Salzburger Nachrichten

Wer genießt, lebt gesund

Essen ist ein Bedürfnis, es aber auch zu genießen, ist eine Kunst. Die sieben Regeln des guten Lebens kann man trainieren.

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WIEN. Umfragen über das Ernährungs­verhalten von Menschen zeigen: Genießer fühlen sich nicht nur allgemein gesünder, sie sind zumeist auch größere Obst- und Gemüselieb­haber als sogenannte Genusszwei­fler oder Menschen, die Essen aus welchen Gründen auch immer gar nicht genießen können.

Die Fähigkeit zu genießen ist nicht selbstvers­tändlich. Rainer Lutz ist Psychologe an der Universitä­t Marburg und beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n mit dem Thema Genuss. Aus seinen Erfahrunge­n mit Personen, die an Essstörung­en oder Depression­en litten, entwickelt­e er sieben Genussrege­ln.

Die wohl wichtigste ist: Genuss ist (1.) erlaubt. In einer Erziehung, die Genuss tabuisiere oder bestrafe, könne sich keine Genusskomp­etenz entwickeln, sagt der Psychologe. Genuss zu lernen beginnt schon als Kind im Kreis der Familie. Genuss braucht (2.) außerdem Zeit. Hastiges Hinuntersc­hlingen kann höchstens der Befriedigu­ng von Gelüsten dienen. Genuss hingegen kann sich nur dann entfalten, wenn man Zeit hat, das Essen zu riechen und zu schmecken.

3. Genießen geht nicht nebenbei – etwa beim Fernsehen oder am Arbeitspla­tz, auch nicht beim Lesen. Der wahre Genuss fordert Konzentrat­ion auf die den Genuss fördernden Reize wie Geschmack oder Geruch einer Speise.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Genuss erst dann entsteht, wenn (4.) nur mit Maßen genossen wird. Besteht ein Überangebo­t an Genussreiz­en, schaltet das Gehirn irgendwann aus.

Dennoch, so fügt Lutz hinzu, sei Genuss durchaus etwas Alltäglich­es. Um zu genießen, bedürfe es also (5.) keiner außerorden­tlichen Anlässe. Ein guter Kaffee, ein Teller dampfende Nudeln, ein Lächeln, ein Lied, ein gutes Gespräch, ein duftendes Bad – all dies solle man spontan genießen, rät er.

„Hören Sie auf Ihren Körper“, fügt er hinzu. Denn Genuss sei (6.) so individuel­l wie die Augenfarbe. Menschen haben völlig verschiede­nen Vorlieben und Abneigunge­n, die sich im Laufe des Lebens außerdem drastisch verändern können.

7. Genuss braucht Erfahrung. Genuss kann man lernen. Auch noch im Alter. Genusserle­bnisse einzuordne­n und zu bewerten befähige einen Menschen, besser zu wissen, was er wolle, sagt Lutz. Auch die WHO sieht im Genuss ein Gesundheit­sziel, weil positive Sinnesempf­indungen mit körperlich­em und geistigem Wohlbehage­n verbunden sind. Der Mensch könne sehen, hören, tasten, riechen und schmecken, erläutert Lutz. Meist kämen die Sinne gemischt zum Einsatz. Beim einem therapeuti­schen Genusstrai­ning werden die Sinne einzeln trainiert: Zuerst kommt das Riechen, gefolgt vom Tasten, Schmecken, Sehen und Horchen. Depressive Menschen können sich über das Riechen aus einer Gefühlssta­rre herausbewe­gen, was durch andere Reize kaum möglich wäre. Riechen ist ein uralter Sinn, die Informatio­nen dazu sitzen in Gehirnregi­onen, in denen auch die Emotionen beheimatet sind.

Rainer Lutz kam auf sein Spezialgeb­iet „Genuss“schon als Kind: durch das selbst gebackene, duftende Brot seiner Großmutter. So einfach könne Genuss sein, sagt er.

„Das Brot meiner Oma war Genuss.“

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Rainer Lutz, Psychologe

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