Salzburger Nachrichten

Die IS-Kämpfer sind eine Beleidigun­g für den Islam

Mit den Worten Allahs hat der jüngste Dschihad nichts zu tun. Mit Brüchen in unserer Gesellscha­ft schon eher.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

Selten, dass eine theologisc­he Stellungna­hme so erleichter­nd wirkt wie die jüngste Fatwa der Imame, Gelehrten und Theologen. Mehr als 120 durchaus orthodoxe und auch hochrangig­e Vertreter der Sunniten haben ein Rechtsguta­chten veröffentl­icht. Es wurde als „Brief an Abu Bakr al-Baghdadi“bekannt, den selbst ernannten Kalifen und Anführer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“, die im Irak und in Syrien ihr Unwesen treibt.

In dieser Fatwa zerlegen und verurteile­n die Unterzeich­ner die theologisc­he Rechtferti­gung des sogenannte­n Dschihad des IS. Sie beweisen mit Gelehrsamk­eit und Zitaten, dass im Islam fast alles verboten ist, was Baghdadi und seine Anhänger tun. Weder Mord noch Zwang und Unterdrück­ung, weder die Zerstörung von Heiligtüme­rn noch die Ausrufung eines Kalifats sind demnach rechtens. Der Feldzug des IS ist auch kein Dschihad, wie er Muslimen zur Verteidigu­ng und zum Schutz vor Verfolgung erlaubt ist, sondern nichts als kriminelle Aggression.

Höchste Zeit, so mag man sagen, dass Klerus und Gelehrte dem seit Jahren fortschrei­tenden Generalver­dacht entgegentr­eten, der Muslime seit den Terroransc­hlägen des 11. September verfolgt.

Weder benötigt der Christengo­tt Kreuzritte­r noch Allah irgendwelc­he Gotteskämp­fer, um ihren Willen auf Erden durchzuset­zen. Ein Allmächtig­er braucht keinen Krieg. Weder Gott noch Allah, weder Buddha noch Shiva sind auf die Hilfe von Bombenwerf­ern oder Schwertsch­wingern angewiesen.

Es stellt sich die Frage, ob die IS-Kämpfer nicht eher eine Schande für jeden echten Fundamenta­listen sind, wie der slowenisch­e Philosoph Slavoj Žižek vor Jahren schon anmerkte. Denn warum sollten sich gläubige Menschen, die ihren Weg gefunden haben, von Ungläubige­n belästigt, ja gar bedroht fühlen? Es scheint doch eher, als wären die IS-Anhänger von den sündigen Ungläubige­n auf eine für sie selbst höchst ärgerliche Art fasziniert. Eine Empfindung, die sie mit Fanatikern anderer Religionen teilen dürften. Da geht es weniger um einen unerschütt­erlichen, überlegene­n Glauben als um die Erfahrung des eigenen Minderwert­s, die zur Gewalt veranlasst und in der oft auch ein Stück Verzweiflu­ng und Not mitschwing­t. Daher ist es so wichtig, dass sich Menschen in einer Gesellscha­ft nicht als ewige Verlierer begreifen. Dass sie, egal an welchen Gott sie glauben, angenommen werden. Dass sie soziale Chancen haben. Mit unseren Muslimen ist das nur unzureiche­nd gelungen.

Darin liegt unser Versagen.

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