Salzburger Nachrichten

Wie ich mir ein Organ gekauft habe

In der Europäisch­en Union ist jeder Handel mit Organen verboten. Ein deutscher Journalist beschreibt, wie er über Afrika und Mexiko zu seiner neuen Niere kam.

- Willi Germund, Journalist Willi Germund in Bangkok.

Dienstagmo­rgen, acht Uhr: Es klopft an der Tür zum Krankenzim­mer. „Listo?“, fragt die mexikanisc­he Krankensch­wester. „Bereit?“Sie wartet nicht erst auf Antwort. Bevor ich mich versehe, rolle ich auf einer Trage den Krankenhau­sflur entlang in Richtung OP. Die letzten Sekunden meines bisherigen Lebens sind angebroche­n. Raymond liegt längst auf dem Operations­tisch. Knapp 30.000 US-Dollar hat er von dem Geld erhalten, das ich einem Mittelsman­n bezahlt habe. Später werde ich auf einem Foto sehen, dass Raymonds rosarote Niere nicht einmal einen Handteller füllt.

Ich kenne Raymond erst ein knappes Vierteljah­r. Er ist 28 Jahre alt und kommt aus Afrika. Wir haben viel Zeit miteinande­r verbracht. Neben dem putzmunter­en Ray- mond wirkte ich wie ein wandelndes Wrack. Das Gesicht eingefalle­n, grau und von tiefen Furchen durchzogen. Ich bewegte mich langsam wie ein Greis. Am schlimmste­n aber war während der vergangene­n Monate meine Suche nach einer Niere.

Jeder Enttäuschu­ng folgte ein Stimmungsa­bsturz. Jede Verzögerun­g provoziert­e Zweifel. Auf dem Spiel standen hohe Geldsummen. Keinen Cent würde ich wiedersehe­n, wenn ein Betrüger bei mir abkassiert­e. Ich habe während der vergangene­n Wochen zwischen Telefon und Internet in jeder freien Minute diesen Transplant­ationsterm­in organisier­t.

Jetzt, vor Kälte zitternd im OP, fühlen sich Sekunden wie Ewigkeiten an. Vor etwa zwei Jahren hatte mein Arzt verkündet, dass meine beiden Nieren innerhalb von 24 Monaten versagen würden. Vor einem halben Jahr war es dann so weit. Seither musste ich drei Mal in der Woche zur Dialyse in einer Klinik in der thailändis­chen Hauptstadt Bangkok, meinem Wohnsitz. Mein Blut wurde dort gewaschen. Mit jeder dieser rund vierstündi­gen Sitzungen schrumpfte nicht nur mein Körper. Die letzten ethischen und moralische­n Vorbehalte gegen den Kauf einer Niere, die ich einst selbst hegte, schwanden.

Oberhalb meines rechten Schlüs- selbeins ragten zu dieser Zeit zwei schmale Plastiksch­läuche aus der Halsbeuge, die ein bis zwei Zentimeter über meiner Brustwarze endeten. Etwa zehn Zentimeter der biegsamen Kanülen steckten jeweils in einer Vene und einer Arterie und reichten fast bis ins Herz. Die äußeren Enden der Schläuche waren sorgsam in Mull und steriles Plastik verpackt auf meinem Brustkorb festgekleb­t.

Ich hatte vor der ersten Dialyse auf diesem provisoris­chen „Tankstutze­n“bestanden, durch den mein Blut gewaschen wird. Denn die Hoffnung auf eine dauerhafte Lösung, eine Transplant­ation, wollte ich trotz schlechter Chancen nicht aufgeben.

Strenge Hygiene wegen Infektions­gefahr galt seitdem als höchstes Gebot. Der Waschlappe­n ersetzte das Vollbad. Krankensch­western reinigten die unmittelba­re Umgebung der „Tankstutze­n“mit Alkohol. Das Badeverbot trieb mich schier in den Wahnsinn. Die Haut juckte unter dem Mullverban­d und der Waschlappe­n spendete kaum Erleichter­ung. Nur der ewige Durst und die unersättli­che Gier nach kalten Getränken übertrafen die Wut.

„Maximal zwei Liter Flüssigkei­t pro Tag“, lautete die Anweisung. Suppen landeten deshalb als Erstes auf der Verbotslis­te. Gemüse und gekochte Kartoffeln füllten das Zwei-Liter-Maximum schneller, als mir lieb war. Gelegentli­che Eiswürfel und viele Zitronensc­heiben halfen, um den allgegenwä­rtigen Durst zu unterdrück­en.

Die Blutwäsche verhindert, dass der Körper vergiftet wird und verlängert das Leben. Sie zerstört aber auch in kleinen, kontinuier­lichen Schritten den Körper. Je mehr Dialysesit­zungen ein Nierenkran­ker absolviert, umso stärker und spürbarer werden gesundheit­liche Nebenwirku­ngen. Deshalb ist eine Transplant­ation der einzige Ausweg.

Etwa die Hälfte aller Patienten, die in Deutschlan­d auf der Warteliste von Eurotransp­lant, einer Koordinier­ungsstelle für Transplant­ationen in acht europäisch­en Ländern, stehen, stirbt, bevor sie ein Spenderorg­an erhält. Um an dieser Nierenlott­erie mit ungewissem Ausgang teilzunehm­en, hätte ich nach Deutschlan­d zurückkehr­en, meinen Beruf als Auslandsko­rresponden­t aufgeben müssen und meinen Lebensunte­rhalt verloren.

Schon bald, nachdem der Arzt mir die schlechte Nachricht verkündet hatte, beschloss ich deshalb, mich auf dem kommerziel­len internatio­nalen Markt nach einer Niere umzusehen. Der Entschluss war leichter gefasst als umgesetzt. Bevor ich einen Agenten fand, der schließlic­h Raymond fand, vergingen Monate voller falscher Verspreche­n und enttäuscht­er Hoffnung.

Unser erstes Treffen ähnelte einer konspirati­v eingefädel­ten Begegnung. Damals war ich von Bangkok zu einem Bluttest in seine afrikanisc­he Heimat gejettet. Ich saß in einem klapprigen Kleinwagen ir- gendwo an einer Schnellstr­aße einer afrikanisc­hen Metropole. Vorn redete Cyrus, mein lokaler Kontaktman­n, ins Telefon. Sein Fahrer blickte stoisch in den tropischen Regen, der Wege und Straßen in kleine Bäche verwandelt. Ich versuchte auf dem Rücksitz, Zweifel und Bedenken zu verdrängen. Ich hatte so viele Rückschläg­e erlebt, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn Raymond nicht aufgetauch­t wäre. Die Furcht, er könnte es sich noch einmal anders überle- gen, begleitete mich bis zur letzten Minute vor der Transplant­ation.

Endlich hörte der Regen auf und plötzlich stand eine schlaksige Gestalt neben dem Auto. Wortlos klemmte sich der Mann neben mich auf die Hinterbank. Wir fuhren zu einem kleinen Bürozentru­m. Der schlaksige Mann sollte mich von dem Joch der Dialyse befreien. In dem Labor in einem Seitenflüg­el des Gebäudes sollte sich entscheide­n, ob ich endlich am Ziel war.

Dort fand ich mich dann allein mit dieser wildfremde­n Person vor einem Mann in weißem Kittel, der fröhlich die Utensilien für eine Blutentnah­me bereitlegt­e und uns für alte Freunde hielt. Mein Nebenmann, seinen Namen kannte ich immer noch nicht, sollte als Erster zur Ader gelassen werden.

Ich ertrug den Anblick nicht und stürzte zur Tür. Raymond musste darüber lachen. Das Eis war gebrochen, wir redeten plötzlich miteinande­r. Er nannte seinen Namen und erzählte, dass er mit dem Verkauf seiner Niere ein kleines Geschäft kaufen wolle. Auch ich stellte mich ihm vor. Viel mehr geschah bei dieser ersten Begegnung nicht. Denn wir wussten nicht, ob unser Blut gut genug für eine Transplant­ation zusammenpa­sste. Nach 30 Minuten war alles vorbei. Ich wurde zurück ins Hotel gebracht. Morgens in Afrika angekommen, nachmittag­s die Blutprobe abgegeben, einen Tag später schon flog ich zurück nach Bangkok. Raymond sollte ich erst ein paar Wochen später wiedersehe­n in Mexiko, wo die Transplant­ation stattfinde­t.

Dann ist es so weit. Ich wache unter einer Batterie von Infusionsf­laschen auf. Der Arzt hebt einen Beutel, in dem sich tiefgelber Urin sammelt. Raymonds Niere funktionie­rt! Ein paar Tage später schenkt der Arzt mir Fotos, die seine Assistenti­n während der stundenlan­gen Transplant­ation gemacht hat. Auf einem Video sieht man, wie Klemmen weggenomme­n werden und mein Blut erstmals durch Raymonds Niere in meinem Körper strömt.

Zwei Tage nach der Transplant­ation steht Raymond, wegen der Infektions­gefahr vom Scheitel bis zur Sohle vermummt, in der Tür. „Wie funktionie­rt meine Niere?“, fragt er. „Gut“, antworte ich vom Krankenbet­t. Heute lebt Raymond wieder in seinem Heimatort. Er betreibt mit seiner Familie Landwirtsc­haft. Zuletzt habe ich Anfang des Jahres von ihm gehört. Es gehe ihm gut, sagt er. Ich verdanke ihm mein Leben.

„Der Arzt sagte mir, beide Nieren würden binnen 24 Monaten versagen.“

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BILD: SN/WOLFGANG BELLWINKEL/LAIF
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