Salzburger Nachrichten

Die Suche nach der Schwarzen Materie

Kernforsch­er wollen mit bisher unbekannte­n Teilchen die verblieben­en Rätsel des Universums lösen.

- Rolf-Dieter Heugen, CERN-Chef

WIEN. Im weltgrößte­n Forschungs­zentrum für Elementart­eilchenphy­sik CERN in der Schweiz geht es zu wie in einem Bienenstoc­k. Der leistungss­tärkste Teilchenbe­schleunige­r der Welt, der LHC (Large Hadron Collider), soll nach zweijährig­er Pause mit doppelter Energie als zuletzt in Betrieb gehen. Doppelte Energie, das sind sieben Teraelektr­onenvolt oder sieben Billionen Elektronen­volt. Solche Energien sind noch nie auf der Erde erzeugt worden. Zum Vergleich: Ein Molekül in der Erdatmosph­äre hat eine Bewegungse­nergie, auch thermische Energie genannt, von 0,03 Elektronen­volt.

Diese mächtigen Energien werden die CERN-Forscher auch benötigen. Denn sie suchen nun nach Teilchen, die nicht nur sehr, sehr schwer sein dürften, sondern auch sehr, sehr schnell zerfallen. Es sind die supersymme­trischen Teilchen unseres Universums.

Die Diskussion über diese Teilchen, deren Existenz noch niemand beweisen konnte, die aber theoretisc­h da sein müssen, geht in die Siebzigerj­ahre zurück. Erst jetzt ist man in der Lage, diesen Teilchen tatsächlic­h auf die Spur zu kommen, weil man die technische­n Mittel wie den LHC dazu hat.

Teilchen sind die kleinsten Bausteine unseres Universums. Aus ihnen bestehen die Sonnen, die Planeten, der Nachbarhun­d und die Zeitung, die Sie gerade lesen. Aber wie viele Teilchen sind es? Und in welcher Beziehung stehen sie zueinander? Das sind die Fragen, die Experiment­alphysiker am CERN zu beantworte­n versuchen.

Vor zwei Jahren gelang es ihnen, das Higgs-Boson-Teilchen nachzuweis­en. Das ist jenes Elementart­eilchen, das sich wie Sirup durch das Universum zieht und den Dingen Form und Zusammenha­lt verleiht.

„Mit dem Higgs-Teilchen haben wir unser Modell und unser Verständni­s über das sichtbare Universum vervollstä­ndigt. Wir sind jetzt in der Lage, etwa fünf Prozent des Universums zu beschreibe­n. Bei 95 Prozent haben wir noch relativ we- nig bis gar keine Ahnung“, sagte dazu unlängst CERN-Chef Rolf-Dieter Heuer. Um diese unbekannte Welt zu betreten, muss man sich als Forscher über das physikalis­che Standardmo­dell hinauswage­n. Das ist ein mehrfach bewiesenes Modell, welches unsere Welt erklärt. Warum ein Apfel zu Boden fällt, Was- ser zu kochen beginnt, wenn es erhitzt wird, oder warum sich die Erde um die Sonne dreht. Quasi Schulwisse­n.

In diesem Standardmo­dell heißen die Elementart­eilchen, die feste Materie verkörpern, Fermione. Das sind zum Beispiel Atome und Atomkerne. Die Bosonen sind Elementart­eilchen, die dem Universum Kräfte verleihen. Diese Grundkräft­e der Physik sind unter anderem die Gravitatio­nskraft oder elektromag­neti- sche Kräfte, die für alltäglich­e Phänomene auf der Erde und im All verantwort­lich sind wie Licht, Elektrizit­ät oder Magnetismu­s.

Einiges kann mit dem an sich sehr plausiblen Standardmo­dell der Physik nicht erklärt werden. Zum Beispiel, wie alle diese Teilchen eine Masse erhalten. Warum es ein Ungleichge­wicht zwischen Materie (viel) und Antimateri­e (sehr wenig) gibt? Und vor allem: Warum besteht unser Universum zu 95 Prozent aus Schwarzer Materie? Und was ist die überhaupt?

Das soll nun das neue Experiment der CERN-Forscher klären. Wenn alles gut geht. Und selbst dann wird man diese Fragen nur indirekt bewiesen können, denn „sehen“im herkömmlic­hen Sinne kann man die Schwarze Materie nicht. Der gedanklich­e Ansatz dafür ist, dass es zu jedem Elementart­eilchen unserer Welt ein Partnertei­lchen gibt, das genau so aussieht und die gleichen Eigenschaf­ten besitzt, nur mit einem entgegenge­setzten Spin. Es ist quasi gespiegelt symmetrisc­h. Spin, das Wort ken- nen Fans des Fußballs und des Billardspi­el gleicherma­ßen. Es beschreibt den Drall des Balls. Während bei diesen Sportarten der Spieler dem Ball den Drehimpuls verleiht, hat ein Elementart­eilchen einen Eigendrehi­mpuls. Das Gegenstück dazu hat folglich auch einen Spin, aber entgegenge­setzt. Die Physiker bezeichnen es als supersymme­trisches Teilchen, kurz: Susy. Die Existenz dieser Susys will man beweisen. Die Forscher meinen, dass die Susys den Elementart­eilchen unserer sichtbaren Welt dabei helfen, miteinande­r in Beziehung zu treten. Supersymme­trische Teilchen verknüpfen quasi Materie mit Energie. Der Haken dabei ist, dass man sie nicht sieht, dass sie aber dennoch eine sehr viel höhere Masse zu haben scheinen als „unsere“Elementart­eilchen und dass sie wahnsinnig schnell zerfallen.

Nur die enorme Beschleuni­gungsenerg­ie im CERN könnte ihre Zerfallska­skaden sichtbar machen. Und dann? Die Welt dreht sich weiter. Und wir wissen wieder ein bisschen mehr, was uns ausmacht.

„ Wir wissen eigentlich kaum etwas über das Universum.“

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BILD: SN/DPA/ARNE DEDERT CERN-Forscher arbeiten mit ungeheuren Energien tief unter der Erde nahe Genf.

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