Die Suche nach der Schwarzen Materie
Kernforscher wollen mit bisher unbekannten Teilchen die verbliebenen Rätsel des Universums lösen.
WIEN. Im weltgrößten Forschungszentrum für Elementarteilchenphysik CERN in der Schweiz geht es zu wie in einem Bienenstock. Der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt, der LHC (Large Hadron Collider), soll nach zweijähriger Pause mit doppelter Energie als zuletzt in Betrieb gehen. Doppelte Energie, das sind sieben Teraelektronenvolt oder sieben Billionen Elektronenvolt. Solche Energien sind noch nie auf der Erde erzeugt worden. Zum Vergleich: Ein Molekül in der Erdatmosphäre hat eine Bewegungsenergie, auch thermische Energie genannt, von 0,03 Elektronenvolt.
Diese mächtigen Energien werden die CERN-Forscher auch benötigen. Denn sie suchen nun nach Teilchen, die nicht nur sehr, sehr schwer sein dürften, sondern auch sehr, sehr schnell zerfallen. Es sind die supersymmetrischen Teilchen unseres Universums.
Die Diskussion über diese Teilchen, deren Existenz noch niemand beweisen konnte, die aber theoretisch da sein müssen, geht in die Siebzigerjahre zurück. Erst jetzt ist man in der Lage, diesen Teilchen tatsächlich auf die Spur zu kommen, weil man die technischen Mittel wie den LHC dazu hat.
Teilchen sind die kleinsten Bausteine unseres Universums. Aus ihnen bestehen die Sonnen, die Planeten, der Nachbarhund und die Zeitung, die Sie gerade lesen. Aber wie viele Teilchen sind es? Und in welcher Beziehung stehen sie zueinander? Das sind die Fragen, die Experimentalphysiker am CERN zu beantworten versuchen.
Vor zwei Jahren gelang es ihnen, das Higgs-Boson-Teilchen nachzuweisen. Das ist jenes Elementarteilchen, das sich wie Sirup durch das Universum zieht und den Dingen Form und Zusammenhalt verleiht.
„Mit dem Higgs-Teilchen haben wir unser Modell und unser Verständnis über das sichtbare Universum vervollständigt. Wir sind jetzt in der Lage, etwa fünf Prozent des Universums zu beschreiben. Bei 95 Prozent haben wir noch relativ we- nig bis gar keine Ahnung“, sagte dazu unlängst CERN-Chef Rolf-Dieter Heuer. Um diese unbekannte Welt zu betreten, muss man sich als Forscher über das physikalische Standardmodell hinauswagen. Das ist ein mehrfach bewiesenes Modell, welches unsere Welt erklärt. Warum ein Apfel zu Boden fällt, Was- ser zu kochen beginnt, wenn es erhitzt wird, oder warum sich die Erde um die Sonne dreht. Quasi Schulwissen.
In diesem Standardmodell heißen die Elementarteilchen, die feste Materie verkörpern, Fermione. Das sind zum Beispiel Atome und Atomkerne. Die Bosonen sind Elementarteilchen, die dem Universum Kräfte verleihen. Diese Grundkräfte der Physik sind unter anderem die Gravitationskraft oder elektromagneti- sche Kräfte, die für alltägliche Phänomene auf der Erde und im All verantwortlich sind wie Licht, Elektrizität oder Magnetismus.
Einiges kann mit dem an sich sehr plausiblen Standardmodell der Physik nicht erklärt werden. Zum Beispiel, wie alle diese Teilchen eine Masse erhalten. Warum es ein Ungleichgewicht zwischen Materie (viel) und Antimaterie (sehr wenig) gibt? Und vor allem: Warum besteht unser Universum zu 95 Prozent aus Schwarzer Materie? Und was ist die überhaupt?
Das soll nun das neue Experiment der CERN-Forscher klären. Wenn alles gut geht. Und selbst dann wird man diese Fragen nur indirekt bewiesen können, denn „sehen“im herkömmlichen Sinne kann man die Schwarze Materie nicht. Der gedankliche Ansatz dafür ist, dass es zu jedem Elementarteilchen unserer Welt ein Partnerteilchen gibt, das genau so aussieht und die gleichen Eigenschaften besitzt, nur mit einem entgegengesetzten Spin. Es ist quasi gespiegelt symmetrisch. Spin, das Wort ken- nen Fans des Fußballs und des Billardspiel gleichermaßen. Es beschreibt den Drall des Balls. Während bei diesen Sportarten der Spieler dem Ball den Drehimpuls verleiht, hat ein Elementarteilchen einen Eigendrehimpuls. Das Gegenstück dazu hat folglich auch einen Spin, aber entgegengesetzt. Die Physiker bezeichnen es als supersymmetrisches Teilchen, kurz: Susy. Die Existenz dieser Susys will man beweisen. Die Forscher meinen, dass die Susys den Elementarteilchen unserer sichtbaren Welt dabei helfen, miteinander in Beziehung zu treten. Supersymmetrische Teilchen verknüpfen quasi Materie mit Energie. Der Haken dabei ist, dass man sie nicht sieht, dass sie aber dennoch eine sehr viel höhere Masse zu haben scheinen als „unsere“Elementarteilchen und dass sie wahnsinnig schnell zerfallen.
Nur die enorme Beschleunigungsenergie im CERN könnte ihre Zerfallskaskaden sichtbar machen. Und dann? Die Welt dreht sich weiter. Und wir wissen wieder ein bisschen mehr, was uns ausmacht.
„ Wir wissen eigentlich kaum etwas über das Universum.“