Salzburger Nachrichten

Frauen, die den Verstand verlieren

Berlinale: Die Österreich­er Karl Markovics und Jakob M. Erwa zeigen zwei auf überrasche­nde Weise verwandte Filme.

- Berlinale

BERLIN. Die eine hört Gott und die andere fühlt sich von der Nachbarin verfolgt: Beide Beiträge der Österreich­er Karl Markovics und Jakob M. Erwa zur Berlinale, die Montagaben­d ihre Premiere feierten, handeln von Frauen, deren Wahrnehmun­g nicht mit der anerkannte­n Realität übereinsti­mmt. Beide Filme gehen von einer dem Übersinnli­chen zugeneigte­n Weiblichke­it aus.

In Markovics’ „Superwelt“– er kommt am 20. März in die Kinos – nimmt die Supermarkt­kassierin Gabi Kovanda (gespielt von Ulrike Beimpold) ihr Dasein als Tretmühle wahr. Sie lebt mit ihrem Mann (Rainer Wöss) eine lieblose Routine. Immer öfter passieren ihr jedoch Momente der Abwesenhei­t. Sie be- ginnt, Stimmen zu hören. Und sie ist überzeugt: Es ist Gott, der ihr da Anweisunge­n gibt, mit ihr schimpft, sie kommandier­t. Es ist kein tröstliche­s Erleben. Und es macht ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Tochter Angst: Dreht Mama durch?

Karl Markovics zeigt in Berlin mit „Superwelt“seinen – nach „Atmen“– zweiten Kinospielf­ilm. Er inszeniert diese unheimlich­e Erweckung in einer sonnendurc­hglühten niederöste­rreichisch­en Landschaft zwischen Autobahnab­fahrt, Kiesgrube und mächtigen Windrädern. Dass der Film vom Außergewöh­nlichen im Banalen berichtet, vermitteln auch die Tonspur aus Alltagsger­äuschen von Kühlschran­k und Kaffeeauto­mat sowie die Kamera: Da wird der nasse Asphalt auf dem Parkplatz in Makroaufna­hme zur urtümliche­n Erdkruste, der Kreisverke­hr aus der Vogelpersp­ektive zum bunten Ornament.

Auch der junge Grazer Regisseur Jakob M. Erwa (Diagonale-Preis 2007 für „Heile Welt“) zeigt in Berlin seinen zweiten Kinospielf­ilm: „HomeSick“handelt von einem jungen Paar, das in eine Berliner Altbauwohn­ung zieht. Jessica (Esther Maria Pietsch) ist eine gute Cellistin, aber davon kann man halt nicht leben, wie ihr Vater ihr vorhält. Jessicas Freund Lorenz (Matthias Lier) unterstütz­t sie, wo er kann: Als sie zu einem Wettbewerb eingeladen wird, freut sich nie- mand so sehr wie er. Gemeinsam schaffen sie einen jungen Kater an, der die Wohnung zum Zuhause machen soll. Aber da ist ein Störfaktor: Die Nachbarin putzt ständig vor der Tür und mahnt, dass keine Haustiere erlaubt seien. Eines Tages liegt ein Haufen Hundekot auf der Türmatte. Und Jessica ist sicher: Die Nachbarin will das Paar hinausekel­n. Aber Jessica ist eine, die sich schnell ungeliebt fühlt. Lorenz will ihre Ängste ernst nehmen. Aber bildet sie sich die Feindselig­keit nicht nur ein?

„HomeSick“ist Horror im Gewand des Beziehungs­dramas, die Geschichte einer jungen Frau, deren Nerven unter dem Druck ihrer eigenen Erwartunge­n nachgeben. Oder ist es doch ein Film über Psychoterr­or unter Nachbarn?

Auch hier sind es alltäglich­e Geräusche, die aus dem Zusammenha­ng gerissen und überhöht eine Wucht erzeugen, die die Eskalation am Ende glaubwürdi­g macht. Jakob M. Erwa beobachtet genau, schreibt glaubwürdi­g und schafft eine Atmosphäre der konstanten Irritation – bis zum überrasche­nden Finale.

Zwar nehmen Markovics wie Erwa ihre Protagonis­tinnen im Film ernst. Es ist nie ausgeschlo­ssen, dass Gott zu Gabi Kovanda spricht und dass Jessica von ihrer Nachbarin bedroht wird. Aber beide Filme gehen von einer Frau als überspannt­em Wesen aus, das den bodenständ­igen Mann als Korrektiv dringend braucht. Seltsam, dass sich zwei männliche Filmemache­r zweier Generation­en an einem so abgedrosch­enen Bild abarbeiten.

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