Salzburger Nachrichten

Eine Animatöse erzeugt grimmige Spannung

Die Kabarettis­tin Christine Prayon verfremdet Brachial-Komik und lacht wie Carla Bruni.

-

SALZBURG. Den Schwimmanz­ug trägt sie schon eine Weile. Nun setzt sie Badehaube und Schwimmbri­lle auf und beginnt mit Aufwärmübu­ngen. Und mit „zeitgenöss­ischer Lyrik“will die Kabarettis­tin Christine Prayon ihr Programm beenden. „Pass auf/pass auf/pass auf/das ist so geil/echt boah/echt hammer“, tönt es durch den Saal der Salzburger ARGEkultur. Wer ist dieser Poet, dem Prayon ihre sonore Stimme schenkt? Natürlich: Brachial-Komiker Mario Barth!

Christine Prayons Verfremdun­g genießt dank YouTube bereits Kultstatus. Interjekti­on nennt man diese Barth’schen „boahs“, und für wenige Momente entpuppt sich das Werk des Berliners als kühn und dadaistisc­h. Im Soloprogra­mm „Die Diplom-Animatöse“nimmt diese Nummer jedoch den obersten Rang in Sachen Zugänglich­keit ein.

Prayons Performanc­e ist eigentlich näher an der dicken kleinen Kabarett-Schwester Kleinkunst, wenn die mehrfache Preisträge­rin ihre Figuren loslässt: die Ausdruckst­änzerin mit ihrer Choreograf­ie zum „Spannenlan­gen Hansel“oder das Hildegard-Knef-Double, das sich entblößt bis zum Verlust des linken Auges. Nein, das ist nicht lustig. Es ist bizarr, peinlich und verstörend.

Selbst die herbe Polit-Korrespond­entin Birte Schneider aus der wöchentlic­hen „heute-show“im ZDF, die Christine Prayon darstellt, hat noch etwas von einer Sympathiet­rägerin. Auf der Bühne aber geht Prayon dorthin, wo’s wehtut. In bester Brecht’scher Manier legt sie ihre Figuren bloß, nimmt kurz vor der Endstation Pointe noch eine letzte Ausfahrt. Sie verschreck­t das Publikum so weit, dass niemand mehr bei der virtuosen Schizophre­nNummer lacht, in der Christine Prayon ein Arsenal an Figuren aufeinande­r losgehen lässt.

Zuletzt soll eine dieser Kopfgeburt­en den Schlager „Wer hat die Kokosnuss geklaut?“singen, erstarrt aber zur Salzsäule und flüchtet von der Bühne. Minutenlan­g läuft die Karaoke-Begleitmus­ik, oh- ne dass irgendetwa­s auf der Bühne geschieht. Diese Art von Spannung zu erzeugen, erfordert Mut zum Subversive­n.

Christine Prayons Ansatz erinnert entfernt an Josef Haders legendären „Bunten Abend“aus 1990 oder an die extrem grindigen Programme von Martin Puntigam: Das Vertrauen des Publikums wird so lange über Gebühr beanspruch­t, bis es zum Bruch kommt. Zwischen Witz und Ernst vermag dann keiner mehr zu unterschei­den. Wenn Prayon auf der Bühne stirbt, übernehmen ihre Figuren die „Imitations-Imitation“. Dabei wird etwa ein Lachanfall von Carla Bruni imitiert, ohne einen Gesichtsmu­skel zu bewegen. Ein klarer Fall von Botox-Überdosis.

Auch ein Expertenfo­rum wie die Salzburger MotzArt-Woche kann sich einen derartigen Grenzgang nur ein Mal pro Festival-Jahrgang erlauben. Sechs von acht Abenden waren heuer ausverkauf­t, das Finale am Sonntagabe­nd mit Christine Prayon aber nicht. Dennoch halten solch geniale Extremiste­n das Kabarett als Kunstform am Leben.

 ?? BILD: SN/ARGEKULTUR/WOLFGANG LIENBACHER ?? Die Kabarettis­tin Christine Prayon in ihrem aktuellen Programm „Die Diplom-Animatöse“.
BILD: SN/ARGEKULTUR/WOLFGANG LIENBACHER Die Kabarettis­tin Christine Prayon in ihrem aktuellen Programm „Die Diplom-Animatöse“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria