Diese Klasse-Geigerin braucht keinen Exotenbonus
„Die Welt der Klassik ist etwas ganz Selbstverständliches für mich“, sagt Tai Murray – und demonstriert es.
Mit den Worten „I’m black and I’m proud“forderte James Brown einst das schwarze Selbstverständnis ein, das sich den Unterdrückern entgegenstellt wie ein bajuwarisches „Mia san mia“. Fast 50 Jahre ist das nun her, und manches hat sich verändert. Barack Obama ersetzte „Say it loud“2008 durch „Yes we can“. Weiße Mittelstandskids gebärden sich heute wie die bösen Hip-Hop-Buben aus den Großstadt-Ghettos. Nur im Mikrokosmos der klassischen Musik genießen afroamerikanische Solisten noch einen Exotenbonus wie sonst nur bei der Ski-WM.
Tai Murray ist Afroamerikanerin, beeindruckend ist ihre Art des Violinspiels. Die 32-Jährige – sie gastierte diese Woche in der Stiftung Mozarteum – zählt zu den Hoffnungsträgern der Szene, seit sie 2012 mit ihrer Aufnahme der Solosonaten von Eugène Ysaye reüssiert hat. Im SN-Gespräch fasziniert zunächst die Energie, die Tai Murray ausstrahlt. Dieses Lachen, das die 32-Jährige begleitet, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt. „Ich spiele Geige, seit ich fünf bin. Die Welt der Klassik ist etwas ganz Selbstverständliches für mich“, sagt sie. An das Klavierspiel ihrer Großmutter kann sie sich erinnern, an rassistische Vorfälle nicht. „Was hinter geschlossenen Türen geredet wird, weiß ich natürlich nicht“, erzählt die charismatische Dreadlock-Trägerin.
Als „Ironie“bezeichnet Tai Murray den Umstand, dass sie in Berlin zu den großen US-Komponisten des 20. Jahrhunderts gefunden hat. Werke von Bernstein, Gershwin, John Cage oder Elliott Carter hat sie auf CDs eingespielt. „Ich musste erst zu dieser Musik finden. Denn meine Wurzeln sind Mozart und Beethoven.“Ganz nach Mozart klingt auch noch die F-Dur-Sonate des elfjährigen Mendelssohn-Bartholdy, die Tai Murray am Dienstag an den Anfang ihres Gastspiels mit der Pianistin Silke Avenhaus stellte.
Mit zwingender rhythmischer Kraft lässt sie sich in dieses Werk ein und macht auch vor Dissonanzen nicht halt. Was im post-klassischen Setting des frühen Mendelssohn noch ungewohnt anmutet, wird in Schuberts h-Moll-Rondo D 895 zur Gewissheit: Diese Geigerin will Wahrhaftigkeit, mit vollem Körpereinsatz und bewusst rauem Ton kommt sie dessen Seelenschmerz gefährlich nahe. Murrays Faible für deutsche Romantik führt unweigerlich zu Robert Schumann, dessen drei Romanzen op. 94 sie wie schattenhafte Erzählungen aus fernen Märchenwelten färbt. Im zentralen Werk des Abends, Schumanns zweiter Violinsonate op. 121, fährt Murray zur Hochform auf und erklimmt immer neue Sprossen auf der Leiter der Verzweiflung, vom expressiven Gefühlsausbruch bis hinab ins resignative PianissimoAushauchen. Keine Hochglanz-Interpretation, sondern ein kompromissloses Risikospiel. Und das ist nicht exotisch, sondern spannend.