Polizist erschoss Schwarzen von hinten
Ein Handyvideo erschüttert die USA. Darauf ist neuerlich ein Akt brutaler Gewalt eines weißen Polizisten zu sehen. Die Frage: Wäre der Fall ohne das Video publik geworden?
„Wie kann ein vierfacher Familienvater an einem Samstagmorgen bei einer Verkehrskontrolle ums Leben kommen?“, wundert sich Anthony, der Bruder, und denkt: „Irgendetwas kann da nicht stimmen.“Sein Instinkt erweist sich als richtig. Dank eines den Medien zugespielten Handyvideos wissen er, seine Familie, die Nachbarn, die 100.000 Einwohner von North Charleston, der Südstaat South Carolina, die USA und inzwischen die ganze Welt, dass es sich um einen neuerlichen Fall brutaler Polizeigewalt handelte.
Was war geschehen? Kurz nach 9.30 Uhr morgens hält der 33-jährige Polizist Michael T. Slager einen altersschwachen Mercedes wegen einer defekten Rückleuchte an. Walter Scott steigt aus dem Auto. Es kommt zu einem kurzen Gerangel. Der Beamte feuert mit seinem Elektroschocker auf den Schwarzen. Der übergewichtige Mann befreit sich und läuft davon.
Ohne weitere Vorwarnung zückt der Polizist seine Dienstwaffe. Aus gut 20 Metern Entfernung feuert er sieben Kugeln ab. Eine achte trifft Thomas Spang berichtet für die SN aus den USA Walter Scott von hinten ins Herz. Statt dem tödlich verwundeten Mann zu helfen, legt Slager ihm Handschellen an. Dann schlendert er zurück zu dem Ort, an dem das Gerangel begann, hebt etwas auf, geht zurück und wirft es neben den reglosen Körper. Slager meldet über Funk, der Schwarze habe ihm sei- nen Elektroschocker abgerungen. Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, als seine Waffe zu zücken. „Schüsse abgefeuert, und das Subjekt ist getroffen“, gibt er zu Protokoll. Der Beamte ahnte nicht, dass ein großer Teil des Tathergangs mit einer Handykamera festgehalten wurde. Der Mitschnitt entlarvt die Geschichte des bis vor Kurzem noch bei der US-Küstenwache tätigen Polizisten als glatte Lüge.
Anders als in Ferguson, wo im vergangenen August ein Beamter den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown erschossen hatte, griffen die lokalen Behörden und die Justiz entschlossen durch. Sie klagten den Todesschützen wegen Mordes an. Seit Dienstagabend befindet sich Slager in Untersuchungshaft im Bezirksgefängnis von Charleston.
Der Bürgermeister der drittgrößten Stadt des Bundesstaates South Carolina, Keith Summey, versuchte erst gar nicht, irgendeine Entschuldigung für das kaltblütige Verhalten zu finden. „Wenn man falschliegt, liegt man falsch“, erklärte der Bürgermeister auf einer Pressekonferenz.
Die Frage, warum Walter Scott vor dem Polizisten davongelaufen ist, bleibt offen. Ein Experte in Sachen Polizeigewalt nannte die Szene auf dem Video ungeheuerlich. „Der Mensch flüchtet. Er hat keine Waffe. Und er hat sich nicht umgedreht“, sagte Samuel Walker, emeritierter Professor der Universität Nebraska, der Zeitung „Post and Courier“. Für die Schüsse des Polizisten auf den Flüchtenden gebe es keine Rechtfertigung. Ein Blick in den Polizeiakt offenbart ein langes Sündenregister, das viele Jahre zurückreicht. Darin stehen Waffenbesitz, Körperverletzung, Nichterscheinen vor Gericht und vor allem ausstehende Alimentezahlungen für seine vier Kinder. Hier sieht der Anwalt der Familie des Opfers ein mögliches Motiv für die Reaktion. „Er schuldete Zahlungen für seine Kinder und wollte deswegen nicht ins Gefängnis gehen.“Bruder Anthony hat eine andere Erklärung. „Hätte auf mich jemand mit einer Elektroschockpistole gefeuert, wäre ich auch gerannt.“Die Familie sei dem Handybesitzer, der das Video bereitgestellt habe, dankbar. Da die Behörden nicht den Anschein erweckten, in diesem Fall irgendetwas vertuschen zu wollen, bat er die Öffentlichkeit, Ruhe zu bewahren. „Alles, was wir wollen, ist, dass die ganze Wahrheit zutage kommt.“