Kriegenburg entblößt die Unfähigkeit, im Reden oder Regieren ein Miteinander zu finden.
ein weibliches Wesen so abgöttisch begehrt, selten hat eine Frau so bedingungslos geliebt. Und niemals ist solch extreme Erotik gepaart gewesen mit einer absoluten, halb Europa in ihren Bann ziehenden Macht. Schon in der ersten Szene zeigt Brigitte Hobmeier auch jene Facetten, die ihr erst später attestiert werden: Furie und Hohn speiende Höllenschlange. Hier steht Maria Stuart, Königin – nicht, wie Friedrich Schiller sie ersonnen hat.
Gegenspielerin dieser katholischen Schottin ist die protestantische Elisabeth. Sie hat ihre Halbschwester, die bei ihr in England Schutz gesucht hatte, in den Kerker geworfen. Nach 19 Jahren Haft hat sie über ihre schottische Amtskollegin ein englisches und allein deshalb ungerechtes Todesurteil sprechen lassen.
Wie für die büßende Maria haben Regisseur Andreas Kriegenburg und die neun Schauspieler auch für die englische Königin und ihre Entourage eine starke wie subtile Bühnensprache erfunden: Elisabeth trägt ein immenses, gelbes Brokatkleid, und sie ist immer einem unerbittlichen Licht ausgesetzt, das zu Beginn jeder ihrer Szenen auf ungewöhnliche Art herabfällt: Die Decke bricht in Querbahnen auf, dabei ächzen die Balken – als wäre der Himmel über dieser Königin schäbig geworden. Anette Paulmann bleibt als Elisabeth immer herrlich soigniert, aber als sie etwa – einen Bittbrief ihrer Schwester lesend – gesteht, „es schneidet mich ins Herz“, setzt sie ein scharfes Zittern in ihre Stimme.
In starren Konstellation und mit sparsamen Gesten sprechen die Schauspieler oft frontal ins Publikum. Regisseur Andreas Kriegenburg erreicht damit dreierlei: Er zeigt die Verlogenheit der egoistischen Lords. Er entblößt die wortreich verbrämte Unfähigkeit, im Reden oder gar im Regieren ein Miteinander zu finden. Und was die größte Freude an dieser Inszenierung beschert, die am Samstag Premiere hatte: Nach offenbar minutiöser Textarbeit kommen Schillers Verse rhythmisch und melodiös – also scheinbar leicht – sowie in aller Wort- und Sinngewalt zur Entfaltung.
Andreas Kriegenburg begegnet den hochkomplexen Schiller’schen Fragen – Was ist gute Führung? Wie geht man mit Gewalt richtig um? Oder wie Elisabeth fragt: „Was will mein Volk?“– mit dichter Präzision. Und bei aller Schiller-Treue gelingt es ihm, ein besonderes Schlaglicht zu werfen. Dieses setzt ein, wenn Max Simonischek als Mortimer auftritt: Wie ein schwarzer Blitz kracht der junge Mann in Maria Stuarts Gefängnis. Er überbringt nur einen Brief, glüht und tobt aber wie ein sexuell besessener Attentäter. Er verspricht, die katholische Königin mit der Hilfe Frankreichs und des Papstes zu retten. Später, als Mortimers Verrat entdeckt und er des Todes ist, schraubt Kriegenburg an dieser Figur noch weiter: Da macht er aus Schillers unbesonnenem Schwärmer einen brutal religiösen Fanatiker: „Ich will Flamme sein!“Plötzlich ist da Betroffenheit – wie christliche Fanatiker, katholische wie protestantische, jahrhundertelang Europa mit dem Gift von „Wahrheit der einzigen Kirche“und von Kriegen übersät haben.
Macht macht gnadenlos einsam. Elisabeth und Maria sind von intriganten Schmeichlern umgeben, deren oberste, stets verheimlichte Strategie der Egoismus ist. Und gibt eine Königin sich dem Rat oder sogar der gezeigten Zuneigung solcher Trabanten hin, ist sie korrumpiert. Daher werden Maria wie Elisabeth – jede auf ihre Art große Liebende und kluge Herrscherin – zu gequälten, gebrochenen Frauen. Doch unveräußerlich ist ihnen die Würde: Brigitte Hobmeier spielt sogar letzte Beichte und letzte Kommunion hingebungsvoll und glaubhaft, dann schreitet sie zum Schafott. Annette Paulmann prangt als große Königin im Abseits – unverändert elegant und soigniert, doch mit schmerzhaften Zuckungen im Gesicht.