Russlands Justiz fällt Urteile ganz im Sinne der Machthaber
Seit dem Ukraine-Konflikt gibt es in Russland eine Reihe von politischen Verfahren, die jenen zu Sowjetzeiten in nichts nachstehen.
Swetlana Dawidowna ist Mutter von sieben Kindern. Das jüngste, eine Tochter, ist ein paar Monate alt. Dawidowna lebte in der westrussischen Kleinstadt Wjasma gegenüber einem Militärstützpunkt. Eines Tages beobachtete sie, wie die Soldaten und ihre Waffen auf Lastwagen verladen wurden und wegfuhren. Der Krieg in der Ukraine war in vollem Gang, die Propagandamaschinerie ebenfalls. Russland behauptete lautstark, es gebe keine russischen Soldaten in der Ukraine. Doch jetzt wurde der Militärstützpunkt in Wjasma geräumt, und Swetlana Dawidowna vermutete, dass die Soldaten in die Ukraine gebracht würden. Also rief sie kurz entschlossen in der ukrainischen Botschaft in Moskau an und teilte dort ihre Beobachtungen mit. Nach einiger Zeit wurde die junge Mutter, die ihr jüngstes Kind noch stillte, verhaftet und nach Moskau ins Lefortowo-Gefängnis gebracht. Als Grund wurde Vaterlandsverrat angegeben.
In Lefortowo befinden sich auch andere in ähnlicher Lage: Nachdem Russland die Krim annektiert hatte, wurde der ukrainische Filmregisseur Oleg Sentsow verhaftet – und unter Terroranklage nach Moskau gebracht. Sentsow war an Maidan-Protesten beteiligt, und er war auch gegen die Annexion der Krim aufgetreten.
Und dann ist da noch die ukrainische Hubschrauberpilotin Nadja Sawtschenko, die ebenfalls in Lefortowo gefangen gehalten wird. Der Vorwurf: Sie sei an der Ermordung zweier russischer Journalisten in der Ostukraine beteiligt gewesen. Tatsächlich wurde sie wohl von prorussischen Separatisten gefangen genommen und an die russischen Behörden übergeben.
Alle drei Fälle zeigen mehr als deutlich, wer in der Ostukraine tatsächlich Krieg führt. Im Fall der jungen Mutter grenzt die Anklage schon deshalb ans Absurde, weil es offiziell nach wie vor keine direkte russische Beteiligung an den Kämpfen in der Ostukraine gibt, womit der Vorwurf des Vaterlandsverrats aus der Luft gegriffen scheint. Abgesehen davon ist es eine Ungeheuerlichkeit, eine stillende Mutter kurzerhand von ihrem Säugling wegzuholen. Im Fall des Regisseurs Sentsow und der Pilotin Sawtschenko wiederum handelt es sich um staatlich sanktionierte Entführungen, da beide ukrainische Staatsbürger sind.
Das Rechtssystem Russlands befindet sich seit Putins Machtübernahme zunehmend unter dem Einfluss des Kremls. Urteile werden nicht nach dem Gesetz gefällt, sondern danach, was den Machthabern genehm ist. Das erinnert besorgniserregend an alte Sowjetzeiten. Das darf niemand vergessen, der mit Russland im Gespräch bleibt.