„Ich weiß, dass sie noch leben“
Vor einem Jahr verschwand ein Flugzeug der Malaysia Airlines – Angehörige hoffen immer noch.
PEKING. Das Leid für Zhang Yongli ist so groß, dass er es nur in kleinen Häppchen ertragen kann. Jeden Tag trägt der 64-Jährige seine Nachforschungen akribisch in seine Notizbücher ein. Das macht den Schmerz für ihn leichter erträglich. „Sonst würde ich verrückt werden“, sagt der Pensionist. Ein Jahr hat er in den Büchern festgehalten. Ein Jahr, in dem er vergeblich auf die Rückkehr seines Sohnes wartet. Denn der 32Jährige saß in Flug MH370 aus Kuala Lumpur, der am 8. März 2014 spurlos auf dem Weg nach Peking verschwand.
Zhang hat sich ein Tablett in der Betriebskantine auf dem Flughafengelände genommen. Er nickt der Bedienung zu und sie lächelt. Man kennt sich. Jeden Werktag ist Zhang hier, geht Mittag essen und anschließend in die Beschwerdestelle der chinesischen Luftfahrtbehörden. „Wir müssen den Druck aufrechterhalten“, sagt Zhang. Niemals dürfe die Suche nach den 239 Menschen, davon 154 aus China und Taiwan, aufgegeben werden, die mitsamt der Boeing 777-200 verschwunden seien: „Ich weiß, dass sie noch leben.“
In der Beschwerdestelle haben sie einen eigenen Raum für die Angehörigen von Flug MH370 eingerichtet. Kaltes Neonlicht erhellt das schmucklose Zimmer. Vor den Fenstern sind Tische aufgebaut, an denen die Beamten Platz nehmen. Im Rest des Zimmers stehen etwa 30 Holzstühle. Oft ist das Büro mittags voll, wenn wieder eine Gruppe von Angehörigen da ist. Geduldig hören sich die Mitarbeiter die Fragen an. Ihre Antworten sind immer gleich: Malaysia koordiniert die Ermittlungen. China kann nur helfen. Noch geht die Suche weiter.
Für die 57-jährige Li Shuping ist die Suche nach ihrer Tochter zum Lebensinhalt geworden. Ihr einziges Kind war verlobt, als es vergangenes Jahr für eine Dienstreise nach Malaysia flog. Das Hochzeitsdatum stand schon fest. Aber die 29-Jähri- ge kehrte nie mehr nach Peking zurück. „Mir will es einfach nicht in den Kopf, dass sich heute jedes Handy orten lässt. Aber eine riesige Boeing soll einfach verschwinden können? Da stimmt doch etwas nicht“, sagt Li.
Die Fluggesellschaft Malaysia Airlines bot ihr eine Entschädigung an. Li lehnte ab: „Mir geht es nicht um Geld. Ich will meine Tochter zurück.“Das Unternehmen habe den Angehörigen Geld in Aussicht gestellt, erzählt Zhang. „Aber niemand hat unterschrieben“, sagt er. Die Juristen der Fluggesellschaft hätten sie im Gegenzug für das Geld dazu gedrängt, einen Vertrag zu unterschreiben, in dem sie auf jegliche Ansprüche gegen das Unternehmen verzichten: „Das war absolut inakzeptabel.“Malaysia Airlines hatte hingegen stets betont, eine gute Regelung und ausreichende Zahlungen für alle Angehörigen finden zu wollen.
Im Jänner wollte Malaysia einen Schlussstrich unter das MH370-Desaster ziehen. Das Unglück wurde als Unfall eingestuft und alle Menschen an Bord für tot erklärt. Für viele Angehörige war das ein Affront. „Wie konnten sie das machen? Bis heute fehlen stichhaltige Beweise“, klagt Gan Mingsong. „Hier geht es um Menschenleben. Die kann man nicht einfach auf dem Papier auslöschen“, sagt der 75-Jährige. Sein 47 Jahre alter Sohn war an Bord von Flug MH370. Er hat eine Frau und ein kleines Kind hinterlassen.
Li Shuping und andere Angehörige fürchten, dass die Suche eingestellt werden könnte. Lange herrschte Chaos nach dem Verschwinden der Maschine. Jetzt vermuten die Suchmannschaften das Flugzeug im südlichen Indischen Ozean, Tausende Kilometer von der ursprünglichen Flugroute entfernt. Zhang hingegen gibt die Hoffnung nicht auf, dass sein Sohn lebt: „Ich weiß, dass er noch irgendwo da draußen ist.“