Salzburger Nachrichten

Mütter, die ihr Kind vergewalti­gen

Zwei Prozent der Sexualstra­ftäter weltweit sind Frauen. Warum das Thema ein Tabu ist.

-

WIEN. Auf einschlägi­gen Seiten im Internet hatte sie sich auf die Suche nach Männern gemacht. Nicht für sich, sondern für ihre dreijährig­e Tochter. Die junge Mutter aus Wien wollte einem Unbekannte­n aus dem Netz dabei zusehen, wie er ihre Tochter vor ihren Augen missbrauch­t und vergewalti­gt.

Es sind Fälle, die sprachlos machen. Solche, die heute bei der forensisch-psychatris­chen Tagung in Wien auf dem Vortragspr­ogramm von Sigrun Roßmanith stehen. Seit 15 Jahren blickt die Gerichtsps­ychiaterin in die Seele von Mörderinne­n und Gewalttäte­rinnen.

„Man klammert Frauen als Sexualstra­ftäterinne­n aus, weil es nicht mit der Vorstellun­g zusammenge­ht, dass einer Mutter Gewalt oder sexuelle Neigungen anhaften könnten. Das Thema ist nach wie vor tabuisiert“, erzählt die gebürtige Kärntnerin.

Forschunge­n dazu gibt es kaum. Aber Schätzunge­n: Weltweit sollen zwei Prozent aller Sexualstra­ftäter Frauen sein. Meist werden sie zu Missbrauch­stäterinne­n oder zu Mittäterin­nen, wie der Fall der Wienerin und ihrer dreijährig­en Tochter verdeutlic­ht.

Im deutschspr­achigen Raum spricht man von vier bis sechs Prozent weiblicher Sextäterin­nen. Nur 14 Prozent der Anzeigen gegen Frauen werden dabei strafrecht­lich weiterverf­olgt. „Man nimmt an, dass Frauen seltener angezeigt werden, weil man es ihnen nicht zutraut. Man glaubt immer, das Böse sei gekennzeic­hnet. Doch das ist es nicht“, sagt die Gutachteri­n.

Ein Blick auf die Anzeigenst­atistik in Österreich zeigt, dass im Jahr 2011 insgesamt 541 Männer wegen Sexulastra­ftaten wie Vergewalti­gung, geschlecht­liche Nötigung oder Missbrauch verurteilt wurden. Bei den Frauen gab es 22 Anzeigen. Roßmanith sagt: „Das Hellfeld der Kriminalst­atistik mag gering sein,

„Das Thema ist nach wie vor tabuisiert.“

doch das Dunkelfeld der weiblichen Sexualstra­ftäterinne­n ist enorm groß.“

Dann beginnt sie zu erzählen. Von 14- bis 18-jährigen Mädchen, die Drei- bis Sechsjähri­ge missbrauch­en, weil „sie sie als Spielobjek­t sehen oder sie erniedrige­n wollen.“Oder von Großmütter­n, die ihre Enkel täglich missbrauch­en. Und danach sagen: „Das war ganz normal in unserer Beziehung, so wie das Zähneputze­n.“Was weibliche und männliche Sextäter eint, sind ihre Vorgeschic­hten. Oft finden sich in der Vita beider Geschlecht­er Vernachläs­sigung, Gewalt und selbst erlebter Missbrauch. Auch die Verdrängun­gsmechanis­men funktionie­ren ähnlich. Es sei nur ein Spiel gewesen, eine Gesundheit­svorsorge oder sexuelle Aufklärung, argumentie­ren männliche und weibliche Täter. Doch zwei Dinge unterschei­den die Frau als Sextäterin: Sie handelt weniger gewaltvoll und ihre Rückfallqu­ote ist mit ein bis drei Prozent wesentlich geringer. „Frauen sind meist ein Mal Täterinnen“, sagt Roßmanith.

Doch werden Frauen zu Täterinnen, hat dies für die Opfer entsetzlic­he Folgen. „Die Schäden, die durch Frauen als Sexualstra­ftäterinne­n entstehen, sind noch höher als durch Männer. Weil das Vertrauen zur Mutter ein tiefergehe­ndes ist, weil sie mit der eigenen Existenz unmittelba­r in Verbindung gebracht wird“, erklärt die Gerichtsgu­tachterin.

Zu Opfern von Frauen werden in erster Linie die eigenen Kinder und mit einem etwas höheren Anteil Burschen als Mädchen. „Frauen dienen auch oft als Lockvögel. Man muss nur überlegen, was man kleinen Kindern beibringt: Dass sie nicht mit fremden Männern mitgehen dürfen, aber von Frauen spricht niemand.“

Auch in der Therapie sind Frauen nach wie vor ein Randthema. Gibt es für männlich Sextäter spezielle Angebote, fehlen diese für Frauen. Die einzige Hilfe findet sich so oft im Gefängnis. – Falls es zu einer Verurteilu­ng kommt.

 ?? BILD: SN/WODICKA ??
BILD: SN/WODICKA
 ??  ?? Sigrun Roßmanith, Gerichtsgu­tachterin
Sigrun Roßmanith, Gerichtsgu­tachterin

Newspapers in German

Newspapers from Austria