Salzburger Nachrichten

Meister des Machterhal­ts

2015 bringt eine Reihe von Schicksals­tagen für Werner Faymann. Den ersten schon in zwei Wochen.

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WIEN. In der schmalen Gasse in Wien-Liesing im Schatten der Wohnpark-Alt-Erlaa-Trabantens­tadt bleiben alle Häuser recht deutlich unter der Million-Euro-Freigrenze, die die SPÖ den Bürgern bei „Reichenste­uern“gewähren will. Der Bewohner eines unspektaku­lär-schmucken Hauses mit Glasziegel-Harakiri-Schlitz macht sich wohl trotzdem Sorgen wegen der Vermögenss­teuern. Es ist Werner Faymann, SPÖ-Chef und Kanzler.

Der 17. März, der Tag, an dem die Steuerrefo­rm präsentier­t wird, könnte nach den vollmundig­en Reichenste­ueransagen zum Schicksals­tag für Faymann werden. Bringe er nicht das versproche­ne Lohnsteuer­entlastung­svolumen durch, ohne dass es sich die Arbeitnehm­er selbst bezahlen, drohe ein Aufstand in der Partei, sagt ein SPÖ-Insider den SN. „Und in irgendeine­r Form wird er auch vermögensb­ezogene Steuern durchbring­en müssen.“

„Der 17. März wird sicher eine Form von Schicksals­tag sein. Entweder weil Faymann es überlebt. Oder weil es der Anfang vom Ende wird“, sagt die Medien- und Politikber­aterin Heidi Glück. Die ÖVP habe aber kein großes Interesse daran, dass Faymann bei der Steuerrefo­rm komplett verliere und dann innerparte­ilich bald abserviert werde, weil sie mit ihm als SPÖ-Chef derzeit relativ gut fahre.

Auch Politikber­ater Thomas Hofer findet, dass die echte Belastungs­probe für Faymann mit der Steuerrefo­rm beginne, aber dann mit den Herbstwahl­en kumuliere. Faymann werde in der SPÖ zwar „mehr geduldet als geliebt“, aber immerhin habe er zwei Nationalra­tswahlen knapp gewonnen. Sein Schicksal hänge von den Landtagswa­hlen im Herbst ab. Hofer: „Da kann es eng für ihn werden.“

Heidi Glück sieht den SPÖ-Parteitag Ende November des Vorjahres, bei dem Faymann nicht einmal 84 Prozent Zustimmung schaffte, als Knackpunkt. „Das schlechte Votum hat ihm das Ablaufdatu­m verpasst, damit ist er gewisserma­ßen eine Art ,lame duck‘ der eigenen Partei.“Das zeige auch Michael Häupls ablehnende Aussage zu Vermögenss­teuern, die Faymann „fast als Hampelmann“dastehen lasse. Glück: „Mittlerwei­le ist er ein schwacher Kanzler und ein schwacher Parteichef.“

Dabei gilt Faymann vor allem als begabter Stratege des Machterhal­ts. „Seine Stärke ist sicher seine Zähigkeit, sein Sitzfleisc­h“, sagt Hofer. „Alle haben geglaubt, dass der damalige ÖVP-Chef Josef Pröll ihn an die Wand spielt. Pröll war bald Geschichte. Alle haben geglaubt, dass er zwei wirklich schlechte Parteitags­ergebnisse politisch nicht überlebt. Er sitzt noch immer da.“

„Er ist ein bisschen die reinste Ausformung der Politik des puren Machterhal­ts“, sagt auch Glück. Ein Parteifreu­nd Faymanns sieht als Stärke die in jahrelange­m Training erlernte Fähigkeit, sich innerparte­ilich durchzuset­zen und abzusicher­n. Dies habe Faymann in der Wiener SPÖ kultiviert und gelernt, wo es dank absoluter SPÖ-Mehrhei- ten lange keine echten politische­n Gegner gegeben habe. Faymann sei ein Meister des Machterhal­ts – Leadership, Visionen und Entscheidu­ngsfreude seien deutlich weniger seine Sache.

Politikber­ater Hofer analysiert: „Werner Faymann hat sich während seiner ganzen Zeit als Kanzler als Defensivkü­nstler gezeigt. Sein oberstes Prinzip war immer, Fehler zu vermeiden und nur ja keine Angriffsfl­ächen zu bieten.“Der Preis dieser – lange Zeit sogar erfolgreic­hen – Strategie sei letztlich hoch: „Es ist der inhaltlich­e wie persönlich­e Profilverl­ust.“Faymann sei zwar schon mehr als sechs Jahre im Amt und damit zeitlich bald in einer Liga mit Schüssel und fast schon Vranitzky. Doch inhaltlich gebe es keine echten Markierung­en aus dieser Zeit, sagt Hofer. Wurde Fay- mann angriffig, etwa in Richtung Vermögenss­teuern oder Gerechtigk­eit, dann immer aus einer innerparte­ilichen Notlage heraus. Das sei 2010 vor dem SPÖ-Parteitag so gewesen, als Josef Pröll der wahrgenomm­ene Schattenka­nzler gewesen sei. Und das sei derzeit so, da die ÖVP sich mit Mitterlehn­er wieder erfangen habe. Dazwischen hat Faymann die Schwäche der ÖVP genutzt. „Diese Vorstöße aus einer Notlage heraus sind natürlich nicht dazu geeignet, echtes Profil aufzubauen und die murrende Basis der Partei zu beruhigen“, sagt Hofer.

