Die Fährfrau der schönen Sinnlichkeit
Die Komponistin Kaija Saariaho schreibt Klänge voller Poesie. Wie vor 15 Jahren in Salzburg bezaubert „L’Amour de loin“jetzt in Linz.
LINZ. Die Geschichte der Opern-Uraufführungen bei den Salzburger Festspielen ist ein Kapitel mit Lücken. Auf Phasen regelmäßiger Novitäten folgten Phasen gleichsam kreativer Dürre, wobei die Komplexität des modernen Musiktheaters ein Übriges tut, Opern nicht mehr quasi wie vom Fließband produzieren zu können.
In den 1950er-Jahren ging es noch Schlag auf Schlag: „Der Prozess“von Gottfried von Einem, „Penelope“und „Die Schule der Frauen“von Rolf Liebermann, „Irische Legende“von Werner Egk, „Vanessa“von Samuel Barber, „Julietta“von Heimo Erbse.
Dann folgte erst in den 1980erJahren ein neuer kontinuierlicher Schub: „Baal“von Friedrich Cerha, „Un re in ascolto“von Luciano Berio, „Die schwarze Maske“von Krzysztof Penderecki, „Fürst von Salzburg – Wolf Dietrich“von Gerhard Wimberger. Keines dieser Werke hat, obwohl durch Koproduktionen etwa mit der Wiener Staatsoper mit verlängertem Leben versehen, ein wirklich langes Dasein auf der Opernbühne gehabt. Das verwundert im Nachhinein insbesondere bei einem so kraftvollen Werk wie „Baal“, das erst 2011 durch die Initiative der Neuen Oper Wien, einer freien Gruppe, in Österreich neu nachgespielt wurde.
So gesehen ist die jetzige Initiative des Linzer Landestheaters, 15 Jahre nach der Uraufführung einen zweiten Blick auf Kaija Saariahos „L’Amour de loin“zu wagen, nicht hoch genug einzuschätzen. Die heute 63-jährige finnische Komponistin erlebte damals ihren internationalen Durchbruch; die Inszenierung von Peter Sellars in der Felsenreitschule, dirigiert von Kent Nagano, war eines von zwei Opern-Uraufführungsprojekten der Ära von Gérard Mortier.
Die Geschichte der „fernen Liebe“eines Troubadours zur Gräfin von Tripoli im Spannungsfeld von Idealisierung und Wirklichkeit wirkt damals wie heute wie aus der Zeit gefallen. Über langen, ruhigen Klangflächen entwickeln drei Protagonisten ihre monodischen Gesänge: der die Liebe preisende Dichter Jaufré Rudel (Martin Achrainer mit einem geraden Bariton, dem das entscheidende Quäntchen Raffinesse und französische Eleganz fehlen mögen), Gräfin Clémence (mit feinen Linien: Gotho Griesmeier) und der Pilger (Martha Hirschmann mit prägnanter Mezzo-Energie). Äußere Handlung im Sinne eines dramatischen Konflikts versagt sich diese Oper in fünf Akten, die man nicht unbedingt durch eine Pause trennen sollte, dafür offeriert sie viel Sagenstoff – man denkt an Pelléas und Mélisande gleichermaßen wie an Tristan und Isolde – mit der Ruhe und stillen Leuchtkraft eines orientalischen Märchenzaubers, der auch dem Libretto von Amin Maalouf innewohnt.
Das muss in der Umsetzung von innen heraus erfühlt und erfüllt werden. Regisseurin Daniela Kurz, die als Choreografin auch für den Tanz und den Bewegungschor zuständig ist und das Bühnen- und Kostümbild erfunden hat, setzt auf unaufgeregte, schlichte Zeichenhaftigkeit: weiß, rot, schwarz.
Das grundsätzliche Manko, das schon bei der Uraufführung die eindrucksvolle Wirkung schmälerte, hat die Komponistin nicht ausgeräumt. Der Schluss franst aus, pappt auf die Erzählung auch noch eine Moral(predigt). Der Dichter und Sänger, der das Ideal der Liebe erträumte, hat sich überreden lassen zur Überfahrt in den anderen Weltteil. Er ist bereit, seine große Liebe, die ihn ebenso herbeisehnt, zu treffen – aber die Wirklichkeit ist für ihn tödlich. Entkräftet von der Schiffspassage und sterbenskrank sinkt er in die Arme der geliebten Gräfin, die ihn nicht retten kann.
So sehr die Poesie dieses im besten Sinn zeitlosen Märchens bezaubert, so sehr Saariahos feinsinnig-preziöse, gelegentlich durchaus auch prätentiöse Klangsprache mit sinnlichem Schimmer, vokalem Lineament und instrumentatorischer Eleganz beeindruckt: Ein knapperes, lakonischeres, offeneres Ende würde den Eindruck noch geschlossener machen.
Da spielt auch das glänzend vorbereitete, zu feinsten Farben fähige Brucknerorchester unter der mehr als nur kompetenten Leitung von Kasper de Roo gegen aufkommende Längen und redundante Drehungen an. Nichtsdestoweniger ist die Aufführung ein Verdienst: Ein Werk auf dem Prüfstand kann sich im Raum des neuen Linzer Musiktheaters mit Bedacht in Schönheit entfalten. Das Publikum der zweiten Aufführung dankte beeindruckt; alle Skeptiker gegen „neue“Oper sollten sich nicht vom Besuch abhalten lassen.
Oper: