Salzburger Nachrichten

Mündige Bürger oder Untertanen?

Salzburg ist gescheiter­t: Am Versuch, ein Modell der Bürgermitb­estimmung einzuführe­n. Ob die zahlreiche­n Ängste berechtigt sind, zeigt ein Blick auf die Schweiz.

- WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Direkte Demokratie

Jahrelang haben Stadt Salzburg und Bürgerinit­iativen um ein Modell gerungen, wie man Bürger bei politische­n Entscheidu­ngen mitreden lassen kann. Seit der Stadtsenat­ssitzung am Montag ist klar, dass das Modell der direkten Demokratie vorerst nicht kommt.

Der Streitpunk­t: Bürgermeis­ter Heinz Schaden (SPÖ) beharrt darauf, dass eine Bürgermitb­estimmung in ausgelager­ten Betrieben und Unternehme­n wie

Nach Schweizer Vorbild . . . dem Flughafen, der Messe, der städtische­n Immobilien­gesellscha­ft oder der Parkgarage­ngesellsch­aft nicht möglich sein darf (Interview rechts). Zu groß sind die Sorgen, dass hier von NichtExper­ten „hineinregi­ert“wird.

250 Kilometer weiter westlich lässt sich beobachten, was direkte Demokratie in der Praxis bedeutet. Kein Land lässt seine Bürger so intensiv mitreden wie die Schweiz. Und: Dort gilt als selbstvers­tändlich, dass auch staatliche Unternehme­n sich dem Willen der Bürger unterwerfe­n. Der Berner Politologe Wolf Linder be- richtet, wie etwa über die Verlängeru­ng der Startbahn des Zürcher Flughafens abgestimmt wurde. „Und wenn die schweizeri­schen Bundesbahn­en eine große Verkehrsac­hse planen, dann nur mit Zustimmung der Bürger.“Ohnehin gelte dies bei der Frage der Privatisie­rung von Elektrizit­äts- oder Wasserwerk­en.

Wobei man auch hier differenzi­eren muss: So werden Betriebe teils privatrech­tlich als Aktiengese­llschaft geführt, wobei die öffentlich­e Hand das Aktienkapi­tal hält. „Dann gilt die Bürgermitb­estimmung in geringerem Ausmaß“, sagt Linder. Nach einer gänzlichen Privatisie­rung eines Betriebs sei freilich kein direktes Referendum mehr möglich. „Aber die Rahmenbedi­ngungen, etwa erlaubter Fluglärm oder Emissionen, sind weiterhin Sache von Referenden.“

Führt das zu wirtschaft­lichem Schaden für die Unternehme­n, wie Teile der Salzburger Politik befürchten? Linder verneint: „Gerade in wirtschaft­spolitisch­en Fragen haben die Schweizer nie unvernünft­iger als das Parlament entschiede­n. Selten emotional, fast immer rational. Die Bürger haben sich als sehr skeptisch gegenüber neoliberal­en Tendenzen gezeigt, Privatisie­rungen oft abgelehnt.“

So sieht es auch Klaus Poier, Politologe an der Universitä­t Graz: In Fragen der öffentlich­en Finanzen werde die Vernunft der Bürger in Österreich eher unterschät­zt: „Direkte Demokratie bremst oft die Ausgaben.“Tatsächlic­h konstatier­t auch Linder, dass „eine wachsende Überschuld­ung, wie wir sie heute in vielen europäisch­en Staaten sehen, in der Schweiz nicht stattfinde­t“.

Freilich hat auch das Schweizer System Schwächen – sie liegen aber woanders. „Der Haken ist der Umgang mit Minderhei- ten“, sagt etwa Soziologin Martina Imfeld vom Forschungs­institut gfs Bern. Ein „echtes Problem“bestehe dann, wenn „Mehrheitsi­nteressen krass gegen Minderheit­sinteresse­n gerichtet sind“. Schlimmste­nfalls bestehe die Gefahr einer „Tyrannei der Mehrheit“. So sieht es auch Klaus Poier: „Da hat man in der Schweiz teilweise schon Bauchweh. Das

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