Profil durch exzellente, akustisch fabelhaft agierende Protagonisten (Aleksandrs Antonenko, Krassimira Stoyanova, Carlo Guelfi) schier bühnenplastisch dargestellt wird, sind mehr als mitreißende Momentaufnahmen. Die jüngst erschienene „Romeo und Julia“-Suite von Prokofjew gibt dem Affen dann auch noch orchestralen Zucker von tragisch durchmischter Süße.
Zum fünften Mal ist das Chicago Symphony Orchestra nun schon mit Muti auf Europa-Tournee und macht ab heute, Dienstag, bis 2. November im Wiener Musikverein Station. Verdis Requiem, ein immer wieder neu untersuchtes Herzstück im Repertoire des neapolitanischen Maestros, steht in zwei Aufführungen im Zentrum des Gastspiels, das mit Werken von Schumann, Mendelssohn, Tschaikowsky, Strawinsky, Alexander Skrjabin und Debussy auch eine breite Palette an symphonischen Farben aufbieten kann.
Mit seinem Heimatland und der wachsenden Missachtung der dor- tigen (Musik-)Kultur hadert Riccardo Muti immer wieder. Vor einem Monat hat er die künstlerische Leitung der in finanzieller Schieflage befindlichen Römischen Oper hingeschmissen, nicht zuletzt als Kritik am Mangel an Respekt, den die Politik der Kultur angedeihen lässt. Worauf Roms Bürgermeister Ignazio Marino und Intendant Carlo Fuortes, angeblich, um das Opernhaus der Hauptstadt zu „retten“, ankündigten, Chor und Orchester kollektiv zu kündigen und die Arbeit der Künstler auszugliedern. Die Gekündigten sollten nach demWillen der Politik eine eigene Vereinigung gründen, die dann mit der Oper zusammenarbeiten könne.
Zu diesen seltsamen Ereignissen will Riccardo Muti wohl aktuell nicht Stellung nehmen. Seit seinem Abgang aus Romerhält der 73-jährigeMaestro aber Lockrufe vieler Institutionen, etwa aus der Mailänder Scala, dessen neuer Intendant Alexander Pereira Muti ebenso mit offenen Armen empfangen würde wie dieWiener Staatsoper.
Vorerst jedenfalls wird Wien in den nächsten Tagen Muti und den Gästen aus Chicago zujubeln – und das nicht nur „ersatzweise“.
Konzert: