„Bieterabsprachen waren allgemein bekannt“
Firmen erhielten Geheiminfos zu Fernwärmeprojekten. Abteilungsleiter war „Mr. Zehn Prozent“.
WIEN. Im Korruptionsprozess um die ehemalige Fernwärme Wien stellt Richter Christian Böhm jedem Angeklagten eingangs dieselbe Frage: „Wie lang kennen Sie die anderen Herren schon?“Die Antworten an den ersten beiden Tagen zeigten, dass auf der Anklagebank mit wenigen Ausnahmen alte Bekannte versammelt sind: Einerseits Ex-Mitarbeiter des Versorgers, andererseits (meist ehemalige) Mitarbeiter von ebenfalls mitangeklagten Rohrleitungsbaufirmen. Die Kontakte reichen bis zu 30 Jahre zurück, da herrscht viel Vertrauen.
Der ehemals oberste Preisprüfer der Fernwärme (54), der sich nicht schuldig bekennt, räumte ein, dass auch er gewisse Informationen an Bieter in Ausschreibungsverfahren weitergegeben habe. Das sei überhaupt gang und gäbe gewesen. Sowohl er als auch ein ehemaliger Kollege stellten das aber als Strategie dar, denn die Fernwärme sei an einem möglichst großen Bieterkreis interessiert gewesen und habe gehofft, bei Nachtragsarbeiten dann größere Nachlässe herauszuholen. Bei der Jahresausschreibung 2011 bis 2014 reichte der Preisprüfer eine Liste mit 15 Bewerberfirmen weiter. „Ich habe gewusst, dass es nicht ganz korrekt war, aber ich dachte nicht, dass es eine solche Auswirkung hat“, sagte er. „Bieterabsprachen waren allgemein bekannt, auch im Einkauf.“
Doch leider gebe es keine Beweise, fügte er hinzu. Das sieht die Korruptionsstaatsanwaltschaft anders, die zwölf Personen und fünf Firmen angeklagt hat. Ob er auch gehört habe, dass der zuständige Abteilungsleiter für den Fernleitungsbau den Spitznamen „Mister Zehn Prozent“trage, wollte der Richter wissen. Da- rauf der frühere Preisprüfer: „Ja, ich konnte damit aber nichts anfangen.“
Jener Angeklagte, der als Einziger voll geständig ist, belastete den Erstbeschuldigten und weitere Angeklagte schwer. Während der Jahresausschreibung sei er im Mai 2011 zu einem Treffen in Oberlaa gebeten worden. Dort sei ihm von Mitbewerbern erklärt worden, die Firma, die er vertrete, werde nicht zum Zug kommen. „Ich habe das Treffen als Frechheit empfunden“, sagte der 48-Jährige. Mehrere Verteidiger kritisierten, die Fernwärme selbst habe Vergabevorschriften missachtet.