EU-Kommission plant das Ende der Vignette
Der Deutsche Bundestag will heute, Freitag, die Pkw-Maut beschließen. Das ruft die Nachbarländer auf den Plan, aber auch die EU-Kommission. Sie bastelt im Hintergrund an einem EU-weiten elektronischen Mautsystem.
Ob sich der Einkauf in Freilassing wirklich auszahlt, könnten sich die Salzburger in Zukunft überlegen. Sie sollen ab 2016 Maut für die Benutzung der Autobahnen im Nachbarland zahlen, genau wie die Deutschen selbst. Auf den Kosten bleiben aber nur ausländische Lenker sitzen. Für Inländer, so der Plan, wird die deutsche Maut mit der Kfz-Steuer gegengerechnet. Das sorgt für Ärger in den Nachbarländern, die EU-Recht verletzt sehen.
Die Maut würde de facto nur für Ausländer gelten und sei deshalb diskriminierend, so das Argument. Österreich hat mehrfach eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) angekündigt. Auch die EUKommission sieht die Vorgehensweise skeptisch. Sie will solchen Tricks künftig einen Riegel vorschieben, zeigt ein aktuelles Papier.
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc will noch vor dem Sommer ihre Pläne für ein EU-weit einheitliches Mautsystem vorstellen, als Teil des „Straßenpakets“der Kommission. Im ersten Vorschlag dazu, der den SN vorliegt, ist von der „allmählichen Abschaffung der Vignettensysteme“für Lkw und Pkw die Rede. Die Preise entsprächen in diesem System der tatsächlichen Straßennutzung und den verursachten Kosten für die Umwelt nicht, lautet das Argument. Daher soll es künftig EU-weit einheitlich kilometerbezogene Mautsysteme geben – was auch das Ende der österreichischen Vignette wäre.
Bekannt sind die kilometerbezogenen Mautsysteme vielen Österreichern aus Italien oder Frankreich, genau wie die Staus vor den Mautstellen. Die soll es freilich nicht europaweit geben. Vielmehr schlägt die Kommission ein „Free Flow“-Mautsystem vor, in dem elektronisch abgerechnet wird. Denkbar sind dafür zwei technische Varianten. Die erste ist ähnlich wie die in Deutschland geplante: Statt dem Pickerl auf der Windschutzscheibe gibt es eine „elektronische Vignette“. Das Kennzeichen des Lenkers wird registriert und an Kontrollpunkten elektronisch gelesen. Bei der kilometerbezogenen Maut würde dann, entsprechend der zurückgelegten Strecke, die angefallene Maut verrechnet. In der zweiten Variante müssten alle Pkw mit einem entsprechenden Gerät ausgestattet werden, das via Satellit ihren Weg aufzeichnet und so die anfallenden Mautkilometer berechnet. Die Ausstattung dafür könnte direkt von den Herstellern eingebaut werden, etwa kombiniert mit dem automatischen Notrufsystem eCall.
Ein Vorhaben, das Stoff für Diskussionen liefern wird, nicht zuletzt in Sachen Datenschutz. Der offizielle Startschuss für die Debatten dürfte im Juni fallen, wenn Kommissarin Bulc das Papier vorstellen soll. Sie kann wohl mit langen Verhandlungen rechnen, unter den Mitgliedsstaaten wie auch im EUParlament. Dort könnte eine Österreicherin hauptverantwortlich für die Angelegenheit werden: Die Abgeordnete Claudia Schmidt (ÖVP) wird derzeit als Berichterstatterin für den Abschnitt zum europäischen Mautsystem gehandelt. Den Vorstoß der Kommissarin sieht die Salzburgerin grundsätzlich positiv. „Wir brauchen einen einheitlichen Verkehrsraum. Wenn man beginnt, Zollschranken durch Mautschranken zu ersetzen, dann führt man den Gedanken eines vereinten Europas ad absurdum.“
Uneingeschränkt steht Schmidt allerdings nicht hinter Bulcs Vorschlag. „Ich habe vor allem ein Problem mit der lückenlosen Überwachung der Autofahrer.“Sie tritt daher für einen Vorschlag ein, der aus ihrer Sicht die Situationen insgesamt vereinfacht. Anstelle einer einheitlichen Maut will Schmidt EU-weit einen Teil der Mineralölsteuer für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur zweckwidmen. „Man bräuchte keine Kontrollen und keine neue Infrastruktur.“Außerdem wäre das System ökologisch sinnvoller, findet die Abgeordnete. Für Fahrzeuge mit geringem Verbrauch würden automatisch geringere Kosten anfallen.
Wie auch immer das neue System aussehen wird, es ist Zukunftsmusik. Das weiß auch die Kommission. Sie will daher Übergangslösungen schaffen, damit ausländische Lenker bei der Maut nicht benachteiligt werden. Tagesvignetten dürften laut dem Vorschlag maximal zwei Prozent der Jahresvignetten kosten, Inländer nicht durch Steuerreduktionen für die Einführung einer Vignette entschädigt werden. An dieser Stelle wird der Fall Deutschland sogar explizit erwähnt: Die Maßnahme würde helfen, „Kontroversen wie jene rund um die Einführung der Pkw-Maut zu vermeiden“– in der Zukunft, wohlgemerkt.