Der Winter der Lawinentoten
Die heurige Saison forderte bisher mehr Lawinentote als im gesamten vergangenen Winter. Ein Experte erklärt, warum die Situation so gefährlich ist.
SALZBURG. Die Zahl der Lawinentoten ist in diesem Winter dramatisch gestiegen. In der heurigen Skisaison (seit 1. November 2014) sind nach Angaben des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit bisher 16 Menschen bei Lawinen ums Leben gekommen. Zum Vergleich: Im vergangenen Winter waren es insgesamt 13 Opfer.
In Tirol starben heuer bisher neun Menschen, in Vorarlberg waren es drei, in Oberösterreich zwei, in der Steiermark und in Kärnten jeweils ein Todesopfer. In Niederösterreich und Salzburg waren dem Kuratorium zufolge bisher keine Opfer zu beklagen. Zuletzt wurde am Samstag ein Ehepaar auf dem Portlahorn bei Damüls in Vorarlberg von einer Lawine verschüttet. Beide kamen ums Leben. Am Sonntag starb ein 18-jähriger Mann an den Folgen eines Lawinenunglücks auf dem Kitzbüheler Horn. Er war vergangenen Mittwoch von einem Schneebrett mitgerissen worden.
Peter Höller arbeitet für das Bundesamt und Forschungszentrum für Wald, Institut für Lawinen- und Wildbachforschung in Innsbruck. Er ist Gerichtssachverständiger und Lehrbeauftragter für Wildbach- und Lawinenkunde an der Universität Innsbruck und führt die Lawinensta- tistik für das Jahrbuch des Kuratoriums für Alpine Sicherheit.
Warum die Lage heuer gefährlich ist, erklärt der Experte im SN-Gespräch: „Der Winter war anfangs relativ schneearm.“Dazu kamen wechselnde Wetterbedingungen und viel Wind. So habe sich eine Schwachschicht gebildet und die Schneedecke sei sehr instabil. „Wenn ein Tourengeher hineinsteigt, hält das Paket nicht mehr.“In den vergangenen Tagen herrschte in weiten Teilen Österreichs Warnstufe drei – vor allem in höheren Lagen. „Hier passieren die meisten Unfälle. Man braucht schon ein entsprechendes Wissen, wenn man da im Gelände unterwegs ist.“
Höller ist selbst ein begeisterter Tourengeher. Er rät, abseits der gesicherten Pisten immer einen Lawinenpiepser, eine gute Schaufel und eine Sonde dabeizuhaben. „Lawinenairbags sind weitverbreitet. Sie können helfen, wenn man sie rechtzeitig auslöst. Allerdings gibt es auch Situationen, in denen der Airbag nicht hilft: wenn man in einem Tal unterwegs ist und die Lawine von oben kommt.“Er warnt: Durch die Ausrüstung würden viele risikofreudiger. „Sie denken, dass nichts passieren kann. Aber man sollte immer defensiv bleiben und nicht in jeden Hang einfahren.“Gerät ein Wintersportler unter eine Lawine, zählt jede Sekunde. „Die Überlebenskurve sinkt nach 15, 20 Minuten rapide nach unten“, sagt Höller. „Es gibt nur ganz wenige Ausnah- men.“Wie etwa jenen 74-jährigen Tourengeher, der am Samstag in der Steiermark teilweise verschüttet wurde und acht Stunden auf Rettung gewartet hatte. Der Mann war stark unterkühlt, aber ansprechbar.
Kein Verständnis hat Höller dafür: Am Samstag sollen zwei Variantenskifahrer auf dem Hochkar in Niederösterreich ein Schneebrett ausgelöst haben, das einen 30-jährigen Skifahrer verschüttete. Die Sportler flüchteten, ohne ihm zu helfen. Der Mann wurde schwer verletzt. „Das ist kein Kavaliersde- likt“, sagt Höller. „Wie bei einem Verkehrsunfall begeht man hier Fahrerflucht. Wer ein Schneebrett auslöst, muss das immer melden.“
Höller hat gerade ein Buch herausgegeben, in dem er die größten Lawinenkatastrophen seit 1946/47 aufarbeitet. Er unterscheidet „Katastrophenlawinen“– wie in Galtür – und touristische Lawinen. Das sind Schneebretter, die von Tourengehern ausgelöst werden. Die Zahl der Katastrophenlawinen ist stark zurückgegangen. „Viele Regionen haben Maßnahmen gesetzt, um Siedlungen zu schützen. Touristische Lawinen bleiben auf einem bestimmten Niveau.“
„Viele glauben, ihnen passiert nichts.“