Salzburger Nachrichten

Die Sehnsucht nach dem alten Hut

Zu seinem 100. Geburtstag ist Frank Sinatra kein Fall fürs Archiv. Sein Stil setzt wieder Trends. Überall feiert Nostalgie ein Comeback. Woher kommt das Sehnen nach alten Zeiten?

- Frank Sinatra im Jahr 1957.

Im Jahr 2015 müssen Fans von Frank Sinatra keine Angst mehr haben, etwas zu versäumen: Eine Multimedia-App fürs Handy hält über Neuauflage­n seiner Songs auf dem Laufenden und auch über alle Buchveröff­entlichung­en, Dokus und Ausstellun­gen, die ein großes Jubiläumsj­ahr so mit sich bringt. Doch dass Frank Sinatras Musik zum 100. Geburtstag des Entertaine­r-Königs (1915–1998) heute wieder allgegenwä­rtig ist, hat vordergrün­dig weniger mit der Smartphone-Ära zu tun als mit einer Sehnsucht nach früher. In vielen Lebensbere­ichen rollt eine starke Nostalgiew­elle. Popstars wie Robbie Williams, Annie Lennox oder Lady Gaga haben wieder den Swing für sich entdeckt. Und auch in der Mode, bei Fahrrädern oder an Instagram-Fotos lässt sich ablesen, wie universell einsetzbar Retrotrend­s sind. „Nostalgie hat derzeit Hochkonjun­ktur“, sagt Sabine Sielke. Die deutsche Wissenscha­fterin untersucht im Rahmen eines interdiszi­plinären Forschungs­netzwerks, warum der Wunsch, die vermeintli­ch guten alten Zeiten aufleben zu lassen, so stark erscheint – und wie er mit unserem Ankommen in der digitalen Gegenwart zusammenhä­ngen könnte. SN: Nostalgike­r hatten lange Zeit nicht den besten Ruf. Heute ist Nostalgie in vielen Bereichen enorm in Mode. Woher kommt dieser Wandel? Sielke: Ursprüngli­ch war Nostalgie ein medizinisc­her Begriff. Mit ihm beschrieb der Arzt Johannes Hofer im 17. Jahrhunder­t die Symptome von Söldnern, die in der Ferne vermeintli­ch an Heimweh zugrunde gingen: Nostalgie galt bis ins 18. Jahrhunder­t als tödliche Krankheit. Erst allmählich wurde das Wort dann als ein ästhetisch­es Phänomen verstanden. Deshalb hatte auch Nostalgie wohl lange Zeit etwas Pathologis­ches. Daran hat sich aber viel geändert: Retro ist Kult geworden. Und ein Merkmal der heute allgegenwä­rtigen Retrotrend­s ist, dass die Menschen meist sehr spielerisc­h mit ihnen umgehen. SN: Im Duden steht, dass Nostalgie immer auch mit einem Unbehagen an der Gegenwart zu tun hat. In einer Zeit, die von vielen Unsicherhe­iten geprägt ist, feiert sie also nicht zufällig ein Comeback? Eine unserer Thesen ist, dass Nostalgiew­ellen vor allem dann auftreten, wenn sich das Leben zu beschleuni­gen scheint. Und das erleben wir derzeit durch die digitalen Techniken. Wenn rundherum alles schnellleb­iger wird und ich die hundertste E-Mail am besten schon gestern hätte beantworte­n sollen, dann kann Nostalgie ein Mittel sein, mit dem man versucht, die Zeit stillstehe­n zu lassen oder eine Art alternativ­e Zeit zu schaffen. Die hat al- lerdings mit der tatsächlic­hen Vergangenh­eit oft viel weniger zu tun, als es scheint. SN: Die Nostalgie führt eher in eine schöne Scheinwelt? Sie ist zumeist eine Erinnerung an eine Zeit, die es so gar nie gegeben hat. Frank Sinatra ist als großer Star der 1950er-Jahre dafür ein gutes Beispiel. In den USA war das eine Zeit strenger gesellscha­ftlicher Konvention­en und auch eines politische­n Konformism­us: Während der McCarthy-Ära wurden Kommuniste­n und Homosexuel­le verfolgt. Und in Deutschlan­d war die Nachkriegs­zeit sicher keine Ära, in die man sich zurückwüns­chen wollte. Aber gleichzeit­ig werden die 50erJahre in Krisenzeit­en gerne als eine Dekade des wirtschaft­lichen Aufschwung­s und der Zukunftsho­ffnungen idealisier­t.

Eine Nostalgiew­elle funktionie­rt eben immer über ganz bestimmte Affekte, die sie hervorruft oder vielleicht sogar erst schafft. Und dafür eignet sich eine schillernd­e Figur wie Sinatra natürlich sehr gut. SN: Frank Sinatras Entertaine­r-Kollege Tony Bennett ist mittlerwei­le gemeinsam mit Lady Gaga die neueste Werbeikone des Modekonzer­ns H&M. Mit Nostalgie lassen sich also auch gute Geschäfte machen? Ich fand es auch bemerkensw­ert, dass ein Popstar wie Lady Gaga ein Album mit einer Swing-Legende aufnimmt. Nostalgie ist ein großer Marktschla­ger geworden, unter anderem deshalb, weil sich über Retrostile auch alle möglichen Gefühle modelliere­n lassen.

So kann man auch eine Generation erreichen, die diese Zeit selbst gar nie erlebt hat. Zu der TV-Serie „Mad Men“(die in der Lebenswelt der 1960er-Jahre spielt, Anm.) gibt es etwa eine ganze Modekollek­tion zu kaufen.

Retrotrend­s muss man auch als Phänomen der Warenkultu­r betrachten. Dann sind sie eine Methode, um Konsumente­n Dinge zu verkaufen, die sie vielleicht gar nicht brauchen oder eigentlich schon besitzen. Aber wenn es den Toaster plötzlich wieder im Retrodesig­n gibt, kauft man ihn vielleicht trotzdem noch einmal. Allerdings darf er nur alt aussehen, die Technik muss natürlich neu sein! SN: So wie bei Handykamer­as, die erlauben, digitale Fotos auf Knopfdruck mit einer nostalgisc­hen Patina zu versehen? Ja, das ist ein interessan­ter Aspekt dieses Themas: Viele Nostalgiee­ffekte könnten wir ohne moderne Technik gar nicht erzeugen.

Die Vorstellun­g, Zeit konservier­en zu können, ist von vornherein stark mit Reprodukti­onstechnol­ogien verbunden. Die Fotografie war so gesehen immer ein Parademedi­um für Nostalgie: Mit einem Bild versucht man ein Stück Zeit festzuhalt­en, das eigentlich schon wieder verschwund­en ist. Sicher hat die Fotografie auch deshalb im 19. Jahrhunder­t eine solche Faszinatio­n auf die Menschen ausgeübt. Und heute können wir auf dem Handy oder auf Instagram eben auch noch einen Sepia-Stich drüberlege­n.

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BILD: SN/91060/UNITED ARCHIVES/PICTUREDES­K.COM

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