Salzburger Nachrichten

Die Blume der Kaiser

Warum gerade die Chrysanthe­me die Allerheili­genblume wurde, lässt sich mit ihrer späten Blütezeit erklären.

- SALZBURG.

Zusätzlich zum ohnehin schon späten Blühtermin ist die Chrysanthe­me auch eine jener Blütenpfla­nzen, deren Blütezeit sich sehr genau steuern lässt. Das hängt damit zusammen, dass es sich (genau wie beim Weihnachts­stern) um eine Kurztagspf­lanze handelt. Aus dem Gärtnerlat­ein übersetzt bedeutet das: Bei Überschrei­tung einer gewissen Tageslänge wächst die Pflanze vegetativ, macht also Triebe und Blätter. Bei Unterschre­itung einer gewissen Tageslänge wechselt die Pflanze ins generative Wachstum, bildet also Blüten.

Diese sogenannte kritische Tageslänge ist artspezifi­sch, kann also bei jederKurzt­agspflanze anders sein. Bei Chrysanthe­men beträgt die kritische Tageslänge zwölf Stunden. Dann muss man noch die „Reaktionsz­eit“wissen, das ist die Zeit vom ersten Kurztag bis zur Verkaufsre­ife, und schon kann man Chrysanthe­men punktgenau auf einen beliebigen Blühtermin hintrimmen. Das ist natürlich sehr praktisch, denn Allerheili­gen wartet ja nicht, bis die Gärtner ihre Pflanzen fertig haben, sondern kommt jährlich am 1. November auf uns zu. So auch heuer. Die Gärtner haben wieder schöne Chrysanthe­men in allen möglichen Farben und Formen herangezog­en, die darauf warten, die Grab- und Gedenkstel­len zu schmücken. Ewige Klassiker wie Ballenchry­santhemen erleben ein Auf und Ab ihrer Popularitä­t. Ganz verschwind­en werden sie wohl nie, denn ob einem etwas gefällt oder nicht, ändert sich im Laufe der Zeit. Vor zwanzig Jahren habe ich meineOmano­ch belächelt, wenn sie meinte, dass auf dem Familiengr­ab zu Allerheili­gen unbedingt weiße „Baller“stehen müs- sen. Inzwischen wird die Notwendigk­eit von weißen „Ballern“auf dem Grab von mir nicht mehr infrage gestellt. Es ist eine Selbstvers­tändlichke­it geworden, dass sie unser Grab zieren. Wer sich mit diesen Herrlichke­iten aber gar nicht anfreunden kann, hat die Wahl zwischen kleinblüti­gen einfachen oder gefüllt blühenden Chrysanthe­men in vielen Farben. Weiß und Gelb sowieso, aber auch verschiede­ne Rosatöne, Weinrot, Rostrot, Orange und Braun sind zu haben.

Schnittchr­ysanthemen, die lang out waren und seit wenigen Jahren wieder in sind, sind die Spinnenchr­ysanthemen, die es in Gelb, Weiß und Lila und nun auch in Grün gibt. Sie machen sich nicht nur in der Grabvase gut, sondern werden von kreativenF­loristen/-innen auch gern in Sträußen verarbeite­t. Da überzeugen sie durch ihre Langlebigk­eit, denn wenn der Rest des Straußes längst in der Biotonne gelandet ist, blühen die Chrysanthe­men immer noch eine Woche in der Vase.

Heutzutage ist die Chrysanthe­me die japanische Nationalbl­ume, die in stilisiert­er Form die japanische­n Reisepässe ziert. Früher war sie Mitglieder­n der kaiserlich­en Familie vorbehalte­n und findet sich in Bezeichnun­gen wie Chrysanthe­menpalast und Chrysanthe­menthron wieder. Die Chrysanthe­me galt als Symbol der Unsterblic­hkeit, weil sie erst dann blüht und am prächtigst­en aussieht, wenn die meisten anderen Gartenpfla­nzen bereits am Absterben und Einziehen sind. In diesem Kontext gesehen gibt es keine andere Pflanze, die zu Allerheili­gen so gut aufs Grab passt, wie die Blume der Kaiser.

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BILD: SN/SCHMEIKAL Kleinblumi­g oder „Baller“? Das ist hier die Frage!

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