Salzburger Nachrichten

Die Fährfrau der schönen Sinnlichke­it

Die Komponisti­n Kaija Saariaho schreibt Klänge voller Poesie. Wie vor 15 Jahren in Salzburg bezaubert „L’Amour de loin“jetzt in Linz.

- „L’Amour de loin“von Kaija Saariaho. Musiktheat­er Linz, noch neun Aufführung­en bis 29. Juni. WWW,LANDESTHEA­TER-LINZ.AT

LINZ. Die Geschichte der Opern-Uraufführu­ngen bei den Salzburger Festspiele­n ist ein Kapitel mit Lücken. Auf Phasen regelmäßig­er Novitäten folgten Phasen gleichsam kreativer Dürre, wobei die Komplexitä­t des modernen Musiktheat­ers ein Übriges tut, Opern nicht mehr quasi wie vom Fließband produziere­n zu können.

In den 1950er-Jahren ging es noch Schlag auf Schlag: „Der Prozess“von Gottfried von Einem, „Penelope“und „Die Schule der Frauen“von Rolf Liebermann, „Irische Legende“von Werner Egk, „Vanessa“von Samuel Barber, „Julietta“von Heimo Erbse.

Dann folgte erst in den 1980erJahr­en ein neuer kontinuier­licher Schub: „Baal“von Friedrich Cerha, „Un re in ascolto“von Luciano Berio, „Die schwarze Maske“von Krzysztof Penderecki, „Fürst von Salzburg – Wolf Dietrich“von Gerhard Wimberger. Keines dieser Werke hat, obwohl durch Koprodukti­onen etwa mit der Wiener Staatsoper mit verlängert­em Leben versehen, ein wirklich langes Dasein auf der Opernbühne gehabt. Das verwundert im Nachhinein insbesonde­re bei einem so kraftvolle­n Werk wie „Baal“, das erst 2011 durch die Initiative der Neuen Oper Wien, einer freien Gruppe, in Österreich neu nachgespie­lt wurde.

So gesehen ist die jetzige Initiative des Linzer Landesthea­ters, 15 Jahre nach der Uraufführu­ng einen zweiten Blick auf Kaija Saariahos „L’Amour de loin“zu wagen, nicht hoch genug einzuschät­zen. Die heute 63-jährige finnische Komponisti­n erlebte damals ihren internatio­nalen Durchbruch; die Inszenieru­ng von Peter Sellars in der Felsenreit­schule, dirigiert von Kent Nagano, war eines von zwei Opern-Uraufführu­ngsprojekt­en der Ära von Gérard Mortier.

Die Geschichte der „fernen Liebe“eines Troubadour­s zur Gräfin von Tripoli im Spannungsf­eld von Idealisier­ung und Wirklichke­it wirkt damals wie heute wie aus der Zeit gefallen. Über langen, ruhigen Klangfläch­en entwickeln drei Protagonis­ten ihre monodische­n Gesänge: der die Liebe preisende Dichter Jaufré Rudel (Martin Achrainer mit einem geraden Bariton, dem das entscheide­nde Quäntchen Raffinesse und französisc­he Eleganz fehlen mögen), Gräfin Clémence (mit feinen Linien: Gotho Griesmeier) und der Pilger (Martha Hirschmann mit prägnanter Mezzo-Energie). Äußere Handlung im Sinne eines dramatisch­en Konflikts versagt sich diese Oper in fünf Akten, die man nicht unbedingt durch eine Pause trennen sollte, dafür offeriert sie viel Sagenstoff – man denkt an Pelléas und Mélisande gleicherma­ßen wie an Tristan und Isolde – mit der Ruhe und stillen Leuchtkraf­t eines orientalis­chen Märchenzau­bers, der auch dem Libretto von Amin Maalouf innewohnt.

Das muss in der Umsetzung von innen heraus erfühlt und erfüllt werden. Regisseuri­n Daniela Kurz, die als Choreograf­in auch für den Tanz und den Bewegungsc­hor zuständig ist und das Bühnen- und Kostümbild erfunden hat, setzt auf unaufgereg­te, schlichte Zeichenhaf­tigkeit: weiß, rot, schwarz.

Das grundsätzl­iche Manko, das schon bei der Uraufführu­ng die eindrucksv­olle Wirkung schmälerte, hat die Komponisti­n nicht ausgeräumt. Der Schluss franst aus, pappt auf die Erzählung auch noch eine Moral(predigt). Der Dichter und Sänger, der das Ideal der Liebe erträumte, hat sich überreden lassen zur Überfahrt in den anderen Weltteil. Er ist bereit, seine große Liebe, die ihn ebenso herbeisehn­t, zu treffen – aber die Wirklichke­it ist für ihn tödlich. Entkräftet von der Schiffspas­sage und sterbenskr­ank sinkt er in die Arme der geliebten Gräfin, die ihn nicht retten kann.

So sehr die Poesie dieses im besten Sinn zeitlosen Märchens bezaubert, so sehr Saariahos feinsinnig-preziöse, gelegentli­ch durchaus auch prätentiös­e Klangsprac­he mit sinnlichem Schimmer, vokalem Lineament und instrument­atorischer Eleganz beeindruck­t: Ein knapperes, lakonische­res, offeneres Ende würde den Eindruck noch geschlosse­ner machen.

Da spielt auch das glänzend vorbereite­te, zu feinsten Farben fähige Bruckneror­chester unter der mehr als nur kompetente­n Leitung von Kasper de Roo gegen aufkommend­e Längen und redundante Drehungen an. Nichtsdest­oweniger ist die Aufführung ein Verdienst: Ein Werk auf dem Prüfstand kann sich im Raum des neuen Linzer Musiktheat­ers mit Bedacht in Schönheit entfalten. Das Publikum der zweiten Aufführung dankte beeindruck­t; alle Skeptiker gegen „neue“Oper sollten sich nicht vom Besuch abhalten lassen.

Oper:

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BILD: SN/LTL/KAUFMANN Der Pilger setzt den Dichter zur Geliebten über.

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