Wegweiser in die Zukunft
Wien wird wieder modern. Das renommierte Festival für Musik der Gegenwart sucht Schnittlinien zwischen Musik, Film und Entertainment.
Seit im 16. Jahrhundert im Kreis der Florentiner Camerata die „Oper“erfunden wurde, bricht die Debatte nicht ab, wie denn „Musiktheater“für die jeweilige Zeit beschaffen sein sollte. Jede Epoche schuf sich ihren eigenen Stil.
Warum also nicht im bild- und medienmächtigen 21. Jahrhundert eine „Sitcom-Oper“? Sieben Folgen von je 25 Minuten Länge in zwei Staffeln plus Finale hat der gebürtige Osttiroler Bernhard Gander geschrieben. In mehreren Sessions werden sie fortlaufend ab 31. Oktober über das Programm des Festivals „Wien modern“gestreut.
Gander gehört zu einer Generation zeitgenössischer Komponisten, die keine Scheu kennen vor Gattungs- oder Genregrenzen. Er bringe vielmehr „den zeitgenössischen Elfenbeinturm zum Erbeben“, stand kürzlich zu lesen, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Der in Innsbruck und Graz, Paris und Zürich in allen relevanten Techniken modernen Komponierens geschulte Musiker liebt Beat und Drive, Rhythmus und Energie. Er ist ausgewiesener Hardrock- und Heavy-Metal-Fan und liebt die dunkle Kraft und Glut auch vor allem der tieferen Instrumente. Trotzdem kopiert er klarerweise nicht die Bands seines Vertrauens auf das „klassische“Material.
Gander hat nicht nur für die relevanten Interpreten und Ensembles der Neuen Musik geschrieben, sondern auch für großes Orchester. Er streut immer wieder Referenzen an die Ahnherren der Klassik ein, er liebt das Horrorgenre genauso wie das Spiel mit überlieferten musikalischen Formen. So bekennt er sich beispielsweise für seine Sitcom mit dem umfassenden Titel „Das Leben am Rande der Milchstraße“dazu, dass es darin auch echte „Arien“gibt, beispielsweise eine „Evaluierungsarie“in Endlosschleife, „die sich selbst zu Tode evaluiert“.
Denn das ist das Thema der zwei Staffeln mit Finale: Evaluierung. Wir befinden uns nach dem Buch von Johannes Heide und Christa Salchner in einem EU-Außenbüro in Klosterneuburg, in dem Ideen für die Zukunft gesammelt werden. Jede der Personen hat dazu eigene Ideen, bis ein Agent aus Brüssel mit dem schönen Namen Leo Maria Bloom – wer denkt da nicht sofort an Leopold Bloom, den Helden von James Joyces „Ulysses“? – mit dem Auftrag erscheint zu prüfen, ob sich ein solches Büro auch rentiere.
Sieben Instrumentalisten und sechs Sängerinnen und Sänger ge- nügen, das Format auszufüllen. Jede Figur ist eigens konturiert, es gibt eine Revolutionsexpertin, einen musikversessenen Single mit Countertenortönen, eine Chefsekretärin („beruflich erfolgreich, privat voll am Arsch“), einen Althippie-Juristen – und Klänge, die nach Ganders eigener Einschätzung „Neue Musik mit tonalen Einsprengseln“sind.
„NeueMusik mit tonalen Einsprengseln.“
Mit dem Format und dem übergreifenden Thema „on screen“als Schnittstelle von Film/TV undNeuer Musik beschreitet auch „Wien modern“, das „Festival für Musik der Gegenwart“, in seinem 27. Jahrgang andere Wege. Als Claudio Abbado das Festival gründete, ging es noch darum, derMusik des 20. Jahrhunderts umfassend Gehör zu verschaffen undmit „Hauptkomponisten“der älteren und jungen Generation eine Art Bestandsaufnahme der Moderne zu generieren. Das ist zunehmend weniger wichtig geworden, je mehr sich auch in den Konzertsälen die „Moderne“als integraler Bestandteil der Saisonprogramme besser etablierte.
Gleichwohl erinnert „Wien modern“immer an Zentralgestalten zeitgenössischenKomponierens. In diesem Jahr ist es der Österreicher Georg Friedrich Haas, dessen feinsinnige, minutiös elaborierte mikrotonale Welten mittlerweile in aller Welt begehrt, anerkannt, ja sogar beliebt sind. Sein Ensemblestück „in vain“(2000) ist ein veritabler Konzertsaal-Schlager geworden.
Und ebenso kann ein so zentrales Festival NeuerMusik nicht die Interpreten außer Acht lassen, die ihre Kompetenz in Sachen Moderne seit Jahrzehnten beweisen und damit legendären Kultstatus errungen haben. Also feiert „Wien modern“diesmal auch das 40-Jahr-ArbeitsjubiläumdesArditti Quartetts, das in zwei Konzerten alle acht Streichquartette von Georg Friedrich Haas aufführen wird. Happy New Ears!
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