Der Wende-Papst
Mit Johannes XXIII. beginnt die große Reform der Kirche. Weitere Themen in diesem Jahr: Jubel über Toni Sailer, Unruhen in Algerien und Ehestreik in der Toskana.
Der Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle stiftete Verwirrung. Einmal war er weiß, dann grau, dann wieder schwarz. Die Menschenmenge, die an diesem Oktobersonntag bei über 40 Grad Celsius auf dem Petersplatz ausharrte, hatte sich zu früh auf einen neuen Papst gefreut. „Die 30 Kameramänner, die ihre Apparate an allen Enden und Ecken des Platzes aufgestellt hatten, gaben das Kurbeln auf“, berichteten die SN.
Das Farbenspiel über dem Kamin wiederholte sich. Am Montag wurden deshalb zwei Kisten Feuerwerkskörper herangeschafft, um eindeutig schwarzen Rauch zu erzeugen.
Am Dienstag aber war es dann so weit. Um 17.07 Uhr stieg weißer Rauch aus dem Kamin. Und als der Prodekan des Kardinalskollegiums „Habemus Papam“verkündete, jubelte die Menge auf dem Petersplatz.
Kurz nach 18 Uhr erschien der neue Papst auf dem Balkon. „Unter den nicht enden wollenden Rufen ,Viva il Papa‘ erhob das neue Oberhaupt der katholischen Kirche seine Hände zur ersten feierlichen Handlung seines neuen Amtes und erteilte den Segen ,Urbi et orbi‘.“
So lasen es die Salzburger einen Tag später, am 29. Oktober 1958, in den SN. Der Patriarch von Venedig, Angelo Giuseppe Kardinal Roncalli, war der neue Papst: Johannes XXIII. Als die Nachricht bekannt wurde, läuteten in Salzburg die Kirchenglocken. In einem Leitartikel schrieb der Rom-Korrespondent der SN, der neue Papst sei „den Dingen unserer Zeit gegenüber aufgeschlossen“. Und nach dem Ad-limina-Besuch von Erzbischof Andreas Rohracher in Rom berichteten die SN: „Nicht bekannt war, daß der Papst Salzburg kennt: Er hat vor dem Ersten Weltkrieg Salzburg einmal einen Besuch abgestattet und erinnert sich noch, daß er einer Messe im Dom beiwohnte, bei der eine Mozart-Messe aufgeführt worden ist.“
Welchen innerkirchlichen Epochenwandel dieser Papst anstoßen sollte, wusste Ende 1958 allerdings noch niemand. Johannes XXIII., der bis zu seinem Tod im Juni 1963 auf dem Stuhl Petri saß, wurde zum Reformpapst, der die Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die Moderne holte. Das Latein in den Kirchen wurde durch die Landessprachen ersetzt. Ortskirchen und Bischofskonferenzen wurden gestärkt. Die Kirche öffnete sich gegenüber den anderen Religionen und Johannes XXIII. schaffte auch den Fußkuss und die vorgeschriebenen drei Kniefälle bei Privataudienzen ab.
Ansonsten blieb auch 1958 der Ost-WestKonflikt Dauerthema in der Berichterstattung. Das zeigt sich beispielhaft in der Meldung über den geglückten Start des ersten US-Satelliten am 31. Jänner – als die SN, sichtlich erleichtert, meldeten: „Das Gleichgewicht der Kräfte im Weltall, das vor vier Monaten durch den Start des ersten sowjetischen ,Sputnik‘ gestört worden war, ist nun wiederhergestellt.“
Die Zeitung freute sich über die Erfolge Toni Sailers bei der Ski-WM in Bad Gastein. Sailer sei ein Vorbild für die Jugend, „das man sich nicht sauberer und liebenswerter wünschen kann“. Man las von der Entscheidung des Bundes, den Lungau zum „Notstandsoder Entwicklungsgebiet“zu erklären und so Steuerbegünstigungen für Firmen zu ermöglichen – und davon, dass Maikäfer auf den Feldern Oberösterreichs mit Giftgas bekämpft wurden.
Es gab Berichte über den Unabhängigkeitskampf der Algerier gegen die Franzosen und die Kämpfe der Zyprioten gegen die Briten sowie über Frauen eines Dorfs in der Toskana, die in den „Ehestreik“traten und das Kochen von „Pasta und Polenta“einstellten. Die Vorteile des Sparens schilderten die SN am Beispiel der „Eingeborenen“im Kongo, die Meister seien beim Schaffen von Rücklagen (siehe Faksimile).
Die Samstagausgaben waren bereits auf mehr als 30 Seiten angewachsen. Die Wirtschaft machte in der Zeitung kräftig Werbung – für Motoröl, Kühlschränke, Backpulver, Thea, Rama und „Presto – die schnelle Abwaschhilfe“. Und weit öfter als heute waren Hausfrauen die Werbeträger – allesamt charmant lächelnde, glückliche und gepflegte Damen, die strahlend weiße Wäsche und Polster in Händen hielten – und dazu die Botschaft: „Ja, das sieht man gleich: OMO-gewaschen!“