Aber zurück nach Liesing, wo Faymann vor Jahrzehnte­n politisch sozialisie­rt wurde. Eine Nachbarin erinnert sich im SN-Gespräch an den jungen Werner. „Er war schon als Kind freundlich und still. Darum hat’s mich ja so gewundert, dass er in die Politik gegangen ist.“Beim Aufstieg haben ihn freundlich, still und leise Freunde aus Liesinger Juso-Tagen begleitet. Etwa Doris Bures, heute Nationalra­tspräsiden­tin, oder Wolfgang Jansky. Jansky ist derzeit „Heute“-Geschäftsf­ührer, davor war er Faymanns Pressespre­cher. Derlei kann helfen. Wenn Faymann in der nahen Liesinger Au spazieren geht und einem kleinen Mädchen hilft, ein Handy zu bergen, dann kann es passieren, dass „Heute“schlagzeil­t: „Faymann half Mädchen am Spielplatz “– dagegen ist jede Eurorettun­g ein Klacks.

Die Achse zu den Boulevardm­edien hat Faymann schon als mit üppigem Inseratenb­udget ausgestatt­eter Wiener Wohnbausta­dtrat und in der Folge als Infrastruk­turministe­r intensivst ausgebaut. Das Naheverhäl­tnis zu „Krone“-Herausgebe­r Hans Dichand war Legende. Den populistis­chen EU-Schwenk, mit dem sich Faymann 2008 bei der „Krone“anbiederte, hat Faymann später wohl als politische­n Fehler erkannt. Die „Krone“dankte es ihm lange: Nicht nur, wenn der „Krone“Hausreimer sprudelte: „Glatt ist der Faymann wie ein Aal?/Nein mutig ist er und sozial (. . .) Mit klarem Wort und off’nem Blick/macht er die beste Politik.“

Faymanns frühe politische Gehversuch­e passierten als Schulspre- cher und in der SJ. Weggefährt­en bei der Sozialisti­schen Jugend erinnern sich: „Keiner wusste, ob er links steht oder doch rechts.“Fragen, die bis heute blieben: „Meine Frage ist: Ist er im Herzen ein Linker oder ist er deshalb links, weil es ihm als extremem Pragmatike­r für den Machterhal­t nützt?“, sagt Glück.

Pragmatisc­h verbindlic­h, lösungs- und nicht konfliktor­ientiert, nie ein Revoluzzer. So wird der junge Faymann beschriebe­n. Bezeichnen­d: Als Faymann 1985 als Wiener SJ-Chef sieben Thesen ans Rathaustor nagelte, rief er vorher an, damit die Rathauswac­he eine Holztafel ans Tor montieren konnte, auf die schonend genagelt wurde. Konfrontat­ion vermieden – Medienauft­ritt gelungen. Bei aller kuschelige­n Verbindlic­hkeit gilt und galt Faymann als beinhart, wenn darum geht, innerparte­iliche Gegner aus dem politische­n Weg zu räumen.

Von 1978 bis 1985 gibt es eine offizielle Lücke in Faymanns Biografie. Ab 1985 saß er im Landtag. 1988 erklomm er als Geschäftsf­ührer der Mietervere­inigung die erste Machtposit­ion, als Wohnbausta­dtrat landete er 1994 auf der viel größeren Machtbasti­on. Schon damals immer an seiner Seite: Mastermind Josef Ostermayer. „Faymann ist 70 Prozent Ostermayer“, sagt Glück.

Häupl soll nicht unfroh gewesen sein, den ambitiösen Kronprinze­n samt Ostermayer ab 2007 an die Spitze des Verkehrsmi­nisteriums loszuwerde­n. Im Jahr darauf löste Faymann als lebende Antithese den so demonstrat­iv intellektu­ellen und oft überheblic­h wirkenden Alfred Gusenbauer ab und holte in einem wichtigen Schachzug die von Gusenbauer gekränkten Gewerkscha­fter zurück ins Boot. Im August 2008 wurde er beim Parteitag mit stolzen 98,36 Prozent zum SPÖ-Chef gewählt. Faymann wurde vom Europakrit­iker zum glühenden Europäer und je mehr er unter Druck geriet, linker und klassenkäm­pferischer. Dass Österreich besser als andere Staaten durch die Krise gekommen ist, hält sich der Kanzler zugute.

Wie Faymann durch seine Krise kommen wird, scheint noch offen. Glück ist überzeugt, dass die Steuerrefo­rm letztlich „ein gesichtswa­hrender Kompromiss“werde. Die ÖVP werde Faymann nicht über die Klinge springen lassen. „Sie lebt von seiner Schwäche.“Spitzenkan­didat seiner Partei bei der Nationalra­tswahl 2018 werde Faymann aber wohl nicht mehr sein.

Laut Thomas Hofer profitiert Faymann davon, dass es in der SPÖ abgesehen von Wien kaum mehr „Gravitatio­nszentren“gibt. Faymanns Schicksal werde von den Wahlen im Herbst abhängen, bei denen es eng für ihn werden könnte. Sollte er die Herbstwahl­en parteiinte­rn überleben, habe wiederum die ÖVP ein Problem. Denn dann könne Faymann in der folgenden wahllosen Zeit wieder sein Sitzfleisc­h beweisen. Und dann könnte Mitterlehn­er in die Position Josef Prölls rutschen, der als Juniorpart­ner in der Regierung immer größere Schwierigk­eiten hatte, die Rolle als „eigentlich­er“Kanzler über Jahre am Leben zu erhalten.

„Persönlich­er wie inhaltlich­er Profilverl­ust.“ „Er ist eine ,lame duck‘ der Partei.“

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BILD: SN/APA/EPA/STEPHANIE LECOCQ 2015 muss sich Faymann warm anziehen.
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Thomas Hofer, Politikber­ater
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Heidi Glück, Medienbera­terin

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