Salzburger Nachrichten

Auf den Wogen des Lebens durch die Party schippern

Der prollige Klamauk von Deichkind behält auch im größten Remmidemmi eine kritische Note.

- Deichkind, „Niveau Weshalb Warum“(Universal). Live: Graz (24. 4.) Linz (25. 4.)

MÜNCHEN. Das Schlauchbo­ot wird auch dieses Mal auf den Händen den Fans vor dem Untergang bewahrt werden. Die Karten für die Frühjahrst­ournee von Deichkind aus Hamburg hatten sich schon rasend verkauft, ehe am Wochenende das neue Album „Niveau Weshalb Warum“erschien.

Deichkind agieren wie Hofnarren für eine Welt, die etwas wissen will, die sich nicht alles gefallen lassen will, die ein vages Unwohlsein spürt, sich dann aber doch lieber für die Party und gegen die Politik entscheide­t. Solche Hofnarren taugen in erster Linie für ausgelasse­ne Unterhaltu­ng. Aber tief drinnen und zwischen plakativ formuliert­en Zeilen steckt dann doch der Angriff auf die Gesellscha­ft, der Unmut über Zustände. Jeder soll’s begreifen können. Deshalb folgen Deichkind einer vielfach erprobten Variante: Augenzwink­ern und dabei nicht allzu weit oben ansetzen in der Intellekts­kala. Eher rühren sie an ein allgemeine­s Grummeln und zielen dabei auf einen weitverbre­iteten Zustand des Unwohlsein­s zwischen Social-Media-Zeitversch­wendung und Existenzan­gst. Da es um hip-hoppige Popmusik geht, die dann doch mehr sein will als bloße Gaudifabri­k, wird das Prolli- ge, das Anbiedernd­e, das diese Band exzellent beherrscht, in einem Zimmer mit doppelten Boden ausgelegt.

„Hauptsache nichts mit Menschen“ist so ein Mittelding auf dem neuen Album. Es beschreibt zu simplem Mithüpfbea­t den Zwiespalt, sich einerseits zu jedem Hund-Er- schlagen und Spektakel hingezogen zu fühlen und anderseits als Individuum in einer Menschenme­nge unterzugeh­en. Dazu wird bei den Konzerten dann bedenkenlo­s tausendfac­h getanzt.

Deichkind haben nämlich große Mehrzweckh­allen gebucht fürs Frühjahr (in Österreich werden sie in Linz und Graz gastieren). In die großen Hallen gerieten sie zuletzt mit „Leider geil“, das vor drei Jahren Gassenhaue­r wurde.

Auf „Niveau Weshalb Warum“verlassen sie sich auf eingeübte Tugenden. Kindisch Deppertes und Diskurs in Dadastil, totaler Klamauk und auf zwei, drei Zeilen destillier­te Kritik am sozialen Durcheinan­der mischen die Hamburger problemlos. Daraus entsteht ein Remmidemmi, das den Urinstinkt nach Ablenkung anspricht, aber auch jenen eine Chance zum Mithüpfen bietet, die den letzten Rest von Denkkraft nicht gleich beim ersten aufpeitsch­enden Beat opfern wollen.

Die leichte Veränderun­g zum erfolgreic­hen Vorgängera­lbum „Befehl von ganz unten“liegt kaum im Umgang mit den Worten. Da reimt sich weiter vieles, das inhaltlich schwer zusammenge­ht. Aber es muss halt in den Flow der Massen passen. Ausflippen als wesentlich­er Grundbesta­ndteil des Konzepts darf nicht gebremst werden. Doch Beats und Melodien kommen auf „Niveau Weshalb Warum“bisweilen subtiler daher. Auf das Rumsen und Ballern aus Hip-Hop und Electropop verzichten sie nicht gänzlich – wäre auch blöd, schließlic­h geht es nicht um letztgülti­ge Antworten, sondern vor allem um den Schweiß der Party. Es geht allerdings schon auch um einen Anstoß, der manchen womöglich aus dem Schweißbad der Party zwischen die Zeilen und also zur Nachdenkli­chkeit befördern sollte.

Album:

 ?? BILD: SN/EPA/OCZERET ?? Auf der Welle des Erfolgs surfen: Deichkind.
BILD: SN/EPA/OCZERET Auf der Welle des Erfolgs surfen: Deichkind.

Newspapers in German

Newspapers from Austria