Der gesichtslose Jesus stellt Fragen
Wie in der christlichen Kunst das Bilderverbot überwunden wurde. Ist die Bildgeschichte von Gott abgeschlossen?
Der Gekreuzigte ist verborgen und doch präsent. Ein weißes Tuch verhüllt seinen Körper, nur Hände und Füße sind sichtbar. Und rundum im Raum gibt es Figuren und Objekte, die nicht nur für Theologen eine Herausforderung darstellen: Maria mit abgewandtem Gesicht, eine schwebende Schreibmaschine, Wein, Brot, ein Apfel, Köpfe geschlachteter Tiere und eine betende Figur, die auch Erinnerungen an den Ku-Klux-Klan weckt. „Deus absconditus“lautet der Titel des Bildes des Leipziger Malers Michael Triegel.
Der verborgene Gott. Triegel scheint mit seinem Bild die Frage stellen zu wollen, ob der Gekreuzigte in Vergessenheit geraten ist und allmählich aus dem kollektiven Bildgedächtnis entschwindet. Das 2013 entstandene Gemälde ist auch ein Anlass, über die Bedeutung der Bilder in christlichen Kirchen nachzudenken. „Bilder sind notwendig für die Kirche“, sagte der Theologe und Kunsthistoriker Johannes Rauchenberger kürzlich auf der öku- menischen Fachtagung „Urbilder und Streitbilder“in Graz. Während das Frühchristentum ohne Bilder auskam, beginnt die Bildgeschichte der christlichen Gottesgestalten in der Spätantike des 4. bis 6. Jahrhunderts. Um 598 nach Christus stellte Papst Gregor der Große fest: „Denn darum werden in den Kirchen Gemälde verwendet, damit die des Le- sens Unkundigen wenigstens durch den Anblick der Wände lesen, was sie in Büchern nicht zu lesen vermögen.“Darauf fußt auch die Biblia pauperum, die Bibel der Armen. Auf dem Zweiten Konzil von Nizäa (787 n. Chr.) wurde schließlich die Verehrung von Ikonen erlaubt. Die Bilder wurden mit der Schrift und dem Sakrament gleichgesetzt und entwickelten eine eigene Kraft.
„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen“, steht in der hebräischen Bibel zu lesen. „Durch das Bilderverbot wollte man sich gegenüber der Verkultisierung und der Götzenanbetung der anderen, polytheistischen Religionen abgrenzen“, berichtet Johannes Rauchenberger. Jedes Bild, nicht nur jenes von Gott, brachte die Gefahr eines potenziellen Rückfalls ins Heidentum mit sich. Unter Verweis auf die Predigtfunktion seien schließlich die Bilder erlaubt wor- den. Im kirchlichen Kontext wurden Bilder zu einer unersetzlichen Orientierungshilfe, sie wirkten als Leitsysteme und übernahmen eine didaktische Rolle. Vor allem über die Benediktiner hat sich in den Klöstern eine eigene Bildkultur entwickelt, die seit dem frühen 13. Jahrhundert gebräuchlichen Andachtsbilder wiederum standen für eine Privatisierung der Frömmigkeit und sollten ein Gespräch mit dem „Bild, das reden kann“(Rauchenberger), ermöglichen. Im Spätmittelalter sollte schließlich eine wahre Bilderflut in den Kirchen einsetzen.
Im Vergleich dazu hätten die Muslime das Bilderverbot hochgehalten, sagt Rauchenberger. Dabei gibt es im Koran keine eindeutigen Hinweise auf ein Bilderverbot im Islam. Bildnisse des Propheten Mohammed sind selten, aber es gibt sie seit dem 13. Jahrhundert. Rund drei Jahrhunderte später wurde aber da- zu übergegangen, sein Gesicht aus Pietät hinter einem Schleier zu verbergen oder ihn nur als Flamme darzustellen. Figürliche Darstellungen in Moscheen existieren keine, durch die Tendenz der Bildvermeidung wurde in der islamischen Kunst im nicht figürlichen Dekor, in der Ornamentik eine wahre Meisterschaft entwickelt.
Zurück zum Christentum. „Gott, der christliche Gott, hat im Abendland eine Bildgeschichte gehabt“, sagte einst der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Schöne. Dennoch gibt es auch im 21. Jahrhundert Werke, die sich mit Gott, der Schöpfung und Spiritualität beschäftigen. „Kunst verstört und attackiert. Kunst und Kirche können sich gegen die Banalisierung des Lebens und gegen alle gesellschaftlichen Tendenzen zur Verflachung von Lebenswahrnehmung verbünden“, sagt der Pfarrer Hermann Glettler.
„Bilder sind notwendig in der Kirche.“