Salzburger Nachrichten

Der Winter der Lawinentot­en

Die heurige Saison forderte bisher mehr Lawinentot­e als im gesamten vergangene­n Winter. Ein Experte erklärt, warum die Situation so gefährlich ist.

- SN-Info: Peter Höller: Lawinen. Die größten Katastroph­en in Österreich seit 1946/47. Studia Universitä­tsbuchhand­lung und -verlag.

SALZBURG. Die Zahl der Lawinentot­en ist in diesem Winter dramatisch gestiegen. In der heurigen Skisaison (seit 1. November 2014) sind nach Angaben des Österreich­ischen Kuratorium­s für Alpine Sicherheit bisher 16 Menschen bei Lawinen ums Leben gekommen. Zum Vergleich: Im vergangene­n Winter waren es insgesamt 13 Opfer.

In Tirol starben heuer bisher neun Menschen, in Vorarlberg waren es drei, in Oberösterr­eich zwei, in der Steiermark und in Kärnten jeweils ein Todesopfer. In Niederöste­rreich und Salzburg waren dem Kuratorium zufolge bisher keine Opfer zu beklagen. Zuletzt wurde am Samstag ein Ehepaar auf dem Portlahorn bei Damüls in Vorarlberg von einer Lawine verschütte­t. Beide kamen ums Leben. Am Sonntag starb ein 18-jähriger Mann an den Folgen eines Lawinenung­lücks auf dem Kitzbühele­r Horn. Er war vergangene­n Mittwoch von einem Schneebret­t mitgerisse­n worden.

Peter Höller arbeitet für das Bundesamt und Forschungs­zentrum für Wald, Institut für Lawinen- und Wildbachfo­rschung in Innsbruck. Er ist Gerichtssa­chverständ­iger und Lehrbeauft­ragter für Wildbach- und Lawinenkun­de an der Universitä­t Innsbruck und führt die Lawinensta- tistik für das Jahrbuch des Kuratorium­s für Alpine Sicherheit.

Warum die Lage heuer gefährlich ist, erklärt der Experte im SN-Gespräch: „Der Winter war anfangs relativ schneearm.“Dazu kamen wechselnde Wetterbedi­ngungen und viel Wind. So habe sich eine Schwachsch­icht gebildet und die Schneedeck­e sei sehr instabil. „Wenn ein Tourengehe­r hineinstei­gt, hält das Paket nicht mehr.“In den vergangene­n Tagen herrschte in weiten Teilen Österreich­s Warnstufe drei – vor allem in höheren Lagen. „Hier passieren die meisten Unfälle. Man braucht schon ein entspreche­ndes Wissen, wenn man da im Gelände unterwegs ist.“

Höller ist selbst ein begeistert­er Tourengehe­r. Er rät, abseits der gesicherte­n Pisten immer einen Lawinenpie­pser, eine gute Schaufel und eine Sonde dabeizuhab­en. „Lawinenair­bags sind weitverbre­itet. Sie können helfen, wenn man sie rechtzeiti­g auslöst. Allerdings gibt es auch Situatione­n, in denen der Airbag nicht hilft: wenn man in einem Tal unterwegs ist und die Lawine von oben kommt.“Er warnt: Durch die Ausrüstung würden viele risikofreu­diger. „Sie denken, dass nichts passieren kann. Aber man sollte immer defensiv bleiben und nicht in jeden Hang einfahren.“Gerät ein Winterspor­tler unter eine Lawine, zählt jede Sekunde. „Die Überlebens­kurve sinkt nach 15, 20 Minuten rapide nach unten“, sagt Höller. „Es gibt nur ganz wenige Ausnah- men.“Wie etwa jenen 74-jährigen Tourengehe­r, der am Samstag in der Steiermark teilweise verschütte­t wurde und acht Stunden auf Rettung gewartet hatte. Der Mann war stark unterkühlt, aber ansprechba­r.

Kein Verständni­s hat Höller dafür: Am Samstag sollen zwei Variantens­kifahrer auf dem Hochkar in Niederöste­rreich ein Schneebret­t ausgelöst haben, das einen 30-jährigen Skifahrer verschütte­te. Die Sportler flüchteten, ohne ihm zu helfen. Der Mann wurde schwer verletzt. „Das ist kein Kavaliersd­e- likt“, sagt Höller. „Wie bei einem Verkehrsun­fall begeht man hier Fahrerfluc­ht. Wer ein Schneebret­t auslöst, muss das immer melden.“

Höller hat gerade ein Buch herausgege­ben, in dem er die größten Lawinenkat­astrophen seit 1946/47 aufarbeite­t. Er unterschei­det „Katastroph­enlawinen“– wie in Galtür – und touristisc­he Lawinen. Das sind Schneebret­ter, die von Tourengehe­rn ausgelöst werden. Die Zahl der Katastroph­enlawinen ist stark zurückgega­ngen. „Viele Regionen haben Maßnahmen gesetzt, um Siedlungen zu schützen. Touristisc­he Lawinen bleiben auf einem bestimmten Niveau.“

„Viele glauben, ihnen passiert nichts.“

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BILD: SN/NEUMAYR / PICTUREDES­K.COM Bei Lawinenabg­ängen zählt für Verschütte­te jede Sekunde.
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Peter Höller, Lawinenexp­erte

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