Der Kanal von China
Nicaragua will einen Seeweg zwischen Karibik und Pazifik graben – einmal quer durchs Land. Profitieren würden davon Präsident Ortega und China.
MANAGUA. Chinos nennt man in Nicaragua alle, die irgendwie aussehen, als stammten sie aus Asien. Meist handelt es sich um Koreaner, die in dem bitterarmen Land mit niedrigen Löhnen Textilfabriken betreiben. Nun aber ist ein echter Chinese gekommen. Er heißt Wang Jing, und er hat eine Vision: Er will Nicaragua in zwei Teile spalten, mit einem Kanal, viel länger und breiter als der, der quer durchs nahe Panama verläuft. 32 Milliarden Euro soll die Wasserstraße kosten. 278 Kilometer lang soll sie werden und bis zu 520 Meter breit, dazu kommt auf jeder Seite eine Sicherheitszone von zehn Kilometern. Betreten verboten.
Viel weiß man nicht über Wang Jing. Außer, dass er in Nicaraguas Hauptstadt Managua ein Mobilfunknetz mit superschnellem Internet installieren wollte. Bis jetzt hat er nur ein Büro eröffnet. Der nächste Plan soll aufgehen.
Dazu sind inzwischen schon mehr Chinos im Land. Toni Pérez Romero hat sie gesehen, als er durchs Fenster von seinem Haus nach draußen blickte. Er betreibt eine Bananenplantage in San Jorge, in der Nähe des Nicaraguasees – fünf Kilometer von der geplanten Route des Kanals entfernt. „Chinesen und Soldaten haben mein Land vermessen“, erzählt Bauer Romero. „Ich bin raus und habe gefragt, was sie da tun. Sie haben davon geredet, dass ich zu den Begünstigten gehören würde. Ich, begünstigt? Ich wüsste nicht wie. Sie wollen mir mein Land wegnehmen.“
Wie Toni Pérez Romero geht es etwa 40.000 Menschen entlang der Route des geplanten Kanals. Sie sind im Weg. Entschädigungen für ihr Land sollen sie zwar bekommen, diese liegen allerdings weit unter dem Marktpreis. Neues Land zu kaufen wird für die Menschen schwierig. „Was habe ich denn für Alternativen?“, fragt Romero. „Mit fünf Kindern und wenig Geld?“Die Wut jener Menschen, die fürchten, weichen zu müssen, wächst. Deswegen kommen die Landvermesser jetzt unter dem Vorwand, eine Gesundheitsbefragung durchführen zu wollen. Als der Spatenstich für das Kanalprojekt kurz nach Weihnachten erfolgte, löste die Polizei zwei Demonstrationen mit Tränengas und Gewalt auf.
Romero beklagt, dass die Bevölkerung zu dem Projekt nicht befragt wird, obwohl der Bau das ganze Land dramatisch verändern wird. Zu diesem Schluss kommt auch die Anwältin Mónica López Baltodano, eine Spezialistin für Umweltrecht. Sie ist eine Anführerin der Kanalgegner und hat bei der Interameri- kanischen Kommission für Menschenrechte eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. „Die Regierung hat einer Firma namens Hong Kong Nicaragua Canal Development Investment Co., kurz HKND, deren Vorsitzender Wang Jing ist, weitreichende Rechte übertragen. Diese Konzession verstößt gegen unsere Grundrechte, die Regierung hat uns den Chinesen ausgeliefert“, sagt Baltodano. Sie hat das 120 Seiten dicke Vertragswerk monatelang studiert. Wer hinter HKND steht und woher Wang Jing das Geld hat, ist unklar, Baltodanos Nachforschungen führen zur Regierung nach Peking.
„Der Vertrag umfasst nicht nur den Kanal zwischen den Ozeanen, sondern auch den Bau zweier Hochseehäfen, einer Ölpipeline, einer Eisenbahn, eines internationalen Flughafens und einer Freihandelszone“, sagt Baltodano. „Er gibt Wang das Recht, alle ihm für den Bau nötig erscheinenden Ressour- cen zu nutzen. Er kann Flüsse umleiten und die Regierung anweisen, wessen Land zu enteignen ist.“Die Konzession wurde für 50 Jahre vergeben und kann danach um weitere 50 Jahre verlängert werden.
Die Regierung unter Präsident Daniel Ortega, der sich mit dem Projekt ein Denkmal setzen will, informiert die Bevölkerung nur spärlich. Viele Fragen sind offen – etwa die, wie die Versalzung des Nicaraguasees, des größten Trinkwasserreservoirs Zentralamerikas, verhindert werden kann. Nur ein Versprechen verkündet die Regierung immer wieder laut: Der Bau des Kanals schaffe 50.000 Arbeitsplätze. Baltodano rechnet damit, dass die Chinesen wie auf anderen Megabaustellen ihre Arbeiter mitbringen. Doch das Versprechen klingt süß in einem Land, in dem 42 Prozent der Bevölkerung in Armut leben.
Für den Kanal spricht, dass er die abgelegene Karibikküste an den Rest des Landes anbinden würde. Bislang ist sie eine weitgehend gesetzlose Zone, in der kolumbianische Drogendealer ihren Stoff unbehelligt in die USA weitertransportieren. Die Anbindung für die Karibikküste könnte allerdings auch über eine Straße hergestellt werden.
Gegner des Kanals bezweifeln dessen Wirtschaftlichkeit. „Der Panamakanal wurde gerade erweitert, nördlich der USA tut sich aufgrund der Eisschmelze eine natürliche Verbindung auf – wer sagt, dass Nicaragua in 100 Jahren, wenn die Konzession ausläuft, von diesem Kanal profitieren wird?“, fragt Anwältin Baltodano. In ihren Augen geht es hier um etwas ganz anderes als um Schiffverkehr: „Der Panamakanal, die wichtigste Wasserstraße Amerikas, war von Anfang an nicht einfach nur ein Handelsweg, sondern immer auch ein geopolitisches Projekt der USA. Der neue Kanal, gebaut von den Chinesen, soll diesem nun Konkurrenz machen.“