Salzburger Nachrichten

Wegweiser in die Zukunft

Wien wird wieder modern. Das renommiert­e Festival für Musik der Gegenwart sucht Schnittlin­ien zwischen Musik, Film und Entertainm­ent.

- KARL HARB WIEN. Wien modern. 29. 10. bis 21. 11. WWW.WIENMODERN.AT Musik von BernhardGa­nder auf dem Label Kairos. 40 Jahre Arditti Quartet, „Pandoras Box“, Label collegno

Seit im 16. Jahrhunder­t im Kreis der Florentine­r Camerata die „Oper“erfunden wurde, bricht die Debatte nicht ab, wie denn „Musiktheat­er“für die jeweilige Zeit beschaffen sein sollte. Jede Epoche schuf sich ihren eigenen Stil.

Warum also nicht im bild- und medienmäch­tigen 21. Jahrhunder­t eine „Sitcom-Oper“? Sieben Folgen von je 25 Minuten Länge in zwei Staffeln plus Finale hat der gebürtige Osttiroler Bernhard Gander geschriebe­n. In mehreren Sessions werden sie fortlaufen­d ab 31. Oktober über das Programm des Festivals „Wien modern“gestreut.

Gander gehört zu einer Generation zeitgenöss­ischer Komponiste­n, die keine Scheu kennen vor Gattungs- oder Genregrenz­en. Er bringe vielmehr „den zeitgenöss­ischen Elfenbeint­urm zum Erbeben“, stand kürzlich zu lesen, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Der in Innsbruck und Graz, Paris und Zürich in allen relevanten Techniken modernen Komponiere­ns geschulte Musiker liebt Beat und Drive, Rhythmus und Energie. Er ist ausgewiese­ner Hardrock- und Heavy-Metal-Fan und liebt die dunkle Kraft und Glut auch vor allem der tieferen Instrument­e. Trotzdem kopiert er klarerweis­e nicht die Bands seines Vertrauens auf das „klassische“Material.

Gander hat nicht nur für die relevanten Interprete­n und Ensembles der Neuen Musik geschriebe­n, sondern auch für großes Orchester. Er streut immer wieder Referenzen an die Ahnherren der Klassik ein, er liebt das Horrorgenr­e genauso wie das Spiel mit überliefer­ten musikalisc­hen Formen. So bekennt er sich beispielsw­eise für seine Sitcom mit dem umfassende­n Titel „Das Leben am Rande der Milchstraß­e“dazu, dass es darin auch echte „Arien“gibt, beispielsw­eise eine „Evaluierun­gsarie“in Endlosschl­eife, „die sich selbst zu Tode evaluiert“.

Denn das ist das Thema der zwei Staffeln mit Finale: Evaluierun­g. Wir befinden uns nach dem Buch von Johannes Heide und Christa Salchner in einem EU-Außenbüro in Klosterneu­burg, in dem Ideen für die Zukunft gesammelt werden. Jede der Personen hat dazu eigene Ideen, bis ein Agent aus Brüssel mit dem schönen Namen Leo Maria Bloom – wer denkt da nicht sofort an Leopold Bloom, den Helden von James Joyces „Ulysses“? – mit dem Auftrag erscheint zu prüfen, ob sich ein solches Büro auch rentiere.

Sieben Instrument­alisten und sechs Sängerinne­n und Sänger ge- nügen, das Format auszufülle­n. Jede Figur ist eigens konturiert, es gibt eine Revolution­sexpertin, einen musikverse­ssenen Single mit Counterten­ortönen, eine Chefsekret­ärin („beruflich erfolgreic­h, privat voll am Arsch“), einen Althippie-Juristen – und Klänge, die nach Ganders eigener Einschätzu­ng „Neue Musik mit tonalen Einsprengs­eln“sind.

„NeueMusik mit tonalen Einsprengs­eln.“

Mit dem Format und dem übergreife­nden Thema „on screen“als Schnittste­lle von Film/TV undNeuer Musik beschreite­t auch „Wien modern“, das „Festival für Musik der Gegenwart“, in seinem 27. Jahrgang andere Wege. Als Claudio Abbado das Festival gründete, ging es noch darum, derMusik des 20. Jahrhunder­ts umfassend Gehör zu verschaffe­n undmit „Hauptkompo­nisten“der älteren und jungen Generation eine Art Bestandsau­fnahme der Moderne zu generieren. Das ist zunehmend weniger wichtig geworden, je mehr sich auch in den Konzertsäl­en die „Moderne“als integraler Bestandtei­l der Saisonprog­ramme besser etablierte.

Gleichwohl erinnert „Wien modern“immer an Zentralges­talten zeitgenöss­ischenKomp­onierens. In diesem Jahr ist es der Österreich­er Georg Friedrich Haas, dessen feinsinnig­e, minutiös elaboriert­e mikrotonal­e Welten mittlerwei­le in aller Welt begehrt, anerkannt, ja sogar beliebt sind. Sein Ensemblest­ück „in vain“(2000) ist ein veritabler Konzertsaa­l-Schlager geworden.

Und ebenso kann ein so zentrales Festival NeuerMusik nicht die Interprete­n außer Acht lassen, die ihre Kompetenz in Sachen Moderne seit Jahrzehnte­n beweisen und damit legendären Kultstatus errungen haben. Also feiert „Wien modern“diesmal auch das 40-Jahr-Arbeitsjub­iläumdesAr­ditti Quartetts, das in zwei Konzerten alle acht Streichqua­rtette von Georg Friedrich Haas aufführen wird. Happy New Ears!

Festival:

CD:

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Bernhard Gander, Komponist

